Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1977

Spalte:

842-844

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Pannenberg, Wolfhart

Titel/Untertitel:

Gegenwart Gottes 1977

Rezensent:

Jenssen, Hans-Hinrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

841

Theologisch» Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 11

842

lieh und kann es gar nicht sein, weil 0. in seinen Schlußbemerkungen
meint feststellen zu können: „Die Gründe
der Verschiedenheit der einzelnen Deutungen der Zwei-
Reiche-Lehre wurzeln in Luther selbst" (184). Maßgeblich
ist vielmehr nach der Schriftgemäßheit und der systematischen
Klarheit einer Auslegung deren ethische Brauchbarkeit
für den Christen heute. Daß die Zwei-Reiche-Lehre
eine wirklich christliche Ethik, die „von den biblischen
Aussagen und von der Realität des Christusereignisses
ausgeht", ermöglichen muß, ist sein immer wiederkehrendes
Anliegen (29, vgl. 62, 80, 85, 101, u.ö.).

O. versteht die Arbeiten zur Zwei-Reiche-Lehre nach
1945 als eine „Apologie" der lutherischen Theologie und
Luthers selbst gegenüber dem Vorwurf, es sei „Luthers
Schuld, den weltlich-politischen Bereich so weit verselbständigt
und gleichzeitig .geheiligt' zu haben, daß jede
Art politischer Herrschaft, also auch das Hitlerregime, als
Repräsentanz des Willens Gottes anzusehen war" (2). Die
Nachkriegs-Theologie versuche entsprechend nachzuweisen
, „daß die Zwei-Reiche-Lehre Luthers legitimer
Ausdruck seiner Rechtfertigungslehre ist" (2). Der Vf.
entfaltet sein Thema in folgender Weise: „Im Ersten Teil
(,Der Ansatz der Zwei-Reiche-Lehre') werden die Geschichte
des Begriffes der Zwei-Reiche-Lehre, Luthers
Neuansatz und die Schriftgemäßheit der Lehre behandelt.
Der Zweite Teil (,Die Struktur der Zwei-Reiche-Lehre')
befaßt sich mit der Verwendung des Begriffes ,Reich' und
mit den Strukturelementen .Gesetz und Evangelium' und
den .Ordnungen'. Der Dritte Teil (,Die konkrete Gestalt
der beiden Reiche') fragt nach den Ordnungen des geistlichen
und weltlichen Reiches. Ein Vierter Teil schließlich
(,Dcr Christ und die beiden Reiche') untersucht die Ethik
der Zwei-Reiche-Lehre" (4). Im Zuge dieser Entfaltung
seines Themas analysiert Ohlig vor allem die Auslegungen
von Johannes Heckel, Paul Althaus, Helmut Thielicke,
Heinz-Dietrich Wcndland, Werner Eiert, Walter Künneth
und Wilfried Joest. Auch Ernst Kinder und Franz Lau
finden häufig Erwähnung, aber keine direkte kritische
Würdigung. Einige wichtige theologische Aufsätze von
andern Verfassern werden erwähnt und für die eigene
Argumentation ausgewertet. Merkwürdig wenig berücksichtigt
bleiben die Beiträge zur Zwei-Reiche-Lehre von
Gerhard Ebeling und Ernst Wolf. Dabei hätte O. in den
Aussagen von E. Wolf eine hilfreiche Unterstützung
seines eigenen Anliegens haben können, wenn er wie Wolf
den neutestamentlichen Begriff der Nachfolge in seine
Überlegungen zur Zwei-Reiche-Lehre einbezogen hätte
(vgl. E. Wolf „Königsherrschaft Christi und Zweireichlehre
" in „Kirche in der Zeit" 1964, S. 146-153).

Die von 0. vorgenommenen Analysen sind gut und aufschlußreich
und werden durch viele schematische Darstellungen
bzw. thesenartige Gegenüberstellungen veranschaulicht
. Es wird deutlich, daß der Vf. besonders viel
von der Position Heckeis hält, dessen Auslegung am breitesten
wiedergegeben wird (15-17, 151-161, 178-183). So
kann O. in einer Würdigung Heckeis sagen: „Die Priorität
des Geistlichen in allen Bezügen des christlichen Lebens
ist kaum deutlicher zum Ausdruck zu bringen. Vor allem
kann eine in der Weise Heckeis begründete Ethik und
Soziallehre nie in den Verdacht geraten, einer .Doppelmoral
' das Wort zu reden. Beeindruckend an Heckeis
Auslegung der Zwei-Reich-Lehre ist ferner ihre systematische
und logische Geschlossenheit: in der Tat eine Lehre
von den beiden Reichen im wahrsten Sinne des Wortes.
Sie berücksichtigt den eschatologisch-äonischen Kampf,
das Gesetz Christi der Bergpredigt und die Rechtfertigungslehre
in gleichem Maße. Sie erscheint theologisch
und noch mehr juristisch nach allen Seiten hin abgeschirmt
." (182f.) Als gewichtige kritische Anfrage an
Heckel bleibt eigentlich nur die Feststellung, „daß Luther
selbst wohl den Hauptakzent und sein größtes Bemühen
auf die weltliche Seite der Herrschaftsausübung Gottes
verlegt hat und auch weithin die bei Heckel so wohltuend

klare Terminologie wie auch die Logik der hier vorgetragenen
Systematik vermissen läßt" (160). Das ist froiliob.
im Sinne des Vfs. kein schwerwiegender Einwand gegen
Heckel. Denn im letzten Absatz des Buches kann 0.
sagen: „Die einzige Möglichkeit, der Zwei-Reiche-Lehre
zu einer brauchbaren Gestalt zu verhelfen, besteht... formal
in einer methodologischen Besinnung und einer
genauen Darlegung, welchen erkenntnistheoretisohen und
dogmatischen Geltungsanspruoh die Zwei-Reiche-Lehre
überhaupt beanspruchen kann, und sachlich in einem
wohlwollenden Aufgreifen und einer systematischen Aufarbeitung
des auch Luther ohne Zweifel nicht fremden
dritten Brauchs des Gesetzes..." (188).

Kritisch ist zu fragen, ob die neutestamentliche Äonenlehre
wirklich im Widerspruch steht zu der Herrschaft
Christi im Reich der Gnade und im Reich der Welt, wie
der Vf. in Auseinandersetzung mit Thielicke und Wendland
meint (37). Auch ist der Satz, Gott wolle im Evangelium
die Rechtfertigung des Menschen und nicht die
Erhaltung des äußeren Lebens (73), eine simplifizierende
Aussage. Hier hätte der im Literaturverzeichnis von O.
genannte Aufsatz von G. Ebeling „Die Notwendigkeit der
Lehre von den zwei Reichen" stärkere Beachtung verdient,
weil aus ihm hätte klarwerden können, daß das Evangelium
auch eine weltbewahrende Auswirkung hat, insofern
es die Welt durch den neuen Menschen punktuell als
Schöpfung Gottes wiederherstellt. Nicht glücklich ist die
Feststellung, daß der tertius usus legis dem Christen auch
„im Heilsprozeß eine Aktivität" zubillige (85), weil sie das
Mißverständnis nahelegt, als könne der Mensch sich sein
Heil jedenfalls anteilig durch eigene Aktivität verschaffen
und sichern, während O. doch meint, daß der von Gott
gerechtfertigte Mensch in einen geistlichen Reifungsprozeß
hineingestellt ist, in dem er zu eigener Aktivität befreit
und zum rechten Tun durch die Gebote angeleitet wird.
Die von Ohlig in der Anmerkung 395 angeführten Zeugen
(Althaus, Joost und Thielicke) sind hier sehr viel behutsamer
in ihren Aussagen. Ungenau ist die Behauptung
Ohligs, für Luther sei „der Wahnsinn des Obrigkeitsträgers
einziges Kriterium" für eine Revolution (136). Schon
die genauere Lektüre des ganzen Abschnittes in Thielickes
Ethik 11,2 (S. 399-460), aus dem 0. hier zitiert, sowie des
Anhangs I in Johannes Heckeis Buch „Lex charitatis"
hätte ihn vor einer solchen Verkürzung bewahren können.

Neben diesen kritischen Anmerkungen bleibt der Dank
für die guten Analysen der von Ohlig ausführlich besprochenen
theologischen Auslegungen zur Zwei-Reiche-
Lehre.

Cottbus Gottfried Forck

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Pannenberg, Wolfhart: Gegenwart Gottes. Predigten. München:
Claudius Verlag [1973]. 200 S. 8°. Kart. DM 18,-.

Pannenberg sagt im Vorwort zu seinen 22 Predigten
und 4 Morgenandachten aus dem Zeitraum von 1956 bis
1973, daß er durch ihre Veröffentlichung der theologischen
und kirchlichen Öffentlichkeit zeigen wolle, „daß und wie"
seine Theologie „sich auf die Predigt auswirkt", obwohl
er sich „lebhaft vorzustellen vermag, daß die theologische
Perspektive, an deren Entwicklung ich arbeite, auch zu
anderen Formen der Predigt führen könnte". „Ich bilde
mir nicht ein, daß meine Predigten homiletisch oder
rhetorisch besondere Anregungen zu bieten vermöchten"

In der Tat zeichnen sich die Predigten zwar durchaus
durch eine sehr klare, allgemeinverständliche Sprache und
Gedankenführung aus - ein Grunderfordernis jeder guten
Rhetorik -, machen aber von rhetorischen Mitteln im
engeren Sinne des Wortes, wie etwa brillanten, treffenden,