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1977

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

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Neuerscheinungen

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Theologische l,iler;iturzeilung 102. Jahrgang 1977 Nr. 10

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gister der Personen und Suchen sowie eine Zeittafel, die die wesentlichsten
politischen und kirchenpolitischen Fakten registriert
, schließen die Dokumentation jeweils ;il>.

Anliegen der Herausgeber isl es, mit ihren Dokumentationen
Hillen ..für das weitere selbständige Eindringen in die Problembündel
des jeweiligen Zeitabschnittes" zu bieten (Seile 7).
Sieht man von der noch nichl genügenden Aufschließung des
Materials infolge des Fehlens eines sonst allgemein üblichen Verzeichnisses
der Quellenstücke, eines erschöpfend gearbeiteten
Registers und anderen mehr technischen Dingen ab, darf das
1 nternehmen der Herausgeber als prinzipiell woldgelungen angesehen
werden. Sic haben beim Durchblättern kirchlicher Pres-
seerzengnisse. kirchlichen Kleinschrifttums, teilweise auch von
Amtsblättern und Biographien eine geschickte Auswah] getroffen
und Führen wirklich relevante Stücke vor, so daß ein facettenreiches
, in sich nuanciertes Mild der divergierenden Kräfte und
Strömungen im deutschen Protestantismus zwischen 1917 und
1919 entstanden ist. Im Vergleich mit der Darstellung von Meh-
nert, die ja ebenfalls in diesem Zeitraum angesiedelt ist, bieten
die Herausgeber mancherlei Neues. Für Band 1 ist dies z. M. der
Fall bei der breit dokumentierten Kriegszieldiskussion des Jahres
1917 und bei den Analysen der außenpolitischen und militärischen
Lage, wie sie in der protestantischen Presse versucht
wurden. Anders als Mehnert, der' seine Studie bei der Julikrise
einsetzen läßt, nimmt Brakelmann als terminus a quo die Oster-
botschafl Wilhelms II., was den Vorteil hat, daß die innenpolitische
Reformdiskussion noch stärker ausgefächerl werden kann.
Auch die Zeugnisse protestantischer Hindenburgsverehrung
sind neu. In Band 2 bringt Greschal gegenüber Mehnert namentlich
in Kap. III (Die Schulfrage) wichtige Ergänzungen. Da die
Schulfrage in den Jahren der Weimarer Republik für die evangelische
Kirche in den Kernbereich ihres politischen und kulturellen
Ringens gehörte, ist sie ein wesent'icher Topos, an dem das
Thema Politik und Kirche zu explizieren ist. — Generell wird einmal
mehr deutlich, wie ergiebig schon die systematische Durchforstung
evangelischer Druckerzeugnisse — um die es hier in erster
Linie geht —ist. Hier liegen Schätze historischer Erkenntnis
bereit, die ohne größeren .Aufwand gehoben werden können. Auf
Archivalien haben die Herausgeber verzichtet. Eine Ausnahme
findet sieb lediglich hei Brakelmann mit dem hochwichtigen
(erstmals veröffentlichten) Gesprächsprotokoll Stahlberg aus
dem Nachlaß M. Seeberg. Die ganze Vielschichtigkeit des historischen
Geschehensvollzugs vor allem auch im Umkreis der
kirchlichen Institutionen und kirchlicher Gruppen vnrzulühren,
wird sicher nur mit internem Hintergrundmaterial möglich sein,
indes wäre dies ein Arbeitsgang, der wahrscheinlich nur schrittweise
und unter größerem Aufwand geleistet werden kann. I tnbe-
schadet dessen: Von einer Verzeichnung der historischen Tatbestände
— soweit es der Mez. aufgrund eigener Vorarbeiten zu
überblicken in der Lage ist — kann keine Mede sein. Im Gegenteil
, es ist erstaunlich, wie über gewisse Grauzonen interner Meinungsbildung
, kirchenpolitischen, kirchlichen und auch staatlichen
I landelnshinweg ein lose und dennoch sieher geknüpfter Teppich
entstanden ist, der nun zu weiterer Bearbeitung bereitliegt.

Sicher mag darüber diskutiert werden, ob hier und da mancher
Akzent hätte anders gesetzt werden sollen bzw. noch hinzuzufügen
gewesen wäre. Nach Ansicht des Rez. wäre dies in liand
1 unbedingt indiziert gewesen hei den protestantisch-pazifistischen
Friedensinitiativen des Jahres 1917, die stark unterrepräsentiert
sind. Allerdings kündigt der Herausgeber eine gesonderte
Dokumentation zum Problemkreis Krieg—Frieden in den 20er
Jahren an. Es steht zu hoffen, daß in diesem Rahmen dann auch
Otto Umfrid gebührend gewürdigt wird, um dessen Andenken
sich seit einigen Jahren besonders W. I'redcndick mit einer Reihe
von Aufsätzen und Artikeln verdienl gemacht bat (vgl. vor
allem Stimme der Gemeinde 13/1970, Sp. 393f.).

Andere Schwerpunkte, auf die der Herausgeber von Band 1
Schweren Herzens verzichten zu müssen glaubte, erscheinen demgegenüber
leichler entbehrlich. Das trifft etwa auf die schon bei
Mehnert recht intensiv berücksichtigten Reaktionen aul die
päpstliche Friedensnote des Jahres 1917 zu. In Mand 2 wären
innerhalb von Sachkomplex I (Reaktionen auf die politischen
Ereignisse) Verlautbarungen, in denen sich eine Reihe von Kirchenregierungen
um der Wahrung von „Recht und Ordnung"
willen für die Anerkennung der ..neuen Machthaber" aussprachen
, interessant gewesen. Ks werden lediglich Protestanten -
blatt, AELKZ und Die Reformation (Dok. 17. 18. 22) beigezogen
. Die gouvernementale Traditionslinie im deutschen Protestantismus
, die bei aller ideologiegesättigten Ablehnung der Revolution
eine wichtige protestantische Verhaltensfigur im revo
lutionären Umbruch blieb, tritt deshalb nicht genügend heraus.
Geteilter Meinung wird man auch darüber sein können, die
evangelisch-kirchliche Diskussion zu Waffenstillstand und Ver-
sailler Vertrag auszusparen. Die Begründung, die entsprechenden
Äußerungen begegneten erst Mille 1919 in stärkerem Maße und
lägen außerhalb des gewählten zeitliehen Rahmens (der allerdings
bis zum 10. August 1919 gespannt wird — vgl. Dok. öS,
Seite 83). vermag nichl gänzlich zu überzeugen, da bereits bis
zur- Unterzeichnung des Vertrages (28. Juni 1919) eine Fülle einschlägiger
Verlautbarungen vorliegt. Ein diskutierens wertes
Problem isl — besonders auch im Blick auf Sachkapitel 11, Mand
2 (Die Trennung von Staai und Kirche) — , inwieweit in den gewählten
Dokumentationsrahmen Dokumente zu den gesetzgeberischen
, verwaltungsmäßigen u. a. Maßnahmen staatlicher
Stellen sowie Äußerungen nichtkirchlicher Art, auf die sieb die
kirchlichen Quellenstücke direkt oder indirekt bezichen, einzubringen
wären, zumal Mand I und 2 an diesem Punkte gestalterische
I nterschiede au (weisen. Auf jeden b all müßte dieses komplementäre
Geschehen, wenn sc hon nichl im Dokumentations-
leil selbst, so doch im Anmerkungsteil aulgehoben sein, sei es
als Literaturverweis oder kurz skizzierte Sachanmerkung. Freilich
entsteht in derlei Zusammenhängen die l'Yage, wie weil die
Herausgeber allen Wissenschaft liehen Ansprüchen genügende I )o-
kumentationsprinzipien für ein zunächst als Studienreihe gedachtes
Unternehmen für möglich und notwendig erachten.

Das Wort des Dankes, das der Mez. an den Anfang Seiner Besprechung
stellte und (las er hier am Kode noch einmal wiederholen
möchte, gilt dem umsichtig und engagiert angepackten
Vorhaben, die kritische Auseinandersetzung mit dem deutschen
Protestantismus im 20. Jahrhunderl auf der Basis wichtiger
zeitgenössischer Zeugnisse voranzutreiben. Daß trotz des de/i-
dierl artikulierten Anliegens, von der Geschichte her die politische
Perspektive gegenwärtigen protestantischen Bewußtseins
zu vertiefen und dem kritischen Urteil zu unterwerfen, keine
aktualisierende Verkürzung betrieben wird, zeigt den sicheren
historischen Griff. Zwei weitere Münde der Meilie sind — wie der
Mez. unterrichtet isl — nahezu bzw. gänzlich fertiggestellt, an.!
zwar über das Jahr 1933 und über die Nachkriegsphase 1!*bis
1948. Weitere, als Längsschnitte angelegte Dokumentation, die

den Moden der Weimarer Republik abschreiten, sind geplant
oder bereits in Arbeit.

Nach den beiden ersten Bänden darf man auf den weiteren
Fortgang der Reihe gespannt sein und den Herausgebern die
Relevanz ihres Dokumentationsvorhabens Ith' die kirchlich-zeitgeschichtliche
Forschung mit .Nachdruck bescheinigen.

Leipzig _ Kurt Nowak

Brecht. Martin: Der l'iet Ismus als Kpoche der Neuzeit (MhEvTh

21, 1970 Heft 1 S. 46—81).

Fitzer, Joseph: Tyrrell and Le Roy: Their Case Reopened I omni
Vial 18, 1975 S. 201-224).

('.atz. Erwin: Zur Neubesetzung der Bistümer Limburg und Fulda
1885-1887 (RQ 71, 1970 S. 78-112).

Imkamp, Wilhelm: „Fervens ad laborandum ...!'' Die römischen
Studienjahre des Dr. Carl Sonnenschein (RQ 71, 1970S.
175-198).

Kantzenbach, Friedrich Wilhelm: Schleiermachers Reden über
die Religion in ihren biographischen und gesellschaftsgeschichtlichen
Bezögen (EvErz 28, 1970 S. 330-345).

Stähli, Martin: Die ('■renzen des idealistisch begründeten religiösen
Sozialismus von Leonhard Ragaz (EvTh 37, 1977 S.
108-126).

Trippen, .Norbert: Albert Khrhard — ein „Reformkatholik"?
Briefe deutscher und österreichischer Bischöfe und Theologen
an den Präfekten der Indexkongregation, Andreas Kardinal
Steinhnber SJ, in den Jahren 1902/03, hrsg. und eingel. (RQ
71, 1976 S. 199-230).

Williams, William P.: Kight Unpuhlished Lettres by Jercmy
Taylor (AThR 58, 1976 S. 179-193).