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Ausgabe:

1977

Spalte:

835-837

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Erik

Titel/Untertitel:

Hegels System der Theologie 1977

Rezensent:

Wendelborn, Gert

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 11

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Axiom von der absoluten UnVeränderlichkeit des göttlichen
, wahren Seins zu verstehen ist: ein raathematisch-
geometrischer, kosmologischer, jedenfalls alles Seiende
(Dinge und Personen) zunächst unterschiedslos umfassender
Verstehenshorizont" (163).

Was folgt daraus theologisch? Maas bringt „biblische
Ansätze" ins Spiel, nachdem er schon vor Beginn seiner
historischen Untersuchungen herausgearbeitet hat, daß
sich die Unveränderlichkeit Gottes durch die bislang dazu
herangezogenen „Standard-Stellen" - Ex3,14, Mal3,6,
Psl02 (101), 28, Jakl,17 - kaum begründen läßt. Freilich
argumentiert er im folgenden eher biblizistisch als biblisch,
er sucht nach einzelnen dicta probantia, statt die großen
Aussagen der christlichen Tradition von der Menschwerdung
und der Dreieinigkeit Gottes gegen den Unveränder-
lichkeitsbegriff zu verrechnen, statt die biblische Kategorie
des dynamischen, handelnden, Geschichte machenden
und eröffnenden Gottes dagegen ins Feld zu führen.
Es bleibt bei Andeutungen, aus Zitaten geborgt, wie denn
manche Abschnitte überhaupt unstrukturierte Zitat-
Sammelsurien darstellen (16-18,171-176!). Diese Methode
kann kaum geeignet erscheinen, noch im Vorbeigehen
Hegel und Vaticanum I in Sachen Unveränderlichkeit
Gottes miteinander zu konfrontieren oder gar die Konsequenzen
einer revidierten Lehre von der Unveränderlichkeit
Gottes für die „Unveränderlichkeit von Kirche,
Glauben, Dogma" (189ff.) zu ziehen.

Erlangen Hans-Marlin Barth

Schmidt, Erik: Hegels System der Theologie. Berlin-New York:
de Gruyter 1974. X, 210 S. 8° = Theologisehe Bibliothek Töpel-
mann, hrsg. v. K. Aland, K. G. Kuhn, C. H. Ratschow, u. E.
Schlink, 26.

So viele Arbeiten über Hegel auch schon erschienen sind,
Erik Schmidts Monographie über dessen Theologie ist
dennoch zu begrüßen, weil Hegels Theologie bisher nicht
im Mittelpunkt der Hegel-Interpretation gestanden hat.
Man liest dieses Buch mit Freude, weil es in Aufbau und
Diktion von bewundernswerter Klarheit ist . Gegenüber
anderen Autoren, die ihre wissenschaftliche Befähigung
durch eine eigenwillige, schwer verständliche Begrifflichkeit
und Satzungetüme unter Beweis stellen zu müssen
meinen, wirken Schmidts Sätze einfach und ungekünstelt.
Er beweist aufs neue, daß gerade eine solche Schlichtheit
dem behandelten Gegenstand zugute kommt, weil hier
ein Denker ganz der Sache zugewandt ist, deren Wahrheit
er anderen vermitteln möchte. Schmidt ist bestrebt,
Hegels philosophisch bestimmtes System der Theologie
als die rechte Art theologischen Denkens zu erweisen. Er
ist mit Hegel überzeugt, daß die Theologie, um Wissenschaft
zu sein, der logischen Denkformen bedarf, die
zugleich Seinsformen sind, weil sie sonst der Willkür und
dem Zufall verfällt (2f.). Er möchte Hegels Behauptung
rechtfertigen, seine Philosophie habe mehr von der Kirchenlehre
in sich als die herrschende Theologie seiner Zeit.
Darum setzt er bei Hegels Kant-Kritik ein, weil dessen
Skepsis gegenüber der gründlichen Erkennbarkeit der
Wahrheit dem menschlichen Geist Wert und Würde
raube (5). Der Verzicht auf die Erkenntnis Gottes als des
absoluten Geistes sei die letzte Stufe der Erniedrigung des
Menschen, der darin „zur Bescheidenheit des Viehes verkomme
" (9). Hegel polemisiert scharf gegen die Flucht der
Theologie aus der klaren Erkenntnis in ein subjektives
religiöses Gefühl (Schleiermacher!), denn erst die Vorstellung
gebe dem religiösen Gefühl einen objektiven
Inhalt (10f.). Auch dürfe der Glaube nicht als unmittelbares
Wissen der Erkenntnis entgegengestellt werden
(Jacobü), da Wissen und Gegenstand des Wissens zusammengehören
(13f.). Ebenfalls stößt der Empirismus
auf Hegels Ablehnung, weil die sinnliche Wahrheit nur die
Grundlage der Erfahrung ist, aber aus sich selbst weder

Allgemeinheit noch notwendigen Zusammenhang aufzeigt
(20f.). Endlich grenzt sich Hegel auch gegen den
Rationalismus ab, weil der Verstand nur für die Erkenntnis
der endlichen Welt geeignet sei und, wenn er auf die
Religion angewandt werde, deren spekulativen Gehalt zu
endlichen Gedanken verfälsche (26f.).

Im Gegensatz zum Verstand ist die Vernunft nach
Hegel in der Lage, Gottes Offenbarung als Geist zu rezipieren
(28); in diesem Sinne ist das Denken wie der Glaube
Gottes Werk im Menschen (36). Bekanntlich haben nach
Hegel Philosophie und Religion keinen unterschiedlichen
Gegenstand, sondern die Philosophie bringt nur das in der
Religion in Form der Vorstellung Enthaltene und dam Italien
Menschen Zugängliche zu begrifflicher Klarheit (521.).
Diese Versöhnung mit dem wissenschaftlichen Denken ist
erforderlich, so daß die christliche als höchste Religion
notwendig eine theologische Metaphysik aus sich freisetzt
(46f.). Andererseits braucht die Philosophie nicht erst
echte Religion im Menschen hervorzubringen, sondern sie
läßt vorhandene Religion begreifen (53f.). Die Spekulation
ist für Hegel jedoch nur das positive Moment in seiner
universalen dialektischen Betrachtungsweise, versteht er
doch die Dialektik als Grundlage alles Denkens und Seins
(59). Von hier her erschließt sich ihm deshalb auch die
Wirklichkeit Gottes. In immer neuen Ansätzen horcht er
die philosophischen Grundkategorien auf ihre Aussagekraft
hinsichtlich Gottes ab. Gott ist ihm das reine Sein als
konkrete Einheit aller Seinsbestimmungen, die nur als
Ganzes Sinn haben (69ff.), das Absolute, in dem Sein und
Nichts zusammenfallen als Unruhe in sich selbst (81ff.).
Dagegen kann die Kategorie des Daseins wegen der durchgehenden
Endlichkeit alles Existierenden auf Gott nicht
angewandt werden (85ff.). Er ist das Wesen mit dem ihm
eigenen Bestreben, sich selbst zur Erscheinung zu bringen,
und damit der Grund des Seins, während der Begriff eines
höchsten Wesens für Gott inadäquat ist (95ff.). Er ist die
Substanz als das Sein in allem Sein und die sich selbst
setzende Wirklichkeit und damit die Wahrheit alles
Existierenden und der absolute Mutterschoß, die Allgegenwart
des Grundes in den Dingen (100f.). Gegen den
in theologischen Kreisen in diesem Zusammenhang schnell
auftauchenden Vorwurf des Pantheismus merkt Schmidt
mit Recht an, Gott sei nicht einfach mit diesem oder
jenem Einzelnen identisch, sondern sei als dessen Ursprung
und Wesen dem Verstehenden darin präsent (103).
Der Substanz kommt Kausalität zu, und die absolute
Substanz ist in ihrem wesensimmanenten Drang nach
Selbstverwirklichung (Entelechie) geradezu absolute Ak-
tuosität (10411".). In diesem Sinne ist Gott die absolute
Notwendigkeit, während es in der Welt nur Möglichkeit,
Zufälligkeit und relative Notwendigkeit gibt (106ff). Für
Hegel besitzt auch der Zweckbegriff theologischen Charakter
, weil dieser die mechanischen und chemischen Kräfte
transzendiert und die der bloß sinnlichen Erfahrung unzugängliche
Sinnhaftigkeit des Kosmos aufleuchten läßt
(118ff.). Die höchste Definition Gottes in der spekulativen
Logik aber ist für Hegel die Idee als Einheit des Begriffs
und der Realität, als das Wirkliche, sofern es wahr ist
(128ff.). Als absolute Idee ist Gott für Hegel absolutes Ich
und damit Persönlichkeit. Selbstbewußtsein und Selbstentfaltung
(130f.).

Bei diesem Gedankenschritt scheinen mir die größten
Probleme jeder philosophisch bestimmten Theologie zu
liegen. Andererseits benötigt die Theologie mehr denn je
eine eindeutige ontologische Fundierung, und so verwundert
es nicht, daß wache Theologen beider großer
Konfessionen im deutschen Sprachraum sich im letzten
Jahrzehnt Hegels Werk aufs neue mit gesammelter Aufmerksamkeit
zugewandt haben. Wegweisend dürfte darüber
hinaus sein, daß Gott bei Hegel als unendlicher
Prozeß und damit als zutiefst dynamisch verstanden
wird. Ihm dient zur Sicherung dessen gorade die Trinitäts-
lehre, wobei seine grundlegende Erkenntnis von dem aller