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Ausgabe:

1977

Spalte:

849-851

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Hirth, Thomas

Titel/Untertitel:

Der Mischnatraktat "Keritot" nach Handschriften und Erstdrucken herausgegeben, übersetzt und kommentiert 1977

Rezensent:

Hirth, Thomas

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 11

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tet wurde, zusammenhängend von ihren Anfängen bei Jesus
bis zu ihrer Endgestalt bei Matthäus dargestellt. Daneben
werden die in der vorliegenden Arbeit zusätzlich angefallenen
Einzelergebnisse zusammengefaßt, so etwa zur
Frage von Überlieferung und Redaktion in Mt 19,28 par
Lk 22,28-30; zu Bedeutung und Gestalt der ursprünglichen
Jesusworte, die hinter Mt 10,40-42 par stehen; zur
Frage des Messiasbewußtseins Jesu; zur Historizität des
Verhörs vor dem Synhedrium; zum Problem der Menschensohn
-Worte Jesu; zum Nebeneinander von Menschensohn
- und Messiastitel; zur Bedeutung von „Bruder"
im NT; methodisch zum Problem von Nutzen und Mißbrauch
der wortstatistischen Methode und allgemein zu
der Möglichkeit, die Überlieferung eines Textes von seiner
Entstehung bei Jesus bis hin zur Redaktion durch einen
synoptischen Redaktor zu verfolgen und Träger für diese
Überlieferung namhaft zu machen. Schließlich werden die
noch offenen Fragen formuliert; einer Beantwortung bedarf
dabei weiterhin vor allem von Mt 25,31-46 her gesehen
die Frage nach der Gegenüberstellung von Werkgerechtigkeit
und Rechtfertigung allein aus Glauben. So
wenig dieses Grundproblem protestantischer Theologie in
der vorliegenden Arbeit für den Text Mt 25,31-46 gelöst
wird, so wenig kann es allerdings mit der bloßen Feststellung
, der nomistische Matthäus sei hier eben gegenüber
der Rechtfertigungsbotschaft eines Paulus im Unrecht,
beiseitegeschoben werden, da die Grundaussage dieses
Textes auf Jesus selbst zurückgeht. Die Untersuchungen
der vorliegenden Arbeit legen es vielmehr nahe, in folgender
Richtung eine Lösung zu suchen: Jesu Rede vom Weltgericht
zielt nicht darauf ab, Aussagen darüber zu machen,
in welchem Verhältnis Glaube und Werke bei der Beurteilung
des Menschen durch Gott zueinander stehen, sondern
sie will die Nachfolger Jesu auffordern, ihrer Liebe zu Gott
und zu seinem Sohne Jesus dadurch in dieser Welt Ausdruck
zu verleihen, daß in dem Tun der Liebeswerke an
den Armen und Elenden die Gerechtigkeit Gottes bereits
in diesem Äon aufleuchtet. Gott im Anderen zu lieben,
heißt nicht, Gott sterben zu lassen, sondern es heißt,
seinen Willen über die Menschen, seine Gerechtigkeit ernst
zu nehmen.

Hirth, Thoraas: Der Mischnatraktat ,Keritot'nach Handschriften
und Erstdrucken herausgegeben, übersetzt und kommentiert.
Diss. Tübingen 1973 XIV/ 217 S.

Als Text des Traktates wird die Handschrift Cambridge
Add. 470.1, der reinste Vertreter der palästinischen Rezension
geboten. Die interessante Handschrift Kaufmann
A 50 kam dafür leider nicht in Frage, da sie in Keritot
eine umfangreiche Lücke aufweist. Weiterhin wurde die
Handschrift Parma, Sammlung de Rossi 138, vorglichen.
Daneben wurden folgende Genizafragmente benützt und
beschrieben: Oxford, Bodleian Library, Nr. 2826,9 (MS
Heb. d. 63 Fol. 13/14). Cambridge, Taylor-Schechter
Collection E II 88. Oxford, Bodleian Library, Nr. 2661,13
(MS Heb. c. 17 Fol. 31/32). Diese drei Fragmente gehören
zu einer einzigen Handschrift. Für Keritot steht damit ein
Fragment zur Verfügung, das den Text von 11 - V 1
umfaßt, etwa 2/3 der Mischna des Traktates. Zu dieser
Handschrift gehören außerdem die Fragmente Oxford,
Bodleian Library, Nr. 2661,14 und Cambridge, Taylor-
Schechter Collection E II 86. Daraus konnte erschlossen
werden, daß die Handschrift 7 Lagen zu je 4 Blättern mit
dem Seder Kodasin umfaßte. - Weiter wurde benützt das
Fragment Oxford, Bodleian Library Nr. 2862,42 und
Fragment Leningrad, Sammlung Antonin Nr. 377.

An Talmudhandschriften wurden benützt: Florenz,
Nationalbibliothek Cod. Ebr. I. Vatikan Nr. 119 und 120.
London, British Museum Add. 25717. An Talmudfrag-
Wenten aus der Geniza wurden herangezogen: Oxford,
Bodleian Library Nr. 2673,8 (MS Heb. b. 1). Zu dieser

Handschrift gehört Fragment Cambridge, Taylor-Schechter
Collection F II (2) 60 (fälschlicherweise trägt es die
Nummer 70). Es enthält an Mischna Kapitel I und II,
leider sehr stark zerstört. - Fragment Oxford, Bodleian
Library Nr. 2833,30 (MS Heb. b. 10 Fol. 59/60). - Außerdem
wurde benützt: Der Mischnakommentar des Maimo-
nides nach dem Autograph. - Mischnaerstdruck Neapel
1492. - Talmuderstdruck Venedig 1520ff.

Der Name des Traktates .Keritot' - .Ausrottungsvergehen
', von dem ersten Substantiv des Textes abgeleitet,
gilt nicht für den ganzen Traktat, der im wesentlichen die
Verpflichtung zum Vogelopfer, Sündopfer und Schuldopfer
behandelt. Allerdings können die Anlässe zu diesen
Opferverpflichtungen unter bestimmten Umständen z. T.
auch Keritot-Fälle sein. Bei der Ausrottung handelt es sich
ursprünglich wahrscheinlich um die Ausstoßung des Delinquenten
aus der Gemeinschaft der Sippe, des Stammes
oder des Volkes, in mischnischer Zeit versteht man darunter
den Tod zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr, ohne
Kinder und ohne einen Anteil an der Auferstehung. Es ist
eine Strafe, die Gott überlassen wird.

In Keritot I 5 erscheint der Begriff jöse' döfen ,Seitengeburt
', d. h. eine Geburt, die durch Operation aus der
Seite herausgenommen wird, ein Kaiserschnitt. Aus dieser
Stelle und Nidda V 1 muß man schließen, daß die Mutter
diesen Eingriff überlebte. Dieser Sachverhalt ist viel diskutiert
worden. Bei einer literarkritischen Untersuchung
dieser Stellen zeigt es sich, daß die Bezeichnung, die überwiegend
auf Tiere angewandt ist, die als .Seitengeburt'
nicht zum Opfer tauglich sind, sehr oft in einem festen
Zusammenhang erscheint. So erscheint unsre Stelle wörtlich
in Bekorot VIII1. Es hat sich eine Reihe gebildet, die
bestimmte Fälle einer ungewöhnlichen Geburt zusammenordnete
, die als Beispielsammlung in die verschiedensten
Zusammenhänge übernommen wurde. Entstanden als
Beispielsammlung im Bereich des Opferwesens (Opfertier
und Erstgeburt) wurde es übernommen in den Zusammenhang
des Wöchnerinnenopfers bei ungewöhnlicher Geburt,
aus dem man dann auf das Überleben der Mutter sohließen
mußte. Das bedeutet dann, daß die Rabbinen ebenso wie
die Antike, lediglich den Kaiserschnitt an einer Toten
kannten.

Von den im Traktat genannten Opfern ist nicht im AT
genannt das 'äsäm täif .Zweifelschuldopfer', eigentlich
»Hängendes, schwebendes Schuldopfer'. Es wird aus Lev
5,17-19 gefolgert für den Fall, daß man nicht weiß, ob man
eine Tat, die eine Übertretung bedeutet, begangen hat
oder nicht. Das Opfer unterscheidet sich weder im Ritual
noch in der Materie vom Schuldopfer. - Das Armutsopfer,
Lev 5,7ff., das im AT keinen Namen hat, erscheint in der
Mischna als 'öläh wjöred. In dem Einführungsteil ist eine
Zusammenstellung der im Traktat genannten Rabbinen
geboten mit kurzen biographischen Notizen. Bei Aqiba
und Ismael wurde etwas ausführlicher auf ihre henneneu-
tischen Voraussetzungen eingegangen, da im Traktat
(H 5) eine Kontroverse berichtet wird, die gerade auf den
verschiedenen exegetischen Prinzipien beruht.

Der Vergleich mit dem gleichnamigen Traktat der
Tosefta zeigt, daß sich der Aufbau zwar eng an den Aufbau
des Mischnatraktats anschließt, aber doch nicht einseitig
von dem der Mischna abhängig ist. Der Aufbau des Traktates
geht auf eine gemeinsame ältere Vorlage zurück, die
im letzten Viertel des 2. Jahrhunderts n. Chr. vorlag,
wobei die Tosefta noch die ältere Anordnung des Stoffes
zeigt. Die Literarkritik erbrachte folgenden Aufbau des
Traktates: Einleitung 11-2; Verpflichtung zum Vogelopfer
13-116; Verpflichtung zum Sündopfer III 1-10;
Verpflichtung zum Zweifel-Schuldopfer IV 1-VT 3; Nachträge
VI - 4-9.

Im ganzen Traktat ist das Fehlen speziell kultischer
Züge zu beobachten. Der Gesichtspunkt der Sammlung
ist der des betroffenen einzelnen. Es geht nioht um das
Funktionieren des Kultus; die haarspalterische Genauig-