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Ausgabe:

1977

Spalte:

818-819

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Cross, Frank Moore

Titel/Untertitel:

Studies in ancient Yahwistic poetry 1977

Rezensent:

Herrmann, Wolfram

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817

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 11

818

25, 1974, S. 114-122) behandelt in verschiedenen Beispielen
(frühe Halakhah in den Targumim ; die Aggadah vom
Krieg Jakobs und seiner Söhne gegen die amoritischen
Könige; der Midrasch vom Angebot der Torah auch an die
Völker der Welt) das Verhältnis zwischen den aggadi-
schen Traditionen in den palästinischen Targumim und
in den Midraschim und die Frage des Alters dieser Traditionen
. Der Autor kommt zu dem zusammenfassenden
Ergebnis: „Obwohl es nicht berechtigt ist, das ganze
aggadische Material, das sich in den Targumim findet und
das ihnen eigen ist, als alt hinzustellen und (obwohl) wir
keine eindeutigen, einfachen und erprobten Maßstäbe in
der Frage des Alters jeder einzelnen Aggadah besitzen,
sind wir dennoch zu einem solchen Stand in der Erforschung
der Targumim gekommen, daß es über allen Zweifel
erhaben ist, daß das frühe Material in ihnen einen bedeutenden
Raum einnimmt und großes Gewicht hat"
(S. 161f.).

Mit dem „Verhältnis der babylonischen Gelehrten zur
Aggadah" befaßt sich das elfte Kapitel (S. 163-179;
239-241). Es arbeitet in glänzender Weise den unterschiedlichen
Zugang der babylonischen und der palästinischen
Gelehrten zur Aggadah heraus. Während man in
der palästinischen Aggadah oft noch ein spielerisches
Element spüren kann und eine gewisse Selbstironie der
palästinischen Autoren, die durchaus nicht alles ernst
und wörtlich nehmen, was sie sagen, ist die Einstellung
der Babylonier sehr viel ernsthafter. Ihre strengere hala-
khisehe Schulung führt auch in der Aggadah zu einer „tatsachenorientierten
Auffassung" (S. 165), die sich u. a. in
dem Bestreben zeigt, nicht nur Bibeltexte, sondern auch
einander widersprechende Aggadot zu harmonisieren.
Besonders gelungen ist die Analyse der Aggadah, in der
Gott den Engeln verbietet, das tägliche Loblied vor ihm
anzustimmen, weil seine Söhne in Gefahr sind (S. 175ff.).
Im ursprünglichen (pal.) Kontext bezieht sich diese
Aggadah auf die Israeliten vor dem Durchzug durch das
Rote Meer; in der babylonischen Fassung dagegen geht es
um die Ägypter, die „im Meer versinken ' und über deren
Schicksal Gott trauert. H. vermutet, daß diese Änderung
auf einen Irrtum in der Überlieferung der Aggadah zurückzuführen
ist, doch wäre vielleicht auch zu erwägen,
ob es sich nicht um eine bewußte Änderung der ursprünglichen
Aussage handelt.

Das zwölfte und letzte Kapitel des Buches („Frühe
Aggadot und ihre Bearbeitung in den Pirqe Rabbi Eliezer
, S. 181-199; 242-247) ist einem Midrasch gewidmet,
der für die Aggadah-Forschung von besonderem Interesse
ist. Die „Pirqe (de) R. Eliezer" gelten als Zwischenglied
zwischen den exegetischen und homiletischen Midraschim
der klassischen Zeit und den fortlaufenden Erzählungen
des frühen Mittelalters; ihre Endredaktion wird relativ
spät (8. Jh. n. Chr.) angesetzt. Dennoch enthalten sie
zahlreiche Traditionen, die sich nur hier und in sehr viel
früheren Quellen (Apokryphen/Pseudepigraphen, Targumim
) nachweisen lassen und sind somit ein besonders
charakteristisches Beispiel für die langlebige mündliche
Überlieferung von Aggadot. Besonders auffällig ist, wie
H. anhand von verschiedenen Beispielen nachweist, eine
merkwürdige „Mischung" von sowohl apologetischen als
auch polemischen Tendenzen im gesamten Buch. Erklärt
man, was naheliegt, die apologetischen Aggadot mit
bewußter Zurückhaltung gegenüber dem Isalm, ist die
Verwendung polemischer Motive um so unverständlicher.
H. möchte diesen Widerspruch mit dem Hinweis auf mögliche
(mündliche) Aggada-Sammlungen auflösen, die dem
Vf.

vorgelegen haben könnten und die er, ohne die verschiedenen
Tendenzen zu harmonisieren, übernommen
hätte; konkret denkt er dabei an die Targumim (oder
genauer: mündliche Sammlungen von Targum-Traditio-
nen, die natürlich sehr viel vielfältiger gewesen sein dürften
als unsere heutigen schriftlichen Targumim). In der
Tat ist in der Forschung schon seit längerem auf erstaunliche
Parallelen zwischen den Targumim und den Pirqe
de R. Eliezer hingewiesen worden, und es wäre zweifellos
eine lohnende Aufgabe, diese Parallelen einmal genauer
zu analysieren.

Den Abschluß des Buches bildet eine (sehr kurze)
Bibliographie in Auswahl und ein (ebenfalls knappes)
Register. Der Rez. bekennt gerne, daß er dem Buch zahlreiche
Anregungen verdankt und den Analysen der verschlungenen
und manchmal überraschenden Entwicklungen
der verschiedenen Aggadot mit Genuß gefolgt ist. Er
würde es wünschen, daß diese geglückte Kombination
einer Einführung in die Methoden und Ziele der Aggadah
und der Forschungsarbeit an der Aggadah bald in eine
europäische Sprache übersetzt und damit einem weiteren
Leserkreis zugänglich wird.

Köln Peter Schäfer

Cross, Frank Moore, Jr., and David Noel Freedman: Studies in
Ancient Yahwistic Poetry. Missoula, Montana: Scholars Press
for Society of Biblical Literature [1975]. VII, 191 S. 8° = SBL
Dissertation Series, ed. by H. C. Kee and D. A. Knight, 21.

Das Buch ist ein Anachronismus, und das nicht nur
deswegen, weil zum Beispiel (S. 69) von unserer wachsenden
Kenntnis der amphiktyonischen Stämmeorganisation
in der Periode der Richter unter Hinweis auf Noths
„System der zwölf Stämme Israels" aus dem Jahre 1930
die Rede ist, ohne daß die Kritik an dieser Hypothese auch
nur erwähnt wird, sondern vor allem aus dem Grunde,
weil die Verfasser diese ihre gemeinsame Dissertation vom
Jahre 1950 unverändert erneut herausgeben, obwohl sie
selbst wissen und es auch sagen, daß sie zeitbedingt ist
(a period piece, siehe S. 184). Auf die Frage, warum die
Arbeit dennoch neu im alten Gewände gedruckt wurde,
erhält man keine Antwort, denn die beiden Sätze, mit
denen die Vf. ihr Postscriptum schließen und worin sie
betonen, die frühisraelitische Poesie fordere die Forschung
immer wieder heraus, deshalb lüden sie durch das vorgelegte
Buch die älteren und jüngeren Fachkollegen ein, mit
ihnen gemeinsame Ziele zu verfolgen (S. 187), reicht kaum
aus und sollte die Autoren im Gegenteil veranlaßt haben,
ihre Überzeugungen unter Auswertung des in der Zwischenzeit
Gewonnenen neu zu formulieren und stichhaltiger
begründet der Fachwelt zu präsentieren.

Sie wählten zur Bearbeitung vier Stücke aus, die sie als
alte Jahwe-Poesie verstehen, und entgegen anderen, auch
vertretbaren Ansichten als ziemlich früh entstanden und
fixiert beurteilen, nämlich Ex 15; Gen49; Dt 33 und 2 Sam
22 = Ps 18. Darüber hinaus bieten sie eine metrische
Untersuchung von Ri5 und 2 Sam 1,19-27. Andere alte
poetische Stücke geringeren Umfangs wurden beiseite gelassen
.

Die Vf. halten dafür, daß auf Grund fortschreitender
Erkenntnisse auf dem Gebiet der westsemitischen Sprachwissenschaft
zwei neue Methoden zum Verständnis des
Textes und zur Herstellung des ursprünglichen Wortlauts
angewandt werden müssen: die orthographische Analyse
- wobei sie von einer Entwicklung der frühen, im biblischen
Text noch erkennbaren hebräischen Orthographie
ausgehen - sowie die linguistische Analyse. Von unschätzbarem
Wert für die Identifikation ältester linguistischer
Phänomene sei der in zweifacher Gestalt erhaltene Psl8,
dessen beide Textfassungen in ihrer frühen schriftlichen
Form divergierende Traditionen mit einer sehr großen
Zahl an unterschiedlichen Lesungen repräsentierten.

Der Erwähnung wert, weil für den Standort der beiden
Gelehrten offensichtlich charakteristisch, ist die Auffassung
von Ex 15. Man liest, der Hymnus sei nicht archaisierend
, sondern archaisch. Er bilde eine Einheit, wobei
V.21 als Überschrift des Liedes betrachtet werden könne.
Es bestünde dann die Möglichkeit, daß das Lied älter sei
als die Komposition der Quellenschichten J und E. Die