Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1977

Spalte:

821-823

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kümmel, Werner Georg

Titel/Untertitel:

Römer 7 und das Bild des Menschen im Neuen Testament 1977

Rezensent:

Merk, Otto

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

821

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 11

822

NEUES TESTAMENT

Kümmel, Werner Georg: Römer 7 und das Bild des Menschen im
Neuen Testament. Zwei Studien. München: Kaiser 1974. XX,
234 8. 8° = Theologische Bücherei. Neudrucke und Berichte aus
dem 20. Jalirh., hrsg. v. G. Sauter. Neues Testament, 53.

Es war ein glücklicher Gedanke des Herausgebers der
,Theologische(n) Bücherei', Gerhard Sauter, den Autor zu
veranlassen, seine Dissertation „Römer 7 und die Bekehrung
des Paulus" (1929) und „Das Bild des Menschen im
Neuen Testament" (1948) in einem Band im Wiederabdruck
zu vereinigen. Die beiden in der Fachwelt weithin
bekannten Untersuchungen, deren Ergebnisse in zahlreichen
Arbeiten (einschließlich Kommentaren) ihren
Niederschlag fanden, brauchen nicht erneut im einzelnen
vorgestellt zu werden.

Mit Recht kann der Vf. in einem neuen Vorwort darauf
verweisen, daß die Diskussion über ,Römer 7' weithin an
seine Dissertation anknüpft. Zeigten schon die ersten
Rezensionen ein vielstimmiges, internationales Echo (vgl.
z. B. A. Oepke, ThLBl 51, 1930, Sp. 214f.; A. E. Garvie,
ET 42, 1930/31, S. 328f.; M.-J. Lagrange, RB 39. 1930,
S. 618f.; K. Staab, ThRv 29, 1930, S. 497), so faßt R.
Bultmann folgendermaßen sein Urteil zusammen: „Die
neuste Monograpbie [zum Thema .Römer 7']..., die von
W. G. Kümmel, bat die Fragen mit mustergültiger Vorsicht
und Sorgfalt und mit richtigem Urteil behandelt"
(in: Römer 7 und die Anthropologie des Paulus, in:
Imago Dei, FS Gustav Krüger, 1932, S. 53; vgl. ders.,
ThR, N. F. 6, 1934, S. 232L). Und jüngst hat R. Schnakkenburg
(in: Römer 7 imZusammenhang des Römerbriefes,
in: Jesus und Paulus, FS W. G. Kümmel, 1975, S. 283)
festgestellt : „W. G. Kümmel hat mit seiner Dissertation...
der Deutung des ,Ich' auf den unerlösten Menschen in
Auseinandersetzung mit anderen Auffassungen, in sorgfältiger
Exegese und mit überzeugenden Argumenten aus
der paulinischen Theologie zum bleibenden Durchbruch
verholfen. Mit Recht betont er, ,daß die Schilderung
dieses Menschen ja von dem Christen Paulus gegeben
wird, der von dem Bewußtsein des Erlösten aus den Kampf
und die Erlösungssehnsucht des Nichtchristen schildert'
TS. 1181. Diese Arbeit, die seinen wissenschaftlichen Weg
eröffnete und auch heute nichts von ihrer Bedeutung verloren
hat", ist über ihr Ergebnis hinaus gerade auch wegen
ihres vorbilrllichen methodischen Aufbaus hervorzuheben:
Kap. I: „Das 7. Kapitel im Zusammenhang des Römerbriefs
" und Kap. II: „Grundbegriffe der paulinischen
Anthropologie" behandeln die unerläßlichen Voraussetzungen
zum Verständnis von Römer 7, während in Kap.
III: „Hauptfragen der Interpretation von Römer 7, abgesehen
von der Subjektfrage" umfassend erörtert werden;
in Kap. IV schließlich wird „Das Subjekt des 7. Kapitels
des Römerbriefs" mit dem o. g. Ergebnis herausgearbeitet
und damit eine alte, seit den Tagen der Kirchenväter
umstrittene Frage überzeugend gelöst, indem gezeigt
wird, „daß das Verständnis von Rom 7,7-25 als Stilform
die Schwierigkeiten beseitigt, die sich jeder andern Erklärung
widersetzen, und daß dies Verständnis durchaus
auch von den ersten Lesern geteilt werden konnte"
(S. 126). - Entfällt Römer 7 als Beleg für „eine Darstellung
der inneren Entwicklung des Paulus" (S. 138), so muß
notwendigerweise die Bekehrung des Völkerapostels in
neuem Licht erscheinen, wie der Vf. in Kap. V: „Die
Bekehrung des Paulus" anhand pln. Aussagen und der
betr. Stellen der Apg in umsichtiger und die Grenzen
unseres Wissens berücksichtigender Weise zeigt.

Wenn auch der Vf. mit Recht betont : „die Behandlung
der Geschichte der Exegese von Rom 7 wäre m. E. nur
dann sinnvoll durchzuführen, wenn man sie auf dem
Hintergrunde einer Geschichte der Gesamtexegese des
Römerbriefs geben würde" (S. 74), so hat er doch selbst
8<"hr bedeutsame forschungs- und cxegescngeschichtliche

Ausführungen beigesteuert (z. B. S. 39ff., 75ff„ 119f.,
139ff.), und im Abstand von nunmehr einigen Jahrzehnten
seit der Erstveröffentlichung kann gesagt werden, daß
K. in seiner Dissertation eine umfassende Forschungsgeschichte
zu Römer 7 und seinen ant hropologischen Implikationen
von H. Lüdemann (1872) bis in die ersten Jahre
der .dialektischen Theologie' bietet (mit nahezu vollständiger
Aufarbeitung der Literatur von 1900 bis etwa 1928).

Der Fortgang der Forschung zu Römer 7 wird in der
zweiten Untersuchung dieses Bandes, in der naturgemäß
die anthropologischen Vorstellungen des Paulus die umfassendste
Behandlung erfahren, skizziert (S. 178-198,
bes. 185ff.). Hier geht K. auch auf Einwände und Ergänzungen
hinsichtlich seiner Dissertation ein (vgl. bes.
S. 184 Anm. 55; S. 188 Anm. 62), und in „Ergänzungen
zu den Anmerkungen" (S. 217ff.) und in einer umfassenden
Literaturauflistung zu „Römer 7 seit 1960" (S. 224f.)
wird materialiter die Diskussion bis in die Gegenwart
verzeichnet. Desgleichen wird die „Literatur zur Bekehrung
des Paulus seit 1929" zusammengestellt (S. 225f.).

„Das Bild des Menschen im Neuen Testament" wird
im Wiederabdruck der 1. Aufl. (1948) geboten, eine zweite,
in Anmerkungen erweiterte englische Ausgabe (1963) ist
nicht in deutscher Fassung erschienen. Es war darum
sinnvoll, die erweiterten Anmerkungen der deutschen
Erstausgabe beizufügen (S. 217-223) und durch die „Literatur
zum Menschenbild im Neuen Testament seit 1960"
zu ergänzen (S. 226f.).

Im übrigen genügen auch hier einige Hinweise: K.
skizziert zunächst „Die Problemlage", um dann die anthropologischen
Vorstellungen bei „Jesus nach dem synoptischen
Kerygma", bei „Paulus", im Hinblick auf „Die
johanneische Theologie" und schließlich bei ,,D(en) übrigen
Schriften des Neuen Testaments" in gedrängtem
Durchgang zu entfalten mit dem Ergebnis, daß „trotz
aller Verschiedenheiten in Einzelheiten von einem einheit lichen
Menschenbild des Neuen Testaments" mit Ausnahme
der Areopagrede (Apg 17) und 2Petrl,4 (starke
hellenistische Beeinflussung) gesprochen werden kann
(S. 209). Das Ernstnehmen des geschichtlichen Gewordenseins
des Neuen Testamentes verhindert jede unsachgemäße
Einebnung der anthropologischen Vorstellungen
(S. 213) und fordert die Erörterung der inneren Kanongrenze
heraus, denn die anthropologischen Aussagen im
NT können nur „auf dem Hintergrund" der „neutesta-
mentliche(n) Verkündigung von Gottes Heilshandeln am
Menschen" voll erfaßt und beurteilt werden (S. 164).

Wie aktuell bei aller Fachbezogenheit K.s Untersuchungen
für die heutige Diskussion sind, können wenigstens
zwei Hinweise verdeutlichen: Einerseits: Angesichts
einer immer stärker auf sich selbst bezogenen Anthropologie
im theologischen Schrifttum der Gegenwart wird
man sich vom Vf. ins Gedächtnis rufen lassen: „Alle neu-
testamentliche Verkündigung handelt ja von Gottes Verhalten
dem Menschen gegenüber und von der Aufgabe des
Menschen angesichts dieses göttlichen Verhaltens; alle
christologischen, kosmologischen, ethischen Aussagen
wollen darum nur dazu dienen, Gottes Heilshandeln der
Menschheit gegenüber zu beschreiben und die Menschen
zur rechten Antwort auf dieses göttliche Handeln zu veranlassen
. Darum setzt die gesamte neutestamentliche
Heilsverkündigung nicht nur ein Bild vom Menschen
voraus, auf den die christliche Botschaft trifft, sondern
die Darstellung der Wirkung des göttlichen Heils ist weitgehend
auch Schilderung des durch Gottes Handeln
erneuerten Menschseins" (S. 165f.). - Andererseits die
aus .Römer 7' gewonnene „Einsieht", „unsere Lage und
Lebcnsansehauung am Text zu prüfen, nicht aber den
Text unserer Lage anzupassen" (S. 108).

Die von Martin Dibelius betreute Dissertation und die,
Walter Bauer zum 70. Geburtstag gewidmete Abhandlung
über das .Menschenbild' (beides nicht mehr erwähnt) sind
neben dem fort geführten Literaturverzeichnis durch