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Ausgabe:

1977

Spalte:

54-56

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Kurt Dietrich

Titel/Untertitel:

Die katholische Reform und die Gegenreformation 1977

Rezensent:

Rogge, Joachim

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53 Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 1

Der Vf. beschreibt nun Zwingli ganz als Vertreter einer
Theologie, die vom Damals ausgeht und die auf dem „Umweg
" über die Schöpfungslehre zu Aussagen über Gottes
gegenwärtige Weltregierung gelangt, wobei der Heiligen
Schrift eine wichtige Stellung zukommt. Die Folge sei gewesen
, daß reformierte Geographen stark die biblischen Aussagen
berücksichtigten — Gerhard Mercator bot seine allgemeine
Geographie in der Gestalt einer Genesisexegese —
und von der Schöpfung ausgingen, wodurch die Morphogenese
der Erde in ihr Blickfeld geriet.

Melanchthon hingegen wird ganz unter dem Gesichtspunkt
des Jetzt dargestellt. Er folgte in seinen „Initia doctrinae
physicae" von 1549 Aristoteles von der Naturbetrachtung bis
zur Gotteserkenntnis, so daß der Vf. bei Melanchthon von
einer „echten natürlichen Theologie" spricht (139). Die von
Melanchthon angeregten lutherischen Geographen verselbständigten
die Geographie als Naturwissenschaft und nahmen
die Beschreibung des Menschen und dessen Geschichte
auf.

Gemeinsam war beiden Richtungen, daß sie angeregt von
der Theologie der Geographie neue Forschungsgebiete zuführten
und das Interesse für eine Gesamtschau förderten,
bis der reformierte Theologe Keckermann das im 16. Jh. Erarbeitete
systematisch ordnete und zugleich — in der Nachfolge
Melanchthons — von der Theologie löste.

Es ist immer reizvoll, wenn eine Untersuchung zwei Fachgebiete
, die im allgemeinen nur noch wenig miteinander zu
tun haben, zueinander in Beziehung setzt. Und es ist sicher
nicht nur für die Geographen von Interesse, welchen starken
Einflußdie evangelische Theologie im 16. Jh. auf ihre Wissenschaft
ausübte, sondern auch für die Theologen ist es nicht
unwichtig, zu sehen, in welch starkem Maße sich die Theologie
mit der Naturwissenschaft beschäftigte und diese in ihre
eigene Wissenschaft einbezog, denn diese naturwissenschaftlichen
Ausführungen waren oft Bestandteil der Gotteslehre
. Die vorliegende Arbeit macht deutlich, wie die „Neu-
tialisierung" der Geographie eine Schrumpfung der Provi-
dentialehre im Gefolge hatte. Die Geographen kümmerten
sich nicht mehr um die theologischen Bezüge ihrer Aussagen
, die Theologen nicht mehr um die geographischen. Allerdings
— worauf der Vf. hinweist — nicht für immer. Die Zeit
der Aufklärung brachte eine neue Verknüpfung von Theologie
und Naturwissenschaft, der wieder eine Trennung folgte.
Offensichtlich geht es hier um ein Verhältnis, in dem weder
eine zu enge Verbindung noch eine vollkommene Trennung
sich auf Dauer als vorteilhaft erweist, während die gegenseitige
Beeinflussung durchaus sehr fruchtbar sein kann, wie
das Dargebotene für das 16. Jh. erweist.

Der Vf. nennt am Schluß 23 Forschungsthemen, die bearbeitet
werden müssen, um eine befriedigende Gesamtschau
des behandelten Stoffes zu erreichen. Dabei wird auch das
Mittelalter erwähnt. Es müßte noch stärker einbezogen werden
, als es die vom Vf. aufgeworfenen Fragen tun. Würde die
Art, wie Aristoteles, Plinius und Strabo in den verschiedenen
Schulen des Spätmittelalters rezipiert wurden und wie
sich die Humanisten davon unterschieden, herausgearbeitet,
ergäben sich gewiß genauere Bestimmungen für die Einordnung
der reformierten und lutherischen Geographen. Es
wird auch nicht jeden befriedigen, daß Melanchthons Hinwendung
zum Jetzt davon abgeleitet wird, daß es Luther
darum gegangen sei, den gnädigen Gott in der Gegenwart zu
finden (118 f.). Ein anderer wird Aussagen über den metaphysischen
Hintergrund Zwingiis vermisssen. Die Beziehungen
zu dem metaphysischen bzw. geschichtlichen Denken
verdienen Erwägungen. Die von dem Vf. vorgenommene
Verwendung der Begriffe „Jetzt" und „Damals" kann
unter Umständen mehr verwirren als helfen. Die Untersuchung
zeigt eindringlich, wie dieTheologen von ihremAn-
satz her mit der Geographie umgingen, aber sie zeigt noch zu
wenig, wie die Theologen von der Geographie beeinflußt
wurden. Es muß freilich gesagt werden, daß dies eine speziell
theologiegeschichtliche Frage ist, deren Beantwortung
dieTheologen nicht von einer Arbeit zur Geschichte derGeo-

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graphie erwarten sollten. Es ergeben sich vielmehr für ihr
eigenes Arbeiten neue Möglichkeiten, unter Verwendung des
hier vorgelegten Materials — zu dem Ubersichten über einzelne
geographische Lehren zählen - diese Problematik neu
zu durchdenken.

Der Vf. hat ohne Zweifel einen Forschungsgegenstand aufgegriffen
, der in Zukunft zum Bestandteil reformationsgeschichtlicher
Darstellungen gehören sollte. Daß ein Werk,
das am Anfang einer Forschung steht, formale Mängel (Wiederholungen
und zu häufige Reflexionen über die eigene
Methode) und Unzulänglichkeiten (geistes- und theologiegeschichtliche
Einordnung) enthält, sollte weniger beachtet
werden als das, was dem Vf. gelungen ist und Anerkennung
verdient.

Leipzig Helmar Junghans

Geyer, Carl-Friedrich: Intellectus plene resolvens. Bonaventuras
Beitrag zu einer Philosophischen Theologie
(ThPh 51, 1976 S. 359-384).

Meinhold, Peter: Kirchenlehrer oder Konfessionslehrer? Die
ökumenische Bedeutung des Thomas von Aquin (StZ 101,
1976 S. 668-674).

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Die Kirche in ihrer Geschichte. Ein Handbuch, begr. v. K. D.
Schmidt u. E. Wolf, hrsg. v. B. Moeller. Bd. 3, Lfg. L (1.
Teil): Die katholische Reform und die Gegenreformation.
Von Kurt Dietrich Schmidt. Postum hrsg. v. M. Jacobs.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1975]. IV, 52 S. gr. 8°.

Man wird diesen Faszikel kaum ankündigen können, ohne
über das Gesamtwerk zu berichten, in dessen Zusammenhang
er erscheint. Das „Handbuch" — seit 1961 im Erscheinen begriffen
(16 Lieferungen liegen vor, 12 und das Register stehen
noch aus) — ist faktisch eine Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen
geworden. Wer die Beiträge seit etwa
anderthalb Jahrzehnten verfolgt, wird unschwer feststellen
können, daß sie in der theologischen Grundkonzeption, in
der seitenzahlmäßig sich niederschlagenden Bewertung einzelner
kirchengeschichtlicher Phänomene und in der Dichte
der Darstellung recht unterschiedlich qualifiziert sind. Gegen
manche Lieferungen ist auch deutliche Kritik erhoben
worden (s. z.B. ThLZ 91, 1966 Sp. 525-529 u. 98, 1973 Sp. 367
bis 3C9). Eine einheitliche Linie wird gewiß auch bei den
noch zu erwartenden Beiträgen nicht zu erreichen sein. Die
Zeit der großen einheitlich konzipierten Lehr- und Handbücher
scheint fürs erste vorbei zu sein. Das entspricht dem
weitverzweigten Forschungsstand, dessen Ubersicht die
Kräfte eines einzelnen immer hoffnungsloser überfordert.

Inzwischen sind die beiden Begründer und Erstherausgeber
des Handbuches, Kurt Dietrich Schmidt und Ernst Wolf,
verstorben. Das Verdienst dieser beiden um das Zustandekommen
und die bisherige Durchführung des Großunternehmens
ist beachtlich. Die im großen geplante Anlage ist —
von einigen Modifikationen abgesehen — bislang beibehalten
worden. So enthält jeder Faszikel eine reiche weiterführende
Bibliographie, deren Wert auch dann anerkannt worden
ist, wenn eine Darstellung auf Bedenken stieß (cf. etwa
ThLZ 98, 1973 Sp. 367 u. 369). Immerhin hat aus verschiedenen
Gründen gegenüber dem ursprünglich bekanntgegebenen
Plan manches Thema einen anderen oder überhaupt
erst einen Bearbeiter erhalten. Z.B. hat anstelle von E. Wolf
R. Schwarz den Lutherband übernommen, den Pietismusfaszikel
von M. Schmidt J. Wallmann, den Beitrag über die
Aufklärung K. Scholder anstelle von M. Geiger. Daß seit
längerem auch an ein Registerheft gedacht ist, kann uneingeschränkt
begrüßt und mit dem Wunsch versehen werden,
diesen wichtigen Schlüssel für das Gesamtwerk gerade an-