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Ausgabe:

1977

Spalte:

775-777

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Dienst, Karl

Titel/Untertitel:

Die lehrbare Religion 1977

Rezensent:

Wegenast, Klaus

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775

Theologische Lilcralurzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 10

77Ö

gesamten, angesichts der schwierigen Situation recht mutigen
Arbeit Groschs gespannt sein.

Greifswald Günther Kehnscherper

Dienst, Karl: Dielehrbare Religion. Theologie und Pädagogik:

Eine Zwischenbilanz. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus

Gerd Mohn [1976]. 268 S. 8°. DM 28.-.

In der evangelischen Theologie kommen wir von einem Denken
her, das sich Glauben nur im Zusammenhang einer bedin-
gungsunbedürftigen Selbstmitteilung der göttlichen < (Ifenharung
vorstellen kann. Auf der anderen Seite kann es seit einigen Jahren
keinem Zweifel mehr unterliegen, dal.! Kirchen und Christen
im ßlick auf ihren Glauben auf Lernen angewiesen sind.

So hängt eine Kirche nzu gehörigkeil des einzelnen unzweifelhaft
mit religiöser Erziehung zusammen, und die religionspädagogische
Zielvorstellung des 'mündigen' oder 'verständigen' Christen
unterstreicht noch einmal die Notwendigkeil von organisierten
Lernprozessen im Raum der Kirche. Wie ist die im Hintergrund
dieser Aussagen liegende Aporie auflösbar? So etwa,
daß der Glaube als bloßes Lernergebnis bezeichnet und mit anderen
Lernergebnissen gleic hgestellt wird, oder so, daß wir Glaube
und lernbares christliches Verhalten unterscheiden und den
Glauben der göttlichen Selbstof fenharung zuschreiben, das
christliche Verhalten, Reden und Tun aber bestimmten Lernprozessen
? — Und welches Lernverständnis ist es, das die
Grundfunktion der Kirche als soziale Größe näher bestimmen
soll? — Lernen als indoktriniereude Eingliederung durch Lernzwang
oder Lernen als selbständige Orientierung an Lernangeboten
? — Und wie ist das Verhältnis einer lernenden Kirche
zu den verschiedenen, das Lernen bedenkenden Entwürfen der
Erziehungswissenschaften zu bestimmen?

Das sind nur einige Fragen, denen sich das hier zu rezensierende
Buch stellen möchte. Andere wichtige Problemkreise werden
wenigstens skizziert :

Kann angesichts der Erkenntnis, daß der Mensch im Vorgang
seiner Sozialisation auf hier nicht näher zu beschreibende Weise
auch 'vergesellschaftet' wird, die traditionelle (vor wiegend unter
subjektiv-theoretischen Kategorien entfaltete) Auffassung vom
Menschen und seiner Bildung noch vertreten werden? — Wo
sind die Problemkreise zu suchen, die ein Gespräch zwischen
Theologie und Erziehungswissenschaft, das seit langer Zeit ruht,
wieder fruchtbar erscheinen lassen könnten? — Ist Religion
lehrbar ?

Das in sieben Kapitel gegliederte Ruch beginnt mit einem
Abschnitt ../.um 'Bildungsdilemma' der Kirche", in dem der
Verfasser auf Grund der von 11. I lild herausgegebenen Meinungsumfrage
„Wie stabil ist die Kirche?" zeigt, daß die christliche
Gemeinde ,,in steigendem Maße die Motivation (Lernen!) für die
Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft . . . leisten muß ..." (25).
Aus diesem Tatbestand ergibt sich für Dienst die Notwendigkeit
für die Kirche, nicht nur allfällige Ergebnisse der pädagogischen
Forschung zur Kenntnis zu nehmen, sondern darüber hinaus ein
Gespräch mit den einzelnen Zweigen der Erziehungswissenschall
zu suchen, für das es allerdings nicht nur offene Türen gebe. Bedeutsame
Hindernisse für ein solches Gespräch sieht Dienst
1) in der Auseinanderentwicklung von Theologie und Pädagogik
mit der Folge nicht mehr kommensurabler Terminologien, 2) in
der Angst vieler Theologen vor einer Pädagogisierung des Glaubens
und 3) in der mangelhaften pädagogischen Ausbildung des
durchschnitt liehen Theologen.

Chancen sieht Dienst darin, daß beide Wissenschaften der
Selbstwerdung des Menschen dienen wollen und damit anthropologischen
Grundfragen verpflichtet sind.

Das 2. Kapitel widmet Dienst „Theologischen Gesprächsbeiträgen
" zum Verhältmis von Pädagogik und Theologie. Hier
wird dem Leser deutlich, wie nahezu alle theologischen Richtungen
Schwierigkeiten haben, die Pädagogik als Partner ernst
zu nehmen, weil sie die Erziehungswissenschaften entweder nur
als 'ancillae' verstehen wollen oder aber als dem Glauben hinderliche
Größen erachten. Auch Dienst ist nicht ohne Bedenken,

cm ungeschütztes Gespräch aufzunehmen, da er dein Optimismus
des Machen-Könnens der- neueren Pädagogik skeptisch

gegenübersteht.

Das für den theologischen Leser interessanteste Kapitel ist
das 3.: „Zum Selbstverständnis von Pädagogik/Erziehungswissenschaft
als Gesprächspartner für die Theologie". Das wichtigste
Ergebnis ist hier die Feststellung der Pluralität pädagogischen
Forschensund Denkens. Daneben scheint mir die Einsicht
wichtig, daß innerhalb des pädagogischen Denkens unversehens
auch theologische Probleme eine Bolle spielen (Werte, Normen,
Geschichtsverständnis ...), wie im Bereich der- Theologie zunehmend
auch pädagogische Sachverhalte abgehandelt werden
(Klcmentarisierung theologischer Inhalte und Methoden. Ver-

mit tlungsprobleme ...).

Weitere Erörterungen dieses Kapitels dienen der Orientierung
über verschiedene Richtung.....ler Pädagogik (geisteswissenschaftliche
Pädagogik, ,,Kritische Erziehungswissenschaft."
u.a.). Es kann nun nic ht die Aufgabe" einer kurzen Rezension
sein, den Gedankengang des Autors erschöpfend nachzuzeichnen
, doch soll hier wenigstens eine Grundtendenz des Verfassers
genannt werden, die über das ganze Buch hin sein Denken zu
leiten scheint: die Abwehr einer Integration der Kritischen
Theorie der 'Frankfurter Schule' im Rahmen von Theologie und
Pädagogik (143 TL u.ö.).

Das r. Kapitel, das der „Lehrbarkeit der Religion" gewidmel
ist und verschiedene Entwürfe zur Sache darlegt, und das 5.,
das theologische Ansätze zu einem Gespräch mit der Pädagogik
skizziert, sind beide Beweis für den großen Radius der Kenntnisse
des Vfs. Scdlade nur, daß sic h Dienst im 5. Kapitel nahezu

ausschließlich auf eine Auseinandersetzung mit der Position von
II. R. Kaufmann und P. Bichl beschränkt, die er in der Nähe der
'Kritischen Erziehungswissenschaft' ortet. Mit Bichl teilt I).
zwar die Voraussetzung, daß die pädagogische Thematik in die
Milte theologischer Beflexion gehört und daß sich Theologie
zunehmend als Handlungstheorie zu entwerfen habe, er meldet
aber Widerspruch an, wo er Bichl und andere im Schlepptau theo-
logiefremder Ideologien verum I et. I las gilt besonders im Blick auf
den Tatbestand, daß bei manchen Theologen der moderne Eman-
zipationshegrifl zum SelekIionsprinzip für die christliche Uberlieferung
wird. Mit M. Josuttis ruft er die I 'eligiunspädagogik in

diesem Zusammenhang dazu auf, „der Gesellschaft offen einzugestehen
, was sie zu bieten hat: einen Unterricht, der die religiöse
und politische Dimension menschlicher Existenz durch den
Rückgriff auf die biblische Tradition zu erhellen trachtet ...
Die Religionspädagogik hat keinen Anlaß, den Anspruc h dieses
Besonderen dadurch zu relativieren, daß sie es als Allgemeines
ausgibt oder mit Hilfe eines Allgemeinen legitimiert" (151) f.).
Im 6. Kapitel stellt Diensl den sein- divergenten Gebrauch

de s Ueligionsbegriffs in der Beligionspädagogik dar und optiert
mit K. E. Nipkow für Vorsicht, zumindest aber für ein Verständnis
von Religion, das sieh dessen bewußt gehalten hat, daß Religion
in unseren Breitengraden immer etwas mit Christentum
zu tun hat und deshalb spezifisch ist.

Im 7. und letzten Kapitel stellt der Vf. kenntnisreich und
kritisch das Verhältnis von „Religion und Sozialisation" dar,
wie es sich dem theologischen Betrachter der humanwissenschaftlichen
Forschung zeigt. Und welches ist nun das Fazit des
Buches.1 Doch wohl die Einsicht, daß an die Stelle einer bildungskritischen
Theologie bildungsfreuiidlichere Entwürfe treten
müssen, m.a.W., daß clie Behauptung, Erziehung zum Glauben
sei eine Illusion, einer Auffassung weichen muß. die damit
ernst macht, pädagogische und anthropologisch-psychologische
Vorgaben für den Glauben in Rechnung zu stellen.

Das Ziel in diesem Zusammenhang, nicht nur theologische
Sachverhalte pädagogisch in den Rück zu nehmen, sondern auch

pädagogische Sachverhalte theologisch zu interpretieren, wird
die Rebgionspädagogik noch einige Zeit beschäftigen; ebenso
der Wunsch des Vfs.. den Theologen für ein Umdenken zu gewinnen
, weg von der Alternative Glaube.....[er Lernen, aber

auch weg von einer spannungslosen Identifikation von Glauben
und Lernen.

Wenn man an den durchschnittlichen theologischen Leser
denkt, erschein! das Beflexionsniveau des Buc hes zuweilen et-