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1977

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 1

58

Arbeit über Ursinus veröffentlicht (Diss. Münster 1970). Mit
dem vorliegenden Heft, das auf eigene Unterrichtserfahrungen
in Münster zurückgeht, möchte er der verbreiteten religionspädagogischen
Skepsis gegenüber kirchengeschichtlichen
Unterrichtseinheiten entgegenwirken und zugleich eine
Arbeitshilfe für den Religionsunterricht der Sekundarstufen
I und II anbieten. Die Themenauswahl hat er unter didaktischen
Gesichtspunkten getroffen, die Darstellung stets
zweigeteilt. Nach einer längeren Einführung in die Sachproblematik
, in der das Exemplarische, Repräsentative undMo-
dtllhafte den Vorrang hat, bringt er jeweils knappere „Anregungen
zur Strukturierung nach Zielen, zur Methode des
Unterrichtsund zu weiterführender unterrichtlicher Erarbeitung
" (3).

In einer kürzeren Einleitung gibt Sturm Ubersichten über
die Geschichte des Begriffs „Reformation", die Reformation
als Geschichtsepoche, die geistesgeschichtliche Einordnung
und marxistische Interpretation der Reformation. Außerdem
nimmt er zu didaktischen Grundfragen, zu den Zielen,
zu didaktischen Grundtypen und Methoden des kirchengeschichtlichen
Unterrichts Stellung. Im Hauptteil stellt er
schwerpunktmäßig die Geschichte der Reformation in Form
von zwölf Unterrichtseinheiten dar. Die 1. Einheit führt an-
hnnd der Ablaßproblematik in das religiöse Leben am Vorabend
der Reformation ein. Mit diesem Auftakt möchte der
Vf. der Tendenz entgegentreten, die Behandlung der Reformationsgeschichte
von vornherein zur Lutherbiographie
werden zu lassen. Außerdem ist auf diese Weise bereits die
Brücke geschlagen zur 2. Einheit: „Der Anfang der Reformation
." Für die Darstellung des „vielschichtige(n) und nur
langsam sich steigernde(n) Geschehen(s)" (38) zwischen Luthers
Ablaßthesen und der Bullenunterzeichnung durch den
Papst wählt Sturm in der 3. Einheit den römischen Prozeß
Regen Luther als Leitfaden. Bei der 4. Einheit über den
Wormser Reichstag wird vor allem herausgearbeitet, daß
zwei Gewissensentscheidungen einander gegenüberstanden,
die Luthers und die des Kaisers. Erst die 5. Einheit wendet
sich rückblickend Luthers neuem Verständnis der Gerechtigkeit
Gottes zu, um eine isolierte Sicht des genuin theologischen
Motivs bei Luther zu verhindern. Darauf folgt in
der 6. Einheit eine Darstellung von Zwingiis Wirken und der
Reformation in Zürich, damit die schweizerische Reformation
als selbständige Bewegung nicht erst durch das Mar-
burger Religionsgespräch in den Blick kommt. Die 7. Einheit
über die erste Täufergemeinde in Zürich/Zollikon (Vertreter
des urchristlich-biblizistischen Täufertypus), die als radika-
lisierter Zwinglianismus verstanden wird, fügt sich organisch
an. Relativ ausführlich werden in der 8. Einheit Luther
und der Bauernkrieg und in der 9. Thomas Müntzer behandelt
, weil diese Thematik die politische Ethik der lutherischen
Kirche nachhaltig geprägt hat. Die 10. und 11. Einheit
über das landesherrliche Kirchenregiment, den Augsburger
Reichstag von 1530 und die weitere Entwicklung der deutschen
Reformation bis zum Augsburger Religionsfrieden von
1555 stellen die Verflechtung des evangelischen Glaubens mit
politischen Ereignissen, Faktoren und Strukturen heraus.
Durch die letzte Einheit über Calvin und die reformierte
Kirche in Genf soll schließlich noch einmal unterstrichen
werden, daß die Reformation nicht nur ein deutsches Ereignis
ist und daß sich der evangelische Glaube unter anderen
politischen Bedingungen auch anders ausformte.

Sturm verarbeitet und markiert eine Fülle neuerer Forschungsergebnisse
(ausführliches Literaturverzeichnis) und
druckt 07 Quellenauszüge mit genauen Nachweisen ab. Dadurch
bietet er die Möglichkeit, den Schülern nicht nur eine
differenzierte Sicht der Reformation zu vermitteln, sondern
ihnen auch immer wieder bei wichtigen Problemkreisen Einblick
in die Sachdebatte zu gewähren, z.B. beim Streit um
den Thesenanschlag, bei der Beurteilung von Luthers Haltung
im Bauernkrieg oder bei der Fragestellung Calvinismus
und Kapitalismus. Methodisch ausgezeichnet schildert
der Vf. Luthers reformatorische Wende als „einen mühsa-
mtn Erkenntnisprozeß", bei dem er „zwischen der (von Luther
beschriebenen) Entdeckung der Gerechtigkeit Gottes
einerseits und dem weiteren und späteren Durchbruch Luthers
zur reformatorischen Worttheologie andererseits" (54)
unterscheidet. Die gut lesbare Darstellung enthält viele einprägsame
Formulierungen (z.B. 39 über das allgemeine Prie-
stertum). Weniger gelungen wirkt der Versuch, die Hinrichtung
Servets einsichtig zu machen (123). Einzelne Formulierungen
bezeugen auch in dieser aufgeschlossenen Darstellung
der Reformation die Zählebigkeit von Elementen einer
vereinfachenden herkömmlichen Sicht (z.B. 102: „Hatte dem
Kaiser in Worms 1521 ein einzelner Mönch, Martin Luther,
gegenübergestanden, so waren es nun in Speyer 1529 und in
Augsburg 1530 angesehene Fürsten des Reiches."). Nicht
glücklich ist auch, daß Laus Kennzeichnung der von Luther
abweichenden Bestrebungen als „Wildwuchs der Reformation
" wieder aufgegriffen wird (8, 90, 100). Ein allzu einseitiges
Bild vom Täufertum entsteht durch die Beschränkung
auf die Züricher/Zollikoner Täufer. Der als „schwärmerisch"
bezeichnete Typus in den Niederlanden und in Norddeutschland
wird nur angedeutet, Verbreitung und Gestalt der Täu-
ferbewegung in Franken, Thüringen und anderen Gegenden
Deutschlands völlig außer acht gelassen. Im Bauernkriegsabschnitt
sieht Sturm die Position der „westliche(n) Forschung
" (71) ausschließlich durch die Konzeption von Günther
Franz bestimmt und übersieht die neuen Ansätze in der
jüngsten Forschung. Auch bei der Beurteilung der zwölf Artikel
als gemäßigtes Programm sind die neuen Forschungsergebnisse
noch nicht eingearbeitet. Kritische Gedanken stellen
sich vor allem zum Abschnitt über Müntzer ein, in dem
eine Reihe gängiger unbewiesener Auffassungen tradiert
werden (z.B. 85: Einfluß der Zwickauer Propheten; Müntzers
Absicht, das Reich Gottes herbeizuführen; 86: Müntzers
Bund; 90: Schlacht bei Frankenhausen). Diese Anfragen beeinträchtigen
aber nicht den Wert dieser anspruchsvollen und
brauchbaren Arbeitshilfe, die auch bei der Ausbildung kirchlicher
Mitarbeiter Verwendung finden könnte.

Druckfehlerverbesserung: Heinrich VIII (47); schlecht (71);
4. Esra 10 (89).

Krummenhennersdorf Siegfried Bräuer

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