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Ausgabe:

1977

Spalte:

793-804

Autor/Hrsg.:

Kirchner, Dankwart

Titel/Untertitel:

"Das Buch Thomas" 1977

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 11

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vernachlässigt wurde. Auch müßte der Zusammenhang
zwischen dem weitgehenden Verlust einer im Rahmen der
Trinitätslehre verstandenen Rechtfertigung und dem
Atheismusproblem nachgewiesen werden.

Nach der philosophischen Seite verlangt besonders das
Problem der Objektivierung im Rahmen der philosophischen
Tradition von Descartes über die Phänomenologie
bis zu Heidegger eine theologische Bearbeitung im Zuge
der Rechtfertigung, besonders auch im Rahmen der Ent-
mythologisierung, speziell auf die Versöhnungslehre hin.
Dieses alles läuft auf nicht weniger hinaus als auf einen völlig
neuen methodologischen Ansatz in der Rechtfertigungslehre
. Dabei könnte sich herausstellen, daß die theologischen
Implikationen der Philosophie Hegels neu zu durchdenken
sind.

1 H.-J. Iwand, Nachgelassene Werke V, München 1974, S. 64ff., 105rf., ähnlich
Bchon in der Habilitationsschrift: Bechtfertigungslehre und Christusglaube,
Leipzig 1930, S. 7. E. Käseinann, An die Römer, HNT 8a, Tübingen 1973, 8. 21.

' Vgl. das Literaturverzeichnis bei K. Lehmann, Auferweckt am dritten Tag
nach der Schrift, Quaestiones disputatae 38, Freiburg-Basel-Wien 1968, S. 360
bis 363. U. Asendorf, Gekreuzigt und Auferstanden, FGThL 25, Hamburg 1971,
S. 231ff.

■ J. Blank, Krisis, Freiburg 1964, 8. 84, 267. R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium
, HThKIV, 2, Freiburg-Basel-Wlen 1971, Exkurs 18: Erhöhung
und Verherrlichung Jesu, S. 498ff.

4 KM I, «Hamburg 1951, S. 112f., 98-104.

' Der gekreuzigte Gott, München 1972, S. SO, 75, 293ff.

" G. Aulen, Das christliche Gottesbild in Vergangenheit und Gegenwart,
Gütersloh 1930, Die drei Haupttypen des christlichen Versöhnungsgedankens,
ZSTh 8,1980/31, S. 501-538, Christus Victor. An Hlstorical Study of the Three
Main Types of the Idea of Atonement, London 1951. O. Tiililä, Das Strafleiden
Christi, Helsinki 1941. H. Alpers, Die Versöhnung durch Christus. Zur Typologie
der Schule von Lund, Göttingen 1964.

' ß. Hermann, Luthers Theologie, Göttingen 1967, S. 70. E. W. Kohls, Die
Theologie des Erasmus I/II, Basel 1966, I, S. 84ff., 102ff. W. Elliger, Thomas
Müntzer, Göttingen 1975, 8. 371f., 408f., 525f.

• KM I, 8. 42.

* 39 I, 48,14: Iustificatio est revera regoneratio quaedam in novitatem, slcut
Ioannes dicit: Qui credunt in nomine eius et ex Deo nati sunt, Promotionsdisputation
H. Weller, N. Medier vom 11. 9.1535, Th. 65.

'* Luther und die Mystik, in: Kirche, Mystik, Heiligung und das Natürliche
bei Luther, Vorträge des Dritten Internationalen Kongresses für Lutherforschung
, Hrsg. I. Asheim, Göttingen 1967, 8. 60-83, beB. 8. 75ff.

11 Das Verhältnis der urchristlichen Christusbotschaft zum historischen
Jesus, SAH 1960, 3, «Heidelberg 1961, 8. 27. KM I, 8. 44, 46. ThNT, Tübingen
1948, 8. 298.

" Von der Freiheit eines Christenmenschon, Göttingen 1949, 8. 40. Die
Einheit der Theologie Luthers, ThLZ 76, 1950 Sp. 245-262.
11 Nachgelassene Werke V, 8. 216.

14 Diskussionen über die .Theologie der Hoffnung' von Jürgen Moltmann,
Hrsg. W.-D. Marsch, München 1967, S. 101.

„Das Buch des Thomas"

Die siebte Schrift aus Nag-Hammadl-Codex II

eingeleitet und übersetzt vom Berliner Arbeitskreis für koptisch-gnostische Schriften*

Die siebte Schrift des Codex II von Nag Hammadi
(p. 138,1-145,23; Titel abgekürzt: LibThom)1 trägt vom
Äußeren her gesehen das typische Gepräge einer gnosti-
schen Offenbarungsschrift: zwischen Auferstehung und
Himmelfahrt (vgl. p. 138,21-23) teilt der Erlöser Jesus
dem hervorragenden Jünger und Zwillingsbruder Judas
Thomas geheime Offenbarungen mit. Dies geschieht zunächst
vornehmlich in der Form eines Dialoges, der dann
in eine lange, durch keine Jüngerfrage unterbrochene
Rede Jesu übergeht. Bei näherem Hinsehen handelt es
sich jedoch um eine Sammlung von Logien (im weiten
Sinne), die sich in Weisheitsworten, prophetische und
apokalyptische Worte, Gleichnisse u. a. untergliedern
lassen. Damit ist bereits angedeutet, daß es vorwiegend
formgeschichtliche Kriterien sein müssen, mit denen
LibThom zu untersuchen sein wird2. Die Funktion der
Gesprächsbeiträge des Thomas besteht im wesentlichen
darin, ein Stichwort für die Ausführungen Jesu zu liefern.
Doch bekommen wir auch aus dem Munde des Jüngers
einen Vergleich zu hören (p. 139,12-20), dessen Verste-
henshorizont jedoch nicht eindeutig ist, was mitbedingt
wird durch die schwierige Form des erhaltenen Textes.
Daß den Jüngern mehr die Rolle von Statisten als die von
Gesprächspartnern zugeteilt werden kann, ist auch für
andere Schriften aus Nag Hammadi typisch (z. B. NHC 1,1
EpJac; V,3 1ApcJac; die Abkürzungen erfolgen nach
K.-W. Tröger [ed.]: Gnosis und Neues Testament, Berlin
1973). Doch kann man bei dieser Art von Dialogen auch
beobachten, daß für die Gesprächspartner Jesu die Fragen
oder Aussagen nicht nur einfach aus der Antwort Jesu
herausgezogen und formuliert wurden, sondern z. B. aus
dem NT bekannte Sprüche zu einer Frage abgewandelt
erscheinen, p. 140,38-40 wird ausdrücklich eingesetzt mit:
»[Es] wurde auch gesagt....". Der folgende Text ist leider
nicht vollständig erhalten, doch lassen die Reste und die
Antwort Jesu darauf schließen, daß es sich bei dem Zitat
um eine Anspielung auf Mtl0,28 handelt. In ähnlicher
Weise scheint auch p.l44,41f. auf die gleiche Matthäusstelle
Bezug genommen zu werden (auch hier ist der Text
fragmentarisch), nur daß nicht der Fromme vor dem Verderber
gewarnt, sondern dieser im Anschluß an einen

Wehespruch direkt angeredet wird (Für diese Art der
Rezeption neutestamentlicher Tradition vgl. auch Mt6,13
mit EpJac p. 4,23-31).

Für die i ormgeschichte ebenfalls interessant wie auch
für LibThom typisch und wichtig sind eine große Zahl
von Wehesprüchen (p. 143,8-144,39 = 12 Wehesprüche)
und eine kleine von Seligpreisungen (p. 145,1-8= 3 Seligpreisungen
). Während nun die drei Makarismen unmittelbar
aufeinanderfolgen, stehen die Wehesprüohe z. T.
getrennt nebeneinander. Zumeist kann man die ursprüngliche
knappe Form eines Wehespruohs in LibThom, dem
auch ein Begründungssatz folgen kann, von dem übrigen
Spruchgut abheben. Damit ergeben sich sogleich verschiedene
Fragen: Haben die 12 Wehesprüche ursprünglich
einmal eine zusammenhängende Reihe gebildet, die später
sekundär erweitert wurde? Üben die Weherufe und die
Makarismen in dieser Offenbarungsschrift eine ähnliche
Funktion aus wie die Fluch- und Segenreihen im antikorientalischen
Bundesformular oder in den Abschiedsreden
des Mose Dtn27-28? Läßt sich dadurch unter Berücksichtigung
formgeschichtlicher Aspekte etwas über
die Einheit von LibThom sagen?

John D. Turner, der - soweit wir sehen - als erster sioh
intensiv mit LibThom befaßt hat3, stellte inzwischen die
These auf: LibThom besteht aus zwei Teilen. Teil A reiche
von p. 138,4-142,21 und repräsentiere die Gattung ,gno-
stischer Offenbarungsdialog'4. Teil B beginne p. 142,21
und ende p. 145,16. Obwohl er jetzt wie ein Monolog des
Erlösers wirkt, repräsentiere dieser Teil jedoch die Gattung
, Spruchsammlung' = Uyofi. Neben der gattungsgeschichtlichen
Unterscheidung stützt Turner seine These
auf die z. T. richtigen Beobachtungen, daß in Teil A
Begriffe und Zusammenhänge vorkommen („sichtbar/
unsichtbar"; „Tierheit"; „Gnosis"; „Begierde" u. ä.), die
in Teil B fehlen. Umgekehrt enthält Teil B u. a. jesuani-
sche Wendungen wie „Wahrlich, ich sage euch", „Wehe
euch", „Heil euch" u. ä., die in Teil A nicht (oder fast
nicht) auftauchen. Doch ließen sich auch wichtige Motive
sowohl in A als auch in B finden, so etwa „das Feuer der
Leidenschaft", „die durch die Lust verursachte Verwirrung
" u. a. Dies widerspräche nicht seiner These, sondern