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Ausgabe:

1977

Spalte:

59-67

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kasper, Walter

Titel/Untertitel:

Jesus der Christus 1977

Rezensent:

Baur, Jörg

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 1

80

Schloemann, Martin: Luthers Apfelbäumchen. Bemerkungen
zu Optimismus und Pessimismus im christlichen
Selbstverständnis. Wuppertal: Hammer Verlag [1976].
24 S. 8° = Wuppertaler Hochschulreden, 7.

Trinkaus, Charles: Erasmus, Augustine, and theNominalists
(ARG 67, 1976 S. 5-32)

Wolgast, Eike: Herrschaftsorganisation und Herrschaftskrisen
im Täuferreich von Münster 1534/35 (ARG 67, 1976
S. 179-202)

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Kasper, Walter: Jesus der Christus. Mainz: Matthias-Grünewald
-Verlag [1974]. 332 S. 8°. Lw. DM 39,-.

Der Tübinger Systematiker legt mit dieser Christologie,
dem mehrfach überarbeiteten Text seiner einschlägigen Vorlesung
, ein reiches, die Fülle des durchgearbeiteten Materials
geordnet darbietendes Buch vor.

Die Teile, Kapitel und Abschnitte sind gekonnt verknüpft.
Geglückt ist die Raffung dogmatischer Probleme und historischer
Prozesse. Den Eindruck des Unerschlossenen machen
einige spezifisch römisch-katholische Traditionsstücke (vgl.
282 f., 286 f.), an ihnen versagte das sonst kräftige Vermögen
zu luciden Vergegenwärtigungen: überkommene Sätze werden
in gegenwärtigen Fragen (39, u.ö.), gegenwärtige Probleme
in Aussagen der Tradition entdeckt (263, u.ö.). Kaspers
Buch strahlt Zuversicht aus, das Bewußtsein der Überlegenheit
substantieller Rede gegenüber adaptionssüchtiger
„Plattfußtheologie" (19). Eine Synthese exegetisch-historischen
und dogmatischen Verstehens (43) gilt als möglich. Der
Wille zum Ausgleich ist offenkundig. Einseitigen Interpretationen
wird widersprochen (etwa 57), berechtigte „Anliegen
" auch problematischer Tendenzen werden gesehen, die
Totalisierung von Partiellem hat keine Chance (etwa 21).
Hier zeigt sich Fundamentaleres: Kasper hat ein katholisches
Buch geschrieben; nicht umsonst wird Irenäus, „der
Vater der katholischen Dogmatik" (226), angerufen. Mit der
V/eite verbindet sich der Stand im Schwäbisch-Heimatlichen
, bei J. E. Kuhn (61), K. Adam und J. R. Geiselmann (9).
Doch lokale Eigenart gefährdet den römisch-katholischen
Charakter des Werkes nicht. Das zeigen nicht nur die chri-
stologischen Aussagen selbst; Tradition als lebendiger Zusammenhang
(28) ist Prinzip des Verstehens (vgl. 163, 209 f.),
das auch als gegenwärtige Urteilinstanz eingesetzt wird (299,
Anm. 69). Auch das Verständnis von „Wort" ist konfessionsspezifisch
(60), wenngleich nicht ausnahmslos (96, 121).

Zugleich ist „Jesus der Christus" ein Buch aus ökumenischer
Gesinnung, die ihre Übereinkunft nicht an politisiertem
Allotrion oder anderem Restchristentum hat. Die Zuwendung
gilt dem biblischen Ursprung und erreicht die explizit
bejahte Reformation (30). Protestantische Exegese ist
nahezu allgegenwärtig, der Umgang mit evangelischer Theologie
(155 u.ö.) selbstverständlich.

Den weitesten Vorstoß aus Überkommenem bringt der
Verweis auf Luthers Theologia Crucis, den „Durchbruch
durch die gesamte metaphysisch bestimmte Theologie" (214).
Für einen Augenblick treten die damit eröffneten Möglichkeiten
vor den Blick — genus majestaticum und tapeinoti-
cum —, doch dann schließt sich die Tür wieder unter dem bedauernden
Hinweis auf „bei Luther ungelöste Probleme"
(ebd.). Die als „Anstoß zu weiterem Nachdenken" (9) definierte
Absicht des Buches steht hier noch vor der Einlösung.

Als drittes Charakteristikum, neben dem Katholischen
und ökumenischen, ist die Präsenz deutscher idealistischer
Philosophie zu nennen. Ob freilich im letzten Drittel unseres
Jahrhunderts Christologie im Medium solchen Denkens ihre
angemessene Vergegenwärtigung finden kann, diese Frage
scheint mir durch Kaspers Versuch noch nicht eindeutig beantwortet
zu sein.

Eine klare Gliederung leitet zum Mitdenken an: dem
apologetisch-fundamentaltheologischen I. Hauptteil: „Die

Frage nach Jesus Christus heute" (13 ff.) folgt das biblischtheologische
Mittelslück: „Geschichte und Geschick Jesu Christi
" (75ff.). Mit III. „Das Geheimnis Jesu Christi" (191 ff.)
wird die spezielle dogmatische Fragestellung erreicht.

Die Hinführung informiert nicht nur über die Tendenzen
gegenwärtiger Christologie (16 ff.); mit der Frage nach dem
„Ort der Christologie heute" (13 ff.) wird die Identitätskrise
der Kirche in den Zusammenhang der Krise neuzeitlicher
Emanzipation gestellt (vgl. auch 34). Kasper will im Gefolge
Hegels Versöhnung und Befreiung vermitteln (15), überschreitet
also die Fragestellungen eines bloßen Lehrbuchs,
fordert so aber auch die Einwände gegen seine unmittelbar
schließende Apologetik (15) heraus. Das von ihm angeschnittene
Problem „alte(r) konfessionelle(r) Kontroversfragen"
(22) wird durch die erwähnte Alternative Barth — Rahner
(ebd.) nur gestreift.

Die Aussage, „daß der letzte und tiefste Sinn aller Wirklichkeit
erst in Jesus Christus in einer einmaligen und zugleich
endgültigen Weise offenbar geworden ist" (22), fordert
den Vergleich mit Luther heraus, der am Ende von Contra
Latomum schreibt: qui de peccato et gratia, de lege et Euan-
gelio, de Christo et nomine volet Christianiter disserere,
oportet ferme non aliter, quam de Deo et homine in Christo
disserere (WA 8, 126,23 ff.). Aber während es nach Luther
„zweierlei Rede" ist, „ob man von Gott und vom Menschen
schlechthin spricht, oder ob man christologisch von demDeus
incarnatus und dem homo deificatus spricht" (R. Schwarz,
Gott ist Mensch, ZThK 63. Jg., 1966, 344), geht es für Kasper
um den Zusammenhang des „in den Religionen und Kulturen
" (320) immer schon, wenn auch „in verschiedenen Graden
" (322) geschenkten Heiles (320) mit dem „Geist, der in
Christus in seiner Fülle wirksam ist" (321 f.). Kasper nötigt
also evangelische Theologie dazu, ihre Unterscheidung von
Schöpfer und Geschöpf (... de Deo et homine simpliciter
WA 8, 126,28 f.) von der Vermittlung ab/.uheben, die der
Erbe scholastischer Analogie und idealistischer Spekulation
sich immer schon vollziehen sieht, gerade auch als Möglich-
kt-itsbedingung der Einheit von Gott und Mensch in Christus
(vgl. zur Herkunft der Differenz Meisner über Gregor von
Valentia: inter personam divinam et naturam humanam sit
proportio habitudinis, quia personalitas divina et humana
natura sint per se talia, ut humana natura possita
personalitate divina, tanquam a termino et comple-
mento suo dependere; Balthasar Meisner, Magnum
pietatis mysterium de Deo in carne Manifestato ... Disputationsthesen
vom 18.12.1624, Wittenberg, Th. 91; Meisner
entgegnet: Mysterium unionis videtur quodammodo exte-
nuari, quia in ipsa humana natura per se ponitur aliqua dy-
namis, qua potuerit a divina persona assumi. At vero in se
est incapacissima).

Das 2. Kapitel: „Die geschichtliche Frage nach Jesus
Christus" (27 ff.) setzt beim gegenwärtigen Glauben ein und
erörtert „Recht und Grenzen" der historischen Kritik (30 ff.).
Die Krisen-Signale der Leben-Jesu-Forschung (33) werden
nicht überspielt (38), doch im Ergebnis ist der Weg zur Wiederaufnahme
der Themen der dogmatischen Tradition ofCcn
(43), wenngleich die historische Fragestellung nur eine zurückhaltende
Akzentuierung der Inkarnation erlaubt (44).

Das 3. Kapitel: „Die religiöse Frage nach Jesus Christus"
(45 ff.) fragt im Zusammenhang von „Emanzipation" und
„Säkularisierung" nach dem heute möglichen Glauben, zeigt
Angebot und Gefahren der Entmythologisierung (48 ff.),
distanziert sich vorsichtig von Rahner (56 ff.) und versucht
die Sinnhaftigkeit des Redens vom Heil „in einer geschichtlich
gewordenen Welt" zu begründen (62 ff.). Diese bezeichnende
Passage will Gottes Freiheit als Grund menschlicher
Freiheit verstehen (66), entfaltet angesichts der Fatalität des
Bösen die Angewiesenheit der Hoffnung auf einen „unableitbaren
, qualitativ neuen Anfang" (ebd.) und erreicht die
Aussage, daß Christologie zwar nicht in den evolutiven Prozeß
einzupassen, aber doch auf den Spuren des universalen
Logos (68) vermittelbarsei. Nach solcher Einweisung in „eine
neue Form der Transzendenzerfahrung" wendet sich die