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Ausgabe:

1977

Spalte:

823-825

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Reiling, Jannes

Titel/Untertitel:

Hermas and Christian prophecy 1977

Rezensent:

Kraft, Heinrich

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Theologisohe Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 11

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Doppelpaginierung und ein Bibelstellenregister bereichert.
Durch ihren Nachdruck wird eine wichtige Lücke geschlossen
und Grundlagenliteratur der neutestamentli-
chen Wissenschaft weiterführend und hilfreich in das
theologische Gespräch der Gegenwart eingebracht.

Erlangen Otto Merk

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Reifing, J.: Hermas and Christian Prophecy. A Study of the elev-
enth Mandate. Leiden: Brill 1973. X, 197 S. gr. 8° = Supplements
to Novum Testamentum, ed. by W. C. van Unnik, P.
Bratsiotis, K. W. Clark, H. Ciavier, J. W. Doeve, J. Doresse,
C. W. Dugmore, J. Dupont, A. Geyser, W. Grossouw, A. F. J.
Klijn, Ph. H. Menoud, Bo Reicke, K. H. Rengstorf, E. Stauner,
XXXVII. Lw. hfl. 56,-.

Unter den Apostolischen Vätern - der Begriff wird nur
in seinem üblichen Sinn benötigt, in diesem aber dringend
- unter den apostolischen Vätern nimmt der Hirt
des Hermas zunächst durch seinen Umfang eine Sonderstellung
ein. Das Buch ist länger als der Rest der Schriften
gruppe. Eine Sonderstellung hat das Buch aber auch
trotz seiner 100 und mehr Seiten, die es in den verbreiteten
Druckausgaben umfaßt, durch die geringe Bedeutung,
die ihm in den kirchen- und dogmengeschichtlichen Darstellungen
zukommt. Nur mit der Verkündigung der
zweiten Buße nach der Taufe, mit der es möglicherweise
offene Türen eingerannt hat, spielt Hermas hier eine relativ
bescheidene Rolle. Auch in den letzten Jahrzehnten
haben die Fragen, die man an ihn nach seiner Theologie,
Christologie, Pneumatologie und Ekklesiologie gerichtet
hat, selten Ergebnisse gezeitigt, die zugleich überraschend
und überzeugend waren. Nach dem Kommentar von
Martin Dibelius sind nur auf dem Gebiet der von diesem
absichtlich zurückgeschobenen Literarkritik deutliche
Fortschritte erzielt worden. (Die Versuche, zwischen
Hermas und der Sektenregel eine Verbindung herzustellen
, waren aus der Qumranbegeisterung der ersten
Nachkriegsjahre zwar nicht zu entschuldigen, aber doch
zu erklären.) - Andererseits ist in den letzten Jahren das
lange schlafende Interesse an der urchristlichen Prophetie
wieder erwacht. Daher ist es von der Themenwahl her
nach zwei Seiten zu begrüßen, daß der Vf. sich „Hermas
und der christlichen Prophetie" zugewandt hat.

Hermas hat seinen Stoff gewaltsam in Visionen, Gebote
und Gleichnisse eingeteilt. In dem hier untersuchten elften
Gebot beschreibt er den Pseudopropheten und stellt ihm
den mit dem Gottesgeist begabten Propheten gegenüber.
Daraus ergeben sich für den Vf. die sieben Themenkreise,
die er kapitelweise abhandelt. (Kap. 8 „Conclusions" ist
ein knapper Epilog, der den Schwerpunkt der Ausführungen
unterstreicht.)

In Kap. 1 „Hermas und die christliche Prophetie"
finden Stellung, Funktion, Legitimation und Inspiration
des Propheten ihre Darstellung. Der Vf. unterscheidet die
mit dem Prophetentitel ausgezeichneten Wander- und
Ortspropheten von den prophezeienden nichtbeamteten
Gemeindegliedern, doch ohne den wahren Propheten des
Hermas einer der Kategorien klar einzuordnen. Im Hermasbuch
ist das Verhältnis der Prophetie zur örtlichen
Gemeindeleitung friedlich und zur Zusammenarbeit bereit
. Die Funktion der Propheten besteht in der Mitteilung
des aktuellen Gotteswillens an die gegenwärtige Gemeinde.
Von den Möglichkeiten der Legitimation am wichtigsten
ist die Anerkennung durch die Gemeinde auf Grund ihrer
Fähigkeit zur Diakrisis pneumaton. - Kap. 2 beschäftigt
sich mit der Person des Hermas. Der Ausgangspunkt des
Vfs. ist hier Martin Dibelius' Kommentar; er meint, Dibelius
habe seine Versuche, die Probleme des Hermas durch
Traditionskritik zu lösen, nicht durchweg zu Ende geführt
und bei einem Kommentar dieses Umfangs auch nicht zu

Ende führen können. Er sei später vielleicht auch darum
nicht mehr darauf zurückgekommen, weil die theologische
Anspruchslosigkeit des Hermas für ihn keine ausreichende
Anziehungskraft gehabt habe. (Das braucht nicht ganz
falsch zu sein, auch wenn Dibelius das gewiß nicht zugegeben
hätte; wer außer ihm hat soviel Mühe und Scharfsinn
auf unser Buch verwandt!) Demgegenüber bekennt
sich der Vf. zu den Arbeiten E. Petersons, der die Traditionen
und Bilder des Hermas in möglichst weitem Kontext
zu verstehen versucht und dadurch zum Reden gebracht
habe. (Das ist richtig über Peterson, aber ungerecht
über Dibelius geurteilt.) Der Vf. entscheidet sich
dafür, das Buch sei im 1. Viertel des 2. Jhs. geschrieben
und im 4. Jahrzehnt in Rom abschließend überarbeitet
worden. In der Frage nach der biographischen Verwertbarkeit
der Angaben zur Person des Hermas will er sich
nicht festlegen; das Milieu sei als Mischung ursprünglich
judenchristlicher und hellenistischer Elemente aufzufassen
. - Kap. 3 „Das elfte Gebot" kann als erläuternde
Inhaltsangabe des untersuchten Textes bezeichnet werden
. Absicht des Hermas ist, den Kontrast zwischen Prophet
und Pseudoprophet herauszuarbeiten. 'Der Vf. versucht
nachzuweisen, daß das Bild des Pseudopropheten
nach der Vorstellung gezeichnet ist, die die Gemeinde
vom heidnischen Wahrsager besaß. Der Gedankengang
hat seine Hauptstütze in dem Umstand, daß Irenaus bei
seiner Beschreibung des Gnostikers Marcus - der in der
Tat wie ein heidnischer Wahrsager hingestellt wird - das
Bild des Pseudopropheten bei flermas benutzt hat. Das
Hauptargument ist in diesem Zusammenhang, daß nach
Hermas der Heilige Geist nur aus eigenem Antrieb durch
den Propheten spricht, während der heidnische Mantis
seine Orakel auf Anfrage erteilt. Kap. 4 geht auf diesen
Gegensatz zwischen Prophetie und Mantik genauer ein
und präzisiert und begründet die These, der Pseudoprophet
des Hermas sei eine in der christlichen Gemeinde
nach dem Vorbild heidnischer Wahrsager wirkende Gestalt
. Der Vf. hat in diesem Zusammenhang viel Material
über heidnische Wahrsager zusammengebracht. Das ist
interessant zu lesen; wenn es nicht viel an Argument
über den Gnostiker Marcus hinaus zufügt, dann liegt das
vor allem an der Kürze des Hermastexts. Kap. 5 „Prophetie
und Heiliger Geist" ist der interessanteste und ergiebigste
Teil des ganzen Buches. Das Kapitel leidet etwas
unter dem Umstand, daß sein Gegenstand eine breitere
Darstellung der Pneumatologie und Angelologie des Hermas
erfordert hätte. Der Gedankengang geht von den
Kennzeichen des Propheten nach Hermas aus: er antwortet
nicht auf Fragen, er redet nicht für ein Konvcntikel
und läßt sich nicht durch Anordnungen von Menschen
zum Prophezeien veranlassen. Die Inspiration wird durch
einen Akt des „Engels des prophetischen Geistes" bewirkt,
und die Beziehung zwischen dem Propheten und diesem
auf ihm ruhenden Engel ähnelt der zwischen dem Gnostiker
Marcus und seinem Daimon parhedros. Die Analogie
beider veranlaßt den Vf. zu dem Schluß, der Engel des
prophetischen Geistes sei ein Gemisch aus jüdischen,
christlichen und hellenistischen Vorstellungen. (Voraussetzung
für diesen Schluß ist freilich, daß man die Entwicklungsgeschichte
des Engelbegriffs auf sich beruhen
läßt). Da Hermas den Pseudopropheten als „erfüllt vom
leeren Geist" beschreibt, ergibt sioh, daß der Prophet,
ungeachtet seiner Aktivierung durch den Engel, den
Heiligen Geist bereits in sich tragen muß, damit es zu
Inspiration und Prophetie kommen kann. - Kap. 6
„Prophetie und Kirche" will zeigen, daß es in der Kirche
keinen von den Gemeindegliedern durch höheren Geistbesitz
unterschiedenen Propheten- und Pneumatikerstand
gibt. Nach Hermas ist die Gegenwart des Geistes die
grundlegende, sein ganzes Leben begleitende Erfahrung
des Christen, und die Einheit der Kirche wird allein durch
den Geist verwirklicht. Daraus ergibt sich die wechselseitige
Abhängigkeit von Prophet und Kirche: der Geist