Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1977

Spalte:

805-807

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Michaeli, Frank

Titel/Untertitel:

Le livre de l'Exode 1977

Rezensent:

Heller, Jan

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

805

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 11

806

72 Beschwörungen, jeweils im aramäischen Urtext und in
englischer Übersetzung mit sparsamen Anmerkungen.
Vorausgestellt ist eine Einleitung, die einen Einblick in
die Forschungsgeschichte gibt. Besonders hervorzuheben
ist das im Anhang gebotene Glossar des gesamten Wortschatzes
der Texte (894 Begriffe). Ein Verzeichnis der
Personennamen und eine Bibliographie ergänzen das
nützliche Büchlein, das hoffentlich zur Belebung des
Interesses der Fachwelt an der weiteren Erforschung der
aramäischen Beschwörungstexte beitragen wird.

Berlin Karl-Heinz Bernhardt

Michaeli, Frank, Prof.: Le livre de l'exode. Neuchätel - Paris: De-
lachaux et Niestlö [1974]. 310 S. gr. 8° = Commentaire de
l'Aneien Testament, II.

Das Buch ist der zweite Band eines breit angelegte^
französisch geschriebenen, protestantischen Kommentarwerkes
, von dem schon fünf Teile publiziert wurden (Va.
Jos - von J. A. Soggin, XIa. - Hos-Jon von Ed. Jacob,
C. A. Keller und S. Amsler, Xlb. Mi-Zeph von R. Vuilleu-
mier und C. A. Keller, XIII. Hi von S. Terrien, XVI.
Chr, Esr und Neh von F. Michaeli). Ein kleiner Absatz auf
der Rückseite des Umschlags informiert über den Vf.: Er
ist schon lange Zeit Professor für das AT an der Pariser
theol. Fakultät. Eine kurze Vorrede, datiert „Paris, juillet
(= Juli) 1974", betont besonders die zentrale Stellung
der Herausführung aus Ägypten in der Botschaft des AT.
Dann kommt eine ausführliche Einführung (S. 7-19) und
Bibliographie (S. 21-25). Die Einführung ist bezeichnend
für die Auffassung des Vfs.: deshalb ist es nützlich, diese
näher zu beschreiben. Pentateuch oder genauer Gen-Num
ist ein Ganzes, so kann man kaum zu einem von diesen
vier Büchern eine Einführung schreiben, ohne die anderen
in Betracht zu ziehen. Exodus selbst besteht aus Erzäh-
lungs- und legislativen Stoffen; seine Aufteilung ist klar:
1-15,21 Herausführung, 15,22-18,27 Wüstenwanderung,
19-40 Sinaibund. Ein Absatz über die Komposition des
Buches wiederholt die übliche Quellenlehre (J, E, D, P),
betont jedoch die besondere Bedeutung der Traditionsgeschichte
. Die Hauptthemen der ältesten mündlichen
Tradition sind die Herausführung und der Sinaibund,
dann beschreibt der Vf. die ältesten Textabschnitte und
das Anwachsen der Überlieferung in den Quellen. Mit
einer besonderen, sympathischen Sorgfalt untersucht der
Vf. die Absicht (le but, l'intention) der Erzählungen: Sie
sind ein Glaubensbekenntnis. Manche Stoffe wurden im
kultischen Rahmen benützt, d. h. als liturgische und katechetische
Texte, die besonders beim Osterfest zur Sprache
kamen. Li der recht komplizierten Frage nach dem Sitz
im Leben von Ex 19-24 ist der Vf. zurückhaltend. Er
berichtet zwar von der Hypothese, daß dieser Text eine
Liturgie oder „kidtische Legende" vom Laubhüttenfest
sei, bezweifelt es jedoch und beruft sich dabei auf Argumente
von R. de Vaux. Dann legt er die Meinung von
M. Noth und G. v. Rad dar, daß Ex 19-24 seine Wurzeln
in Sichern und Ex 1-15 in Gilgal hat, neigt jedoch zur
Auffassung von R. de Vaux, daß die Nachricht über die
Herausführung und das Sinaiereignis schon vor der Landnahme
in der mündlichen Überlieferung vereinigt waren.
Diese Erzählung (im wesentlichen Ex 1-24 und 32-34) hat
später J redigiert. P hat das Vorhandene nur mit wenigen
Retouchen versehen, er hat aber die legislativen Partien
von Ex25-31 und 35-40 beigefügt. So kann man das
Werden des Buches in vier Schichten aufteilen: 1. Liturgische
Wiederholung der Erzählung von der Herausfüh-
•ung aus Ägypten und vom Sinaibund im Rahinen des
Osterfestes, 2. Das Zusammenschließen dieser Nachricht
mit kleineren legislativen Kodexen wie Dekalog, Bundesbuch
und kultischer Dekalog. 3. Die Jahwistische Rezension
, 4. Die priesterschriftliche Rezension. - Im letzten
Absatz der Einführung setzt sich der Vf. mit der komplizierten
Frage „Histoire et theologie" auseinander. Der Vf.
weiß, daß die vorhandenen Texte keine historische Nachricht
über die Ereignisse, sondern ein auf diese Ereignisse
bezogenes Glaubensbekenntnis sind. So ist es nicht möglich
, diese Ereignisse aus ihrer theologischen Interpretation
herauszuschälen. Jedoch vermutet er, daß diese
Ereignisse und auch die Person Mose einen historischen
Kern haben. Die theologische Interpretation gibt dem
Buch erst seine richtige Dimension, sagt der Vf. wörtlich.
Diese Interpretation kreist um folgende Aussagen: Gott
hat gerettet, er ist treu, die Geschichte zeugt von seiner
Vorsehung, er schließt den Bund mit seinem Volk und
schenkt ihm sein Gesetz. Dazu kommt das Spezifikum des
Deuteronomium: Der einzige Gott kann die Untreue
seines Volkes nicht vertragen, er straft auch. Die letzten
Kapitel von Ex erhellen den Begriff der Gegenwart Gottes
inmitten seines Volkes im Heiligtum und Kult. Das NT
zitiert Ex besonders oft, auch das ntl. Kerygma hat
hier seine tiefen Wurzeln (vgl. Joh5,46f. 1 Kor 10,11).

Eine sehr ausführliche Bibliografie (5 Seiten) verzeichnet
nicht nur die Sammelwerke und Kommentare zu Ex,
sondern eine große Menge von Studien und Zeitschriftenartikel
zu einzelnen Problemen und Textabschnitten. Sie
reicht bis 1973 und erwähnt auch die französischen und
englischen Arbeiten, die bei einigen deutschen Verfassern
wenig Rücksicht finden.

Im Kommentar prozediert der Vf. nach der üblichen
Methode: Überschrift, Textübersetzung des Abschnittes
(kursiv gedruckt, Lesarten in Fußnoten), und Erklärung.
Die Übersetzung ist gut, treu und glatt; wo sie vom Urtext
mehr abweicht, kommt die wörtliche Wiedergabe in der
Fußnote vor. Von den Lesarten sind nur die wichtigsten
und theologisch bedeutsamen verzeichnet. Wer gewohnt
ist, mit dem Urtext zu arbeiten, hat beim ersten Blick den
Eindruck, daß der Vf. mehr Textkritisches liefern könnte,
aber bei näherem Zusehen zeigt sich, daß das Wesentliche
da ist und daß die Beschränkung nützlich ist. Es bleibt so
mehr Raum für das eigentlich Theologische, was dem Vf.
offensichtlich am meisten am Herzen liegt. Im Text findet
der Leser mehrere Exkurse: über Mose (S. 40), über den
Namen YHWH und Jahwismus (S. 54), über Ostern
(S. 117), über Chronologie des Ex (S. 134), über die
Wüstenwanderung und die Lage vom Sinai (S. 168), über
Gesetzeskodexe in Ex (S. 218). In diesen Exkursen kommt
die Einstellung und die Methode des Vfs. besonders deutlich
vor. Zum Beispiel im Exkurs über Mose legt er die
üblichen Einwände gegen die Historizität von Mose sauber
vor, gesteht auch, daß das Material, das wir in Händen
haben, zu einer verläßlichen und vollständigen Rekonstruktion
seiner Person und seiner Geschichte nicht reicht,
doch besteht er darauf, daß da ein historischer Kern vorliegt
. Ähnlich ist es im Exkurs über die Chronologie. Das
historische Material vom Hyksos-Reich an bis zur Mer-
neptah-Stele ist da, gut zusammengefaßt und übersichtlich
dargelegt: der Leser kann unter der langen, mittleren
und kurzen Chronologie des Aufenthalts in Ägypten wählen
, auch der Schluß, daß eigentlich nur der terminus ad
quem (1220 Merneptah-Stele) feststeht, ist völlig richtig.
Aber die Historizität der Exodus-Ereignisse wird nicht
in Frage gestellt, und der Leser erfährt nicht, daß es sich
an manchen historisch klingenden Stellen um eine absichtliche
und retrospektive, theologisch begründete Konstruktion
der Überlieferung handeln kann. Natürlich „kann!";
die Beweise sind nicht durchschlagend. Doch einem Leser,
der z. B. mit der Nothschen Konzeption vertraut geworden
ist, scheint die Konzeption von Michaeli traditionell,
wenn nicht hie und da konservativ. Das Buch hat Niveau,
alles Wesentliche ist da, auch aus der neueren theologischen
Diskussion, der Vf. hat eine beachtenswerte Umsicht
, aber man spürt, wie er den Gläubigen besonders den
orthodox oder pietistisch gesinnten Gläubigen nicht kränken
will. Ein Beispiel: In der Mose-Geschichte wird weder
die Sargon-Sage noch die Osiris-Parallele von der Nilfahrt