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Ausgabe:

1977

Spalte:

853-855

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Schulz, Waltraut

Titel/Untertitel:

Stilkritische Untersuchungen zur deuteronomistischen Literatur 1977

Rezensent:

Schulz, Waltraut

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Theologische Literatlirzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 11

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sorgerlicher Hinsicht wichtig: als nqAtoe (10,2) wird Petrus
zum Proto-Typ des Jüngers. Die oft beobachtete Ambivalenz
in der Petrus-Darstellung wird durch die Weglassung
des Petrus im Aufcrstehungskapitel betont. Die
dadurch erreichte Einfügung aller Petrus-Belege in die
Spanne zwischen Berufung und Verleugnung unterstreicht
ihrerseits, bedenkt, man die Gegenwartsbedeutung des
fiaäirfi im Matthäus-Evangelium (vgl. Kapitel 3, S.
94ff.), noch einmal in besonderer Weise die modellhafte
Bedeutung dieses Jüngers für die matthäiscbe Gemeinde,
deren Situation durch die Spannung zwischen Berufen -
Sein und Angefochten-Werden gekennzeichnet ist.

Redaktionsgeschichtliche Arbeit der Gegenwart berührt
sich vielfach mit Fragestellungen und Ansätzen neu-
testamentlicher Forschung im 10. Jahrhundert, wenn auch
die redaktionsgeschichtliche Frageweise erst seit Mitte dieses
Jahrhunderts als Forschungsmethode bestimmend geworden
ist. Voraussetzungen und Anknüpfungspunkte
werden in der Einfühlung der Arbeit anhand der Auffassungen
zu fünf ekklesiologisch relevant en Stellenkomplexen
knapp skizziert. - „Überlegungen zur Herkunft des
Matthäus-Evangeliums'* beschließen die Darstellung, wobei
das Gebiet von Caesarea Philipp i als Heimat der matth.
Gemeinde besonders in Erwägung gezogen wird (S.158).

Schulz, Waltraut: .Stilkritische Untersuchungen zur deuterono-
mistischen Literatur. Diss. Tübingen 1974. 215 S.

Die Flage nach dem deuteronomistischen (dtr) Stil und
Sprachgebrauch - seit den Tagen Wellhausens fester
Bestandteil der Arbeit an den Büchern Deuteronomium
bis 2. Könige - ist durch Martin Noths These vom dtr
Geschichtswerk in neuer Weise akut geworden. Ging es
früher vor allem um die Erhebung der vorhandenen dtr
Texte in den genannten Büchern, also gleichsam um den
dtr Stil als solchen, so zielt die Frage heute primär auf
Abklärung innei deuteronomistischer Probleme, die im
Anschluß an Noths These auftauchten (bei v. Rad, H. W.
Wolff u. a.). Zur Debatte stehen nunmehr Arbeitsweise
und Intention des Deuteronomisten (Dtr) - wer auch
immer das war - in den einzelnen dtr Texten.

Die vorliegende Arbeit befragt nach einer einleitenden
Darlegung der Problemlage (S. 1-13) eine begrenzte Anzahl
von dtr Texten, nämlich die „Leitartikel" des dtr
Geschichtswerkes, nach Eigentümlichkeiten des dtr Stils.
Die Untersuchung gliedert sich in zwei Teile: I. Eigentümlichkeiten
deuteronomistischer Sprache (S. 14-110), II.
Eigent ümliehkeiten deuteronomistischer Geschichtsbetrachtung
(S. 111-215).

Der erste Teil beschäftigt sich - ausgehend von einigen
zentralen Begriffen, die je in ihrem Kontext nach ihrer
sprachlichen Leistung befragt werden - mit Elementen
der dtr Denk- und Schreibweise im Detail. Ausgangsbeobachtung
der Untersuchung ist die Tatsache, daß es in fast
allen dtr Abschnitten für Jahwe und Israel verschiedene
Benennungen gibt, die einander häufig ablösen, manchmal
sogar mehrfach innerhalb eines einzigen Verses. Die Frage
nach dem Grund für diesen eigenartigen Benennungswechsel
lädt dazu ein, die zur Diskussion stehenden
Stücke in mehreren Untersuohungsgängen - einmal
gleichsam von Jahwe (S. 15-44) und zum andern von
Israel her (S. 45-68) zu betrachten und nach einem Blick
auf andere Götter und Völker (S. 69-77) alle noch einmal
onf er der Überschrift yn« und rrtnn durchzugehen (S.78
bis 110). Dabei zeigt, sich dann, daß die Verwendung der
verschiedenen Benennungen für Gott und Volk in der
Regel inhaltbezogen ist. Aussage und Benennung korrespondieren
miteinander. Der Satzinhalt bestimmt von Fall
7-u Fall, ob für Gott rnrr - "irnbN HTTP oder DSPfÄM nipp
verwendet wird und ob das Volk xx> -btr»^ oder 'nto«-- -33
genannt werden muß. Daher läßt umgekehrt das Vorherrschen
der einen oder anderen Benennungsform in einem
Abschnitt von vornherein Schlüsse zu auf seine

inhaltliche Eigenart. Die eingehende Betrachtung dieser
Spracheigentümlichkeit macht zugleich mancherlei Abweichungen
von den ermittelten Regeln sichtbar und
führt zusammen mit anderen Ergebnissen der vier Untersuchungsgänge
dazu, die Texte am Schluß des ersten
Teils auf Grund von gemeinsamen oder verschiedenen
Stileigentümlichkeiten in mehrere Gruppen aufzugliedern:
1) Dtnl-3; 31,lf.7f.; Josl; 23; Ri2.6ff.: 10,6-16; lKön
8,14ff.; 9,1-9; 11,1-13. 2) lSam7,2ff.; 8; 12. 3) 2Kön
17,7-20; 4)Dtn4,lff.: 5) Jos 12.

Im zweiten Teil der Untersuchung werden die herausgearbeiteten
Gruppen - ausgehend von den Relativsätzen
mit Jahwe als Subjekt - nacb dem sich in ihnen äußernden
Geschichtsverständnis befragt und zwar so, daß nicht nur
deutlich wird, was Dtr seinen Zeitgenossen mit ihnen
sagen will, sondern nach Möglichkeit auch, auf welche
situationsbedingten Fragen er jeweils geantwortet hat.
Da Jos 12 am Schluß des ersten Teils aus der Diskussion
ausscheidet, ergeben sich für den zweiten Teil wiederum
vier Kapitel.

Das erste Kapitel (S. 111-162) behandelt die Texte der
Gruppe 1 und damit die drei Themenkreisc Landnahme,
Behauptung im Lande, Tempelbau und Dynastiebildung.
Die Gestaltung dieser Themen ist so stark von der im
deuteronomischen Gesetz enthaltenen nm:--Verheißung
geprägt, daß man hier geradezu von drei nrror-Text-
gruppen reden kann. Jede beginnt mit einer Rede des
jeweiligen Exponenten der verheißenen ntTOB (Mose,
Josua, Salomo). Ihr folgen dann je zwei weitere Abschnitte
mit Berichten von Verfehlung, Strafe und von einer
neuen Lebensmöglichkeit. Überall ist Jahwes Treue die
Grundlage der einst verheißenen ttTTOB und des Neuanfangs
nach Schuld und Strafe. Notwendiges Korrelat ist
Israels Umkehr zu Jahwe. In jeder Textgruppe erweist
sich Dtr als hervorragender Interpret vorgegebener Traditionskomplexe
von bestimmter Eigenart. Er befragt
Umbruchszeiten nach Möglichkeiten der Zukunftsbewältigung
. Unter seiner Feder werden die geschichtlichen
Überlieferungen zu Antworten auf die in der Exilszeit
drängende Frage nach Jahwes Treue zu seinem ungehorsamen
Volk.

Von den nrnia-Textgruppen hebt sich die Samuel-Textgruppe
(S. 163-195) vor allem dadurch ab, daß einmal in
ihr die nm:":-Vorstellung fehlt, daß sie aber zum andern
in intensiver Auseinandersetzung mit Inhalt und Aufbau
der zweiten nrro*:-Textgruppe gestaltet wurde. In diesen
Kapiteln spielt die Frage nach Jahwes künftigem Heils-
wilfen keine Rolle. Sie werden beherrscht von der Frage
nach seiner Heilsmacht in einer veränderten Welt. Das
Problem der Zukunftsbewältigung tritt hier noch deutlicher
hervor als in den nmrra-Textgruppcn. Dtr antwoi t. t
in 1 Sam 12 mit dem Hinweis auf Jahwes alleinige Souveränität
und auf die Notwendigkeit, seine Hilfe zu erbitten.

Einen völlig anderen Tenor als diese vier Textgruppen
hat der Abschnitt 2Kön 17,7-20 (S. 196-210). Er erweist
sich bei näherem Zusehen als die Geschichte einer verfehlten
Umkehr mit der impliziten Aufforderung an die
Leser, Umkehr zu Jahwe nun doch endlich als die einzige
Überlebenschance zu erkennen und wahrzunehmen, damit
nicht noch mehr Unheil geschieht . Hier geht es nicht um
Zukunftsbewältigung, sondern um das Aufhören von
Jahwes Zorn und damit um das Ende der Katastrophenzeit
. Wie nun die Samuel-Textgruppe jünger zu sein scheint
als die drei -rn3~-Textgruppen, so enthält dieser Abschnitt
Gedanken, die schon bald nach dem Ende des
Staates Juda aufgetaucht sein müssen, in einer Situation
nämlich, in der man fürchtete, die Unheilsserie könnte
noch nicht abgeschlossen sein. Fragen nach neuen Heilsmöglichkeiten
, wie sie hinter der Gestaltung der vier Text gruppen
stehen, haben hier noch keinen Platz. Es liegt
überaus nahe, die verschiedenen Nuancen der dtr Intention
mit dem wachsenden zeitlichen Abstand von den
Katastrophen von 597 und 587 in Verbindung zu bringen.