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Ausgabe:

1977

Spalte:

839-840

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Mann, Ulrich

Titel/Untertitel:

Die Religion in den Religionen 1977

Rezensent:

Gerber, Uwe

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 11

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Sündenschuld: Adam bin immer ich selbst. Bei Baumann
werde deutlich, daß das Faktum der Erbsünde und in Verbindung
damit die Sündensolidarität aller Menschen
immer nur theologisch-biblisch, nicht aber empirisch
erklärt werden könne.

In einem Epilog (Lingering-Problems and possible
Perspectives - S. 313-334) faßt der Vf. seine Bedenken
gegen die dargestellten theologischen Auffassungen noch
einmal zusammen. Die von den Situationalisten und Per-
sonalisten angewandten Termini, wie Situation, Existen-
tial, Freiheit, Person, Geschichte, seien dem theologischen
Sachverhalt erbsündiger Existenz keineswegs adäquater
als die tradierten Begriffe, die immerhin geeignet waren,
zwischen einem fehlenden natürlich-biologischen Medium
des Gnadenempfangs und dem effektiven sakramentalen
sauber zu unterscheiden. Die Interpretation mit Hilfe der
Kategorie der Privation überdies basiere auf der Annahme,
daß Gnade eine supranaturale Qualität sei, die den natürlichen
Menschen vervollkommne. Das zugrunde liegende
Verständnis von Natur und Gnade lehnt Vandervelde
als dualistisch ab. Wenn ferner die Privation lediglich
mittels einer ekklesiologischen Hypothese verteidigt werden
kann, so bleibe offen, wie ein Mangel an einem Existen-
tial, das nur durch eine Institution (sakramentalistische
Kirche) zugänglich wird, als Sünde bezeichnet werden
könne. Der Vf. vermißt eine tiefergehende Reflexion über
die ethische Verantwortung des Menschen und seine Stellung
vor Gott, gegen den er gesündigt hat: ,,... the critical
question concerning man's stance vis-a-vis God is left
undecided" (S. 321).

Vandervelde selbst versteht die Erbsünde in Anlehnung
an P. Smulders, der seinerseits in mancher Hinsicht von
Teilhard de Chardin abhängig ist, im Sinne von Rom 5
(die Sünde ist in die Welt „gekommen"). Der Mensch
steht nicht in neutraler Freiheit vor Gott, sondern als
schuldig, und er soll, durch Christus von der Macht der
Sünde befreit, in Gerechtigkeit und Liebe vor Gott leben.
Der Eintritt der Sünde in die Welt bedeute nicht Freiheit
oder Selbstwerdung des Menschen (gegen Rahner) und
auch nicht den Beginn menschlicher Geschichte (gegen
Vanneste), sondern geistlichen Tod und Versklavung:
„.. yet it is not simply a free act, but an expression of
slavery" (S. 331), während gleichzeitig gilt: „...the lib-
erating redirection histor ically inaugurated in Jesus Christ's
breaks through this stifling atmosphere of death" (S. 334).

Potsdam-Babelsberg Ilse Bertinetti

Mann, Ulrich: Die Religion in den Religionen. Stuttgart: Klett
[1975]. 293 S. m. 8 Abb., 1 Tabelle 8° = Edition Alpha, hrsg. v.
P. Wolff-Windegg. Kart. DM 38,-.

Beiträge zum Thema Religion - apologetische, legitimierende
, kritische, negierende - sind in den letzten
Jahren vermehrt erschienen. Religion wird erneut als
Möglichkeit wahrgenommen, über kirchliche, gesellschaftliche
und politische Grenzen hinweg zu kommunizieren in
der Frage nach letztem Sinn und in der Bildung von
(subkulturellen) Kleingruppen zum Zwecke gemeinsamen
Lebens. Aus diesem Grunde interessieren nicht mehr nur
historische Abrisse über die Entstehung und Ausbreitung
der verschiedensten Religionen, sondern religions-psycho-
logische, -philosophische und -soziologische Fragestellungen
rücken stärker in den Vordergrund. Der Theologie ist
damit die systematische Frage nach der „einen" Religion
in den Religionen und in eins die Frage nach Mission und
Toleranz in den einzelnen Religionen gestellt - die Frage
also, die bereits durch Lessings Ring-Parabel für den
Umgang aufgeklärter Menschen mit Religion gestellt
worden ist.

Als erstmals verschiedene Religionen aufeinandertrafen,
stellte sich die Frage als Machtprobe an die einzelnen
Stammesgötter. Erst die griechische Philosophie gab mit

ihrer Frage nach dem „einen Grund zugleich die erste
universalistische, konkurrierende Lösungen ausschließende
Antwort: daß dieses „Eine" der Grund der Welt
als eines organisch verbundenen Ganzen sei (S. 17ff.).
Religion ist dann formal zu bestimmen als „ganzheitliche
Beziehung zum Ganzen". Solche Religion ist vom Ich-Er-
und Ich-Du-Verhältnis her zu bestimmen, d.h., es wird
von christlich-personalen Kategorien ausgegangen, um
„die" Religion nach dem Schaubild der religiösen Windrose
philosophisch als existentiale Idee des Erhabenen,
Tiefen, Wahren und Schönen und dann psychologisch im
Medium des Empfindens durch den Typ des Geistvaters,
im Medium der Intuition durch die Große Mutter, im
Denken durch den Schöpfer-Gott und im Fühlen durch
den Weisheitslehrer darstellen zu können. Nach dem
Schema der Windrose werden dann die Farbenzuordnungen
vorgenommen, die Erkenntnissphären, die religions-
phänomenologischen und theologischen Typisierungen, die
schließlich in synoptischen Grundkategorien wie Himmel,
Erde, Vergangenheit, Zukunft zusammengesehen werden.
Im Anhang sind die verschiedenen Schemata und die
Kategorientafel zur schnellen und übersichtlichen Information
zusammengefaßt, so daß sich dieses Buch in seinem
Aufbau klar durchschauen und gut lesen läßt.

Die Intention dieses Buches ist klar: Vf. will seine bisherigen
mehr historisch (diachronisch) orientierten Beiträge
zu den Entwicklungsphasen des Gottesbewußtseins
in den altorientalischen und der biblischen Religion
(Theogonische Tage, Klett Stuttgart 1970) vergleichend
befragen (synchronisch) nach „der" Religion. Über die
einzelnen Ausführungen zum Bild der religiösen Windrose,
zu den religiösen Zeichen-Symbolen wie Gottperson, Tod-
überwinder, Gottseele, Weltüberwinder usw. kann und
soll hier nicht diskutiert werden. Hier interessiert abschließend
die Berechtigung der systematischen Frage
nach „der" Religion in den Religionen, wobei die Ablehnung
jeglicher religionsloser Theologie (etwa der dialektischen
Theologie) voll geteilt wird. Diese Frage ohne ein
Fragezeichen als Titel zu benützen, ist allerdings mutig
und bedarf der Diskussion. Einigkeit besteht sicher in dem
Hinweis, daß Religion die Sinn-Frage des Menschen st ellen
helfen und beantworten soll, daß sie als „Not-Warnung"
empfunden und als Gewährung von Freiheit erfahren und
bestimmt wird (S. 253). Nicht so eindeutig hingegen ist
die kulturpessimistische Beurteilung unserer Gegenwart ;
und die These, daß der Mensch ohne Religion der Freiheit
nicht gewachsen sei, muß erst erhärtet werden im Durchgang
etwa durch die christliche Religion. Es wird einem
empirisch denkenden Menschen der Neuzeit schwerfallen,
in den kleinsten Dingen des Alltags „die Harmonie des
Ganzen überraschend" geoffenbart zu sehen (S. 257). Daß
wir dies vielleicht gerne möchten und dies dann per Religion
zu erreichen versuchen, diese religionskritische Frage,
die das ganze Buch in Frage stellen würde, bleibt leider
ausgespart in diesem stark spekulativen, freilich in sich
konsequenten Beitrag zu einer heute wieder hochaktuellen
Problematik.

Rehburg-Loccum Uwe Gerber

Ohlig, Rudolf: Die Zwei-Reiche-Lehre Luthers in der Auslegung
der deutschen lutherischen Theologie der Gegenwart seit 1945.

Bern: Herbert Lang, Frankfurt/M.: Peter Lang 1974. XIV,
252 S. 8° = Europäische Hochschulschriften, Reihe XXIII:
Theologie Bd. 41. Kart. sfr. 41.40.

Wie schon der Titel des Buches sagt, geht es in ihm
darum, darzustellen, welche Auslegung die Zwei-Reiche-
Lehre in der deutschen lutherischen Theologie der Gegenwart
gefunden hat. Eine eigene Auslegung der Zwei-
Reiche-Lehre Luthers nimmt Ohlig nur in summarischen
Zusammenfassungen vor. Sie ist auch für die Kritik an
den verschiedenen Auslegungen nicht eigentlich maßgeb-