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Ausgabe:

1977

Spalte:

763-764

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Gebhardt, Gusti

Titel/Untertitel:

Nach der sexuellen Revolution 1977

Rezensent:

Kretzschmar, Gottfried

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Seite 1

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christlichen Zeugnisses hei ii den Blick genommen wird.

So isI dieses ISueli /.weifellos eine Bereicherung, weil darin
profundes Wissen mit theologischer Sachkenntnis und nicht zu
übersehender innerer Beteiligung vermitteil wird. An einigen
Sleiten, vor allem im Bereich der politischen Konkretion, wünschte
man sich freilich genauere Auskunft über die oftmals nur
angedeutete Position des Autors. Insofern wäre die Entscheidung
des Herausgebers. 'Teile fortzulassen, die an anderer Stelle
schon veröffentlicht sind (z, Ii. in Peregrinatio 1 und II), zu überprüfen
. Für die Lektüre im Zusammenhang wäre es zweifellos
ein Gewinn, wenn die einschlägigen Ausführungen an Ort und
Stelle verfügbar wären.

Das Buch verdiente ausführlichere Würdigung und Darstellung
, als sie aus Raumgründen an dieser Stelle möglieh sind.

Rüdersdorf b. Herlin Günter Kruiche

Gebhardt, Gusti: Nach der sexuellen Revolution. Geschlechtserziehung
in Familie, Kindergarten und Schule. Frankfurt/M.:
Knecht [1975]. 288 S. 8°. DM 19,80.

Die Autorin dieses Buches, Psychologin und Leiterin einer
Erziehungsberatungsstelle in Frankfurt am Main, ist manchem

bereits bekannt durch ihr vor 14 Jahren ersc hienenes und in
über 120 000 Exemplaren verbreitetes Buch: „Von Fünf bis
Fünfundzwanzig; Geschlechtserziehung in Gesprächen". An
diese wichtige Veröffentlichung thematisch anknüpfend, behandelt
sie in ihrem neuen Buch die Geschlechtserziehung unter
heutigen HR.D-Verhältnissen, „'wo doch ohnehin alles anders
geworden ist " (S. 9). Dabei geht sie kritisch auf den Terminus
„Sexuelle Revolution" ein, der von dem Freudschüler W ilhelm
Reich stammt und ihm einst als Buchtitel diente. Auf die Frage :
„Hat die 'Sexuelle Revolution' stattgefunden?" antwortet G.
vorsichtig abwägend, aber wohl treffend: „Wer sich im Lande
umsieht, wer Kinder im Kindergarten, in der Schule, in den Universitäten
hat, wer Illustrierte aufschlägt, wer das Fernsehgerät
einschaltet, der kann nicht umhin, bemerkenswerte Neuerungen
und Freiheiten festzustellen, die noch vor zehn Jahren undenkbar
gewesen wären" (S. 13). Neben dem Wandel stellt die Verfasserin
dann auch das Bleibende heraus, zumal sonst eine Erziehungskonzeption
auf sexualpädagogischem Gebiete nicht
möglich ist.

Im Anschluß an diese Grundsatzerwägungen wird in einem
ersten Kapitel über die „Geschlechtserziehung in der Familie"
(S. 39—71) nachgedacht. Iis wird in sehr verantwortlicher und
durchdachter Weise eingegangen auf die Zeit vor der Geburt,
auf das Eltern-Kind-Verhältnis und auf die sozialen Geschlechts-
rollen von Mann und Frau. Ein wichtiger Satz in diesem Zusammenhang
lautet: „Eines ist aber von allen Litern zu beachten
: Sic dürfen nicht zulassen, daß die Kinder ihr einziges Interesse
ausmachen, daß die Kinder ihre gesinnte Freizeit beanspruchen
. Sie müssen es so einrichten, daß auch Zeit für sie, für
ihre Ehe, für ihre Liebe bleibt" (S. 46).

In einem zweiten Hauptteil beschäftigt sich G. mit der „Geschlechtserziehung
im Kindergarten" (S. 75—91). Zunächst
stellt sie die Frage: „Was können Erzieher und Erzieherinnen
im Kindergarten von den Eltern erwarten?" (S. 75—83). Dabei
spielt der aus der Verhaltenspsychologie stammende Begriff der
„Sozialisation" eine große Rolle, der in der BRD weithin zur
Grundlage der Pädagogik gemacht wird. „Als Sozialisation wird
der psycho-soziologische Prozeß verstanden, mit dem sieh der
Einzelne in die Gemeinschaft eingliedert" (S. 75). Von daher
sieht die Autorin die Wichtigkeit der Kollektiverziehung als Ergänzung
zur Familienerziehung und bittet die Eltern, ihr reges
Interesse an dem Sozialisationsprogramm des Kindergartens zu
bekunden, zumal über die Geschlechtserziehung dort eine entscheidende
Prägung des Kindes erfolgt. Die Erzieher erwarten
deshalb Aufgeschlossenheil als das mindeste, was Eltern hier aufzubringen
haben, ja daß Litern und Erzieher ihre Erziehungsvorstellungen
zumindest austauschen.

Umgekehrt dürfen Eltern seitens der Erzieher stets eine „Solidarisierung
für und nicht gegen die Familie" (S. 84) verlangen,
zumal sich die Geschlechtserziehung im Kindergarten inhaltlich
kaum von der im Elternhaus unterscheidet, wenngleich ver-

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schiedene Erwartungshai tun gen seitens der Kinder gegenüber
den beiden Erziehungsbereichen möglich sind. Auch methodische
Unterschiede werden als legitim anerkannt.

In einem dritten Ilaupiteil beschäftigt sich G. mit der ..Sexualerziehung
in der Schule" (S. 95— 159). Sie macht zunächst auf
staatliche Verlautbarungen zur Sexualerziehung aufmerksame
Sodann gehl sie auf die ..Bedeutung und Stellung der Sexualer1
zieliung in der Gesamterziehung" ein und untersucht die Zusammenarbeit
mit den Eltern sowie die Stellung und Aufgabe des

Lehrers im Rahmen der staatlichen Richtlinien (S. 96— 104). Da

es das Fach Sexualerziehung eigenständig nicht geben soll, veröl
len I licli I sie auszugsweise die Beiträge, die von einzelnen Ull-
terichtsfächern zur Sexualerziehung geleistet werden sollen.
Auch auf die „Medien für Sexualerziehung in der Schule" (S.
116) wird kenntnisreich und kritisch eingegangen.

Aus dem allen wird deutlich, daß die Wichtigkeit der theoretischen
Grundlegung der Sexualerziehung für die Schulpraxis

erkannt wurde und daß mit dieser Erweiterung des Erziehungsauftrages
der Schule „ein erheblicher Verantwortungs- und
Machtzuwachs zuteil geworden ist" (S. 121). Die Vfn. geht dann
auf die Praxis der schulischen Sexualpädagogik ein und schildert
, aus Erfahrung Verhaltensweisen koed uka l i ver Schidergruppen
, filtern und Lehrer. Sie zeigt dabei die liöclisl unzureichende
A-USgangsbasis für SO hoch gestellte Ziele und auch manche
schulische Unzulänglichkeit. Erreic ht worden ist trotzdem,
„daß die Geschlechtlichkeil des Menschen in der Schule nicht
mehr grundsätzlich tabuisiert werden muß" (S. 141). Dabei gilt
freilich alles Mißtrauen jenen Lehrern, „die das sexuelle Glück

als das .....nschliche Glück sc hlec hthin vorstellen und vorgehen.

daß dies mit sextechnischen Mitteln von jedem entsprechend
seinein selbstgesteckten Maß ZU erreichen sei" (ebd.).

Zuletzt geht. G. auf „einige Themen, die bisweilen in Schule
und Elternhaus unterschiedlich behandelt werden und deshalb
zu Problemen für das Kind und zu Konflikten im Elternhaus
Führen können" (S. 145), ein. Zur Debatte stehen Fragen wie die
Nacktheit der Eltern vor den Kindern, die Masturbation sowie:
die frühen Freundschaften zwischen Jungen und Mädchen. Verständnisvoll
geht die Autorin auch auf den Freiraum ein, den die
Jugend beanspruchen kann, und auf die Erwartungen, die Eltern
diesbezüglich an die Schule haben müssen.

Begrüßenswert ist sc hließlich, daß dem Sachteil ein umfangreiches
Wörterbuch ..Sexualerziehung in Stichworten" (S. 163 bis
285) beigegeben ist. Vor allem Eltern und Erzieher haben dadurch
die Möglic hkeit, klar und einfach gesagt zu bekommen,
was auf dem Gebiete der Sexualerziehung auszudrüc ken wissenschaftlich
not wendig ist. G. ist es gelungen, zweckentsprechende
Vereinfachung mit Wissenschaftlichkeil und Faßlichkeit zu vereinen
. Da jedoch im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen
unserer Epoche auch die sexualpäciagogische Frage neu gestellt
wird, kann es gar nicht ausbleiben, daß bestimmte Stichworte
in der BRD inhaltlich anders beantwortet werden als in der DDR
(z. 1$. Religion, Rollenverteilung in der Familie) oder hierzulande
unter diesem Terminus unbekannt sind (z. B. Read-Gymnastik).

Insgesamt ist es zu begrüßen, daß G. auf der Grundlage reicher
theoretischer Kenntnisse und großer Erfahrungen als Psychologin
und Erziehungsberaterin dieses Buch „nach der sexuellen
Revolution" geschrieben hat. Die Aussagen sind ausgewogen
informativ und hilfreich zugleich. Dabei wird Sexualität als der
Konfliktstoff erkannt, in dessen Bewältigung für alle Dimensionen
der Liebe: das eigentlich Mensc hliche und damit zugleich
das echt Religiöse geschieht. Hier von frühester Kindheit an
Richtiges zu sagen und zu tun bleibt für Eltern und Erzieher
vordringliche und wichtige Aufgabe.

Leipzig Gottfried Krrtzsc-tuiiar

Dombois, Hans: l nscheielbarkcit und Ehescheidung in den Traditionen
der Kirche. Ist die I Inauflöslichkeit der Ehe absolut ?
München: Kaiser [1976]. 43 S. 8° Theologische; Existenz heute
, hrsg. v. T. Rendtorff u. K. G. Steck, 190. DM 4,80.
Seit 1971 kommt eine Studienkommission von Vertretern

der Katholischen Kirche, des Lutherischen und Ii ('formierten

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 10