Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1977

Spalte:

867-869

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Wirsching, Johannes

Titel/Untertitel:

Lernziel Glauben 1977

Rezensent:

Langer, Jens

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

867

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Xr. 12

Blickes mehr würdigen: daß .sie also Ehrfurcht vor dem
Leben eher erlebnishaft nachfühlen, als erlösendes Wort
in bedürftiger seelischer Interessenlage, ohne Nachprüfung
des gedanklichen Unterbaus, der vertieften Kulturanschauung
, von der sich ihr Protagonist für das praktische
Leben so viel versprach.

Auf der anderen Seite, nicht ganz zu vereinbaren damit,
hat ihn die Vorstellung erfreut, unerkannt zum moralischen
Fortschritt beizutragen, ganz im Sinne des erwärmenden
Wortes aus ,Kindheit und Jugendzeit', wonach
Kraft etwas Geheimnisvolles sei: ,Ich habe mir immer
gewünscht, daß mein Wirken und Denken einmal als
anonyme Macht in den Besitz der Menschheit eingehe'. So
könnte denn auch die Ehrfurcht vor dem Leben, dieser
trotzige Widerspruch zum Jahrhundert zweier Weltkriege,
ein atmosphärisches Ingredienz unserer Standortsuche
geworden sein, eine humane Reserve, die immer abruf bar
ist" (S. 240/241).

24 gut ausgewählte Bilder, eine achtseitige Zeittafel
und zwei Karten des Afrika von 1904 und 1965 erhöhen
den Wert dieses äußerst empfehlenswerten Buches, das
überzeugend deutlich macht : „Albert Schweitzer bietet
sich an, auf dem Weg in das neue Jahrtausend Begleiter
zu sein. Wer sich ihm anvertraut, weiß sich aufgehoben
und lebt sich zu größerer Freude und ist gewiß, daß er aus
dieser Begegnung nie mehr entlassen wird" (S. 243).

Druckfehler: S. 110, Z. 13 v. o.: in statt: im; S. 186,
Z. 11 v. u.: bekennt statt: bekannt; S. 209, Z. 15 v.o.:
angelegten statt: angelegt; S. 241, Z. 15 v. o.: Wird statt:
Wir.

Berlin Hans-Hlnrich Jenssen

Wir§ching, Johannes: Lernziel Glauben. Einführung in die Theologie
. Gütersloh: GütersloherVerlagshausGerdMohn[1976]. 190S.
8° = Gütersloher Taschenbücher, 110. DM 14,80.

Was in Titel und Untertitel angekündigt wird, interessiert
viele Leser: Nie weiß man genug über das, was das
eigene Leben (den Glauben) und was (für einen Teil der
Leser) den Beruf (die Theologie) ausmacht. Der christliche
Leser will ja wirklich lernen. Eine Aufgabe anzupacken,
wäre gewiß schon genug, meldet sich leise die Skepsis.
Aber Vf. will es anders, und so sei es denn!

Der Leser wird dankbar für das sein, was er über den
Menschen als lernendes Wesen und über das Verhältnis
von Theologie und Glaube erfährt, wie er in die drei Artikel
des Glaubens sowie in Handeln und Erziehung als
„Bewährung des Glaubens" eingeführt wird. Vf. will mit
den „interdisziplinären Programm-Ansagen" der Theologie
(S. 9) endlich einmal ernst machen und sich auf das
Gespräch mit der Pädagogik einlassen. Hilfreich bei der
Lektüre als Lernvorgang erweisen sich dabei Thesen, eine
Übersicht und einige schematische Zeichnungen. Den
Erwartungen einer Reihe von Lesern kommt der Autor
gewiß auch dadurch entgegen, daß er nicht einfach ein
Wissen von Gott unterstellen möchte, sondern - gerade
unter dem Gesichtspunkt des Lernens - sich der Frage
nach Gott stellen will. Das alles vollzieht sich mit deutlicher
Auftragssicherheit. Daher auch deutliche Worte
gegen Theologien des Genitivs (unter positivem Hinweis
auf G. Bassaraks bekannte Veröffentlichung): „Der
Glaube der reinen Tat ist hier so etwas wie das Augenzwinkern
des christlichen Leistungsmenschen gegenüber
Jesus von Nazareth, seinem großen Anreger und Vorbilde"
(145). Auch der Feststellung „theologischer Identitätsverarmung
" (S. 181) und der Tatsache, „daß es zumeist
nur zu einer theologischen Echohaftigkeit fremder Begriffe
, zur simplen Verdoppelung dessen kommt, was die
nichttheologischen Disziplinen längst schon und meist
selbstbewußter vorgesagt haben" (S. 181f.), kann man
weitgehend zustimmen.

Leider wird die Position des V is nicht so deutlich
markiert wie die der Angegriffenen. Klar aber wird, daß
ihm sein Ort in der Theologie so sicher zu sein scheint, daß
alle von einer mittleren Linie - soll man sagen: ..nach
links" ? - abweichenden Positionen kritisiert werden, m. E.
nicht immer sachgemäß (z. B. S. 105, 144f.). Trotz der
gelungenen Formulierung gegen den „Glauben der reinen
Tat" (Zitat s. o.) muß gefragt werden, ob Vf. denn nicht
sehen will, daß die von ihm genannten (und ungenannten)
Vertreter der so apostrophierten Tendenz nun eben nicht
generell und eo ipso in hedonistischer Flachheit belangen
sind und ihre Theologie keinesfalls zwangsläufig „bloß hin
und wieder an partikularen Vertrauenswürdigkeiten aufflammt
" (S. 183), sondern bei bekannten Repräsentanten
doch tief im christologischen Paradoxon wurzelt. Das isi
eine andere Theologie als jene, die ihre bourgeoise Indi-
vidualmoral eines Noli me-tangere religiös verbrämt bzw.
aus dem christlichen Glauben eine theologische Schutz -
wand vor Einsatz und Risiko macht.

Auch „das soziale Dreieck des Glaubens" (S. 108), in
welchem kein Weg vorn Menschen direkt zum Mitmenschen
führt, seheint mir etwas zu selbstsicher vorgestellt
zu werden. Auf jeden Fall bleibt die Alternative vorwiegend
deklamatorisch und illusionär: „Jesus von Nazareth
ist zukünftiger als alle Leuchtspuren menschlicher Hoffnung
; er verheißt nicht nur, er bringt eine bessere Welt"
(108). „Der Glaube, der als Liebe sichtbar wird, ist allen
weltlichen Programmzwängen überlegen und vermag
gerade deshalb die ganze Welt zu gebrauchen, zu gestalten
, zu verändern" (156). Eine solche Tendenz muß m.E.
theologisch und pädagogisch bedenklich stimmen. Die
Auftragssicherheit gerät hier wohl in Konflikt mit der
wünschenswerten Auftragsgewißheit, die auch den
„theologischen Hoheitsverlust" (S. 181) zu verarbeiten in
der Lage ist. Vf. teilt vermutlieh das Schicksal vieler
Theologen, die - scheinbar über den Gegensätzen stehend
- vermitteln wollen. Ist eine derartige Vermittlung
derzeit möglich und überhaupt sachgemäß'' Behindert sie
nicht geradezu eine im Blick auf andere theologische
Ansätze solidarische theologische Existenz? Erfolgt der
Versuch eines Gesprächs sinnvollerweise nicht am besten
von einer deutlich markierten Position aus ?

Bisweilen scheint Vf. einen fruchtbaren Ansatz durch
(solche vermittelnde) Inkonsequenz nicht recht zum Zuge
kommen zu lassen: Wer z. B. so sehr - wie Vf. es tut -
Jesus Christus in das Zentrum theologischen Denkens
stellt, blockiert sich selbst, wenn er trotzdem dem klassischen
Aufbau der Theologie folgt. Das Lernziel des
Glaubens kann ferner schwerlich veranschaulicht werden,
wenn man sich von denen distanziert , die auf die sozialen
Dimensionen des Evangeliums hinweisen. Des weiteren
wird das interdisziplinäre Vorhaben nach meinen Beobachtungen
mehr erörtert als realisiert. Pädagogisch wäre
sicher auch günstig, wenn Thesen prinzipiell am Anfang
oder am Ende von wichtigen Abschnitten zu finden wären.
In die Theologie schließlich wird nicht eingeführt, sondern
in eine beistimmte vermittelnde Position. Unter dieser
Voraussetzung wird eine auf der mittleren Linie lesenswerte
Theologie in nuce geboten. Der Mut zu einem solchen
Entwurf in Kürze kann gar nicht genügend herausgestellt
werden, da es so opportun scheint, im Fragment
steckenzubleiben. Ein solcher Entw urf erfordert viel an
Eindeutigkeit, Umsicht und Verständnis. Das dürfte
deutlich geworden sein.

Meines Erachtens hätte es auch der Eindeutigkeit des
Entwurfs gedient, wenn nicht erst in den Abschnitten
über den Religionsunterricht der soziale Kontext deutlieh
angesprochen worden wäre. Daß das erst so spät geschieht,
könnte zu dem Eindruck einer scheinbaren Objektivität
beitragen. Aber diese Feststellung ruft ein pinm desi-
derium hervor, das eben auch durch die Problematik des
angezeigten Werkes verursacht ist: Rez. möchte in nicht
allzu ferner Zeit zwei Bücher lesen, beide unter den Vor-