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Ausgabe:

1977

Spalte:

834-835

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Maas, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Unveränderlichkeit Gottes 1977

Rezensent:

Barth, Hans-Martin

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 11

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worrenen Phantastik mythologischer Vorstellungen stek-
kenblieb (83ff.). - Typisch für das ma. Sektenwesen überhaupt
sei die Konzentration auf ein einziges Moment und
die Isolierung dieses Problems gewesen (98), doch sei diese
Isolierung nicht schuldhaft, weil sie Ausdruck ihrer objektiven
Situation in einer für die Revolution noch längst
nicht reifen Zeit gewesen sei (105); auch habe die Illegalität
ihrer Existenz ihnen die Möglichkeit vorenthalten, im
Widerstreit der Meinungen die eigene Begrenztheit und
Einseitigkeit zu überwinden (107).

Die wahrscheinlich um 1400 in Böhmen weit verbreiteten
Waldenser traten zunächst in keinerlei Kontakt zur
entstehenden hussitischen Revolte (115); nach Hus' Tode
aber nutzten sie die allgemeine Krise im Lande zur Massenpropaganda
, bekannten sich zu Hus' Vermächtnis als
Kämpfer gegen ein illegitimes Kirchenwesen und schmolzen
ihr Programm in den radikalen Hussitismus um
(llöff.). Vf. sieht diesen Tatbestand mit Recht in der
Ablehnung von Tötung, Eid, Fegefeuer, Heiligen- und
Bilderverehrung und fast des gesamten gottesdienstlichen
Ritus als Werkzeuge priesterlicher Erpressung und Überheblichkeit
bezeugt und betrachtet Nikolaus von Dresden
als den theoretischen Begründer dieser Haltung. Hier löse
sich die Kirche als feudale Institution in die allgemeine
Gemeinschaft guter Christen mit gleichen Rechten und
Pflichten auf. Dieser Wandlungsprozeß sei durch die
Übernahme des Kelches abgeschlossen worden.

Vf. zeigt, wie seit Herbst 1419 in einer zweiten Ent-
wicklungsphase chiliastische Erwartungen in den radikalen
Hussitismus eindrangen (128ff.), mit deren Hilfe positive
Vorstellungen eines gesellschaftlichen Wandels entwickelt
werden konnten; zunächst hätten hierbei wunder-
haft-supranaturale Züge überwogen, dann aber habe sich
der Kampfgedankc als der einer aktiven Teilnahme der
Gläubigen am Werk der Vernichtung der alten, gottlosen
Welt immer mehr durchgesetzt, der Sinn für die gesellschaftliche
Wirklichkeit habe sich zusehends vertieft und
das bäuerlich-plebejische Tabor habe so ein reales Programm
der Beseitigung der Feudalordnung aufstellen
können. Die letzte Modifikation dieses Chiliasmus aber
habe pikardisch-pantheistischen Charakter besessen. Dabei
werden mit Recht die adamitischen und pikardischen
Strömungen klar voneinander getrennt, beide detailliert
untersucht und auch gemäßigtes und radikales Pikarden-
tum sorgfältig unterschieden. Als positiv betrachtet Vf.
an diesen Strömungen besonders die Verbindung antikirchlicher
bzw. freigeistiger mit revolutionären Programmzielen
sowie den Pantheismus der Adamiten(166ff.)
und hält auf Grund dessen diese Endphase des radikalen
Hussitentums nicht für sektiererisch.

Mit vollem Recht grenzt Vf. das radikal-bürgerliche
Tabor, das für die Welt am ehesten durch den Namen
Zizka gekennzeichnet ist, vom bäuerlich plebejischen
Tabor ab. Auch die radikal-bürgerliche Fraktion in Prag
unter Jan 2elivsky wird differenziert charakterisiert. So
sehr seine Sympathie auf Seiten der radikalen Hussiten
ist, bezichtigt Vf. den bürgerlichen Hussitismus doch
nicht des Verrats an der Revolution; er betrachtet die
Niederlage des radikalen Hussitismus taboritischer Prägung
als gesetzmäßig. Der gemäßigte Hussitismus bürgerlich
-kleinadliger Formung habe zwar das Feudalsystem
nicht beseitigt, sondern nur zu seinen Gunsten modifiziert
(218), doch bedeute die Schlacht bei Lipany nicht die
Niederlage des Hussitismus an sich, sondern seine neue
Konsolidierung auf der Basis der rechten Mitte. In den
Kompaktaten seien die wesentlichen Elemente des hussitischen
Programms in rechtsgerichtet eingeengter Auffassung
enthalten. So sei der Kampf des Podiebrader
Utraquismus um die Kompaktaten als letzte Etappe der
revolutionären Hussitenkriege anzusehen, in der endlich
eine Stabilisierung erreicht worden sei (223). Die Rechte
habe zwar die Linke beseitigt, sich aber deren revolutionäre
; Siege für die Realisierung ihrer begrenzten Klassenziele
nutzbar gemacht (227). Vf. sieht im böhmischen
Ständeaufstand 1618-20 sogar eine Art böhmischer
Glorious Revolution, die freilich im Gegensatz zur englischen
keinen dauerhaften Erfolg erzielen konnte (366).
Solche Thesen bilden die Grundlage für ein fruchtbares
Sachgespräch, das auch für den Kirchengeschichtler aufschlußreich
sein kann.

Rostock Oert Wendelborn

PHILOSOPHIE
RELIGIONSPHILOSOPHIE

Maas, Wilhelm: Unverändcrlichkeit Gottes. Zum Verhältnis von
griechisch-philosophischer und christlicher (lot tcslehre. München
-Paderborn-Wien: Sehöningh 1974. 211 S. gr. 8° = Paderborner
theologische Studien, hrsg. v. P>. Bäumer. J. Ernst,
H. Mühlen, I. Kart. DM 24,-.

Wie verhalten sich im Blick auf die Lehre von Gott, auf
die Theologie insgesamt, Geschichtlichkeit und Unver-
änderlichkeit zueinander? Das ist das Problem gerade des
katholischen Theologen der Gegenwart. Die Paderborner
Dissertation sucht es zu klären in einem - nicht als glücklich
zu bezeichnenden - Gefüge von historischer, exegetischer
und dogmatischer Argumentation.

Maas mustert die Aussagen über die Unveränderlichkeit
Gottes in der griechischen Philosophie (34-86), bei Philon
von Alexandrien (87-121) und schließlich in der Patristik
(125-162) durch. Der Stoff wird asyndetisch aneinandergereiht
und erscheint streckenweise keineswegs auf das
eigentlich theologische Problem zentriert. Das Herz des
Autors schlägt offenbar in der Analyse der vorchristlichen
Geschichte des Unveränderlichkeits-Axioms. Der „termi-
nus technicus für die Unveränderlichkeit des wahren
Seins" bei Plato - itl x«rä ratzet xai ihaavttos fytw — ist
derselbe, der im mathematisch-geometrischen Bereich
„zur Bezeichnung der Bewegung des Kreises dient" (50f.).
Er kennzeichnet den „Gesamt-Verständnishorizont des
platonischen Denkens" (52), der dann von Aristoteles,
dem mittleren Piatonismus, den Neupythagoreern und
schließlich Plotin modifiziert bzw. präzisiert wird; mit der
mathematisch verstandenen Unveränderlichkeit der Gott-
Monas bei Jamblich „steht das griechisch-philosophische
Grundgesetz von der absolut starren Unveränderlichkeit
Gottes hinsichtlich seiner Begründung und Interpretation
auf einem inneren Höhepunkt" (80).

Als Schlüsseltext fungiert die Schrift „Quod deus sit
immutabilis" des Philon von Alexandrien; hier kreuzen
sich griechisches und alttestamentliches Denken, bekanntlich
zu des letzteren Ungunsten. Daß Maas bei der Würdigung
Philos die Arbeit von U. Früchtel (Die kosmologi-
schen Vorstellungen bei Philo von Alexandrien. Ein Beitrag
zur Geschichte der Genesisexegese, Leiden 1968) und
vor allem die Studie von H. Braun (Wie man über Gott
nicht denken soll. Dargelegt an Gedankengängen Philos
von Alexandria, Tübingen 1971) entgangen ist, erweist
sich als empfindlicher Mangel.

Die Rezeption des Unveränderlichkeits-Axioms in der
Patristik wird ebenfalls nicht nach Motiven und Argumentationsfiguren
vorgeführt, sondern nach charakteristischen
Vertretern: Klemens von Alexandrien, Origenes,
Arius im Konflikt mit Athanasius, Augustin. Dabei kommt
es zum Aufweis einzelner Abhängigkeiten der christlichen
von griechischen Autoren, oft aber auch nur zur Einordnung
patristischen Denkens in den griechisch-philosophischen
„Verstehenshorizont" (125, 142, 144, 151, 163-
vgl. 42, 52, 58, 60, 68,77f., 115). Klar ist, daß die Quelle für
die Lehre von der Unveränderlichkeit Gottes „in dem
Unveränderlichkeits-Axiom der griechischen Philosophie
zu finden ist. Es ist außerdem der Gesamthorizont deutlich
geworden, innerhalb dessen und aus dem heraus dieses