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Ausgabe:

1977

Spalte:

750-752

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Der deutsche Protestantismus im Revolutionsjahr 1918/19 1977

Rezensent:

Nowak, Kurt

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Tlii-rilnsrisclic Lileralurzritung 102. Jahrgang '.h~i Ar. 10

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risli'ii (.ornclis lloen, dessen Ahcndmahlsauffassung auf Zwing-
lis Denkweise eingewirkt hat.

Eine ganze Reihe von Zw.eigen des linken Flügels der Reformation
gingen von hier ans bzw. zeigten in den Niederlanden
erste Blüten (Melehior llofmann, Menno Simons, Jan Matlhijs
und Jan Beukelsz). Trotzdem erhielt der sich kirchlich formierende
(la)vinismus in den Niederlanden der nächsten Jahrzehnte
seine bedeutsame Heimstatt. Bekenntnisbildungen (Confessio
Belgica) und Synoden markieren den Weg dieser Kirche) die
zwar unter ausländischen Mächten (Philipp II.) zn leiden, aber
nicht in dem Maße einen Existenzkampf zn bestehen hatte wie
der Protestantismus im benachbarten Krankreich. Kthnische
Probleme und dynastische Kämpfe spielten zwar eine Holle,
konnten aber das Vordringen des Calvinismus nicht aufhalten.
In der Dordrechlcr Synode (IG18). deren Charakteristik man
sich noch etwas ausfuhrlicher gewünscht hätte, wurde um die
ralvinistische Orthodoxie gerungen. Ks kam zn Knischeidungen,
die das ganze europäische Heforiniertent um beeinflußten« „Auf
Ausländer mußte die niederländisc he (iesellsehnfl wohl einen
reformierten Eindruck machen*' (S. 204), obwohl doch ..mindestens
ein Drittel dir' Bevölkerung römisch-katholisch" blieb.
Außerdem gab es Freiheiten für Minderheiten (z. 1!. die Menno-
nften). In dieser Atmosphäre gediehen dann auch Kunst und
Wissenschaft, die ganz Europa bereichert, den Weg des Christentums
aber auch belastet haben. I tedeutende Theologen t rügen
ihre Lehren vor (Gomarus, Arminias. Coccejus, Vbetius), aber

auc h (ielehrle anderer Wissenschaftsgebiete begannen, kultur-
wirksani zu werden (Grotius). Das I'niversitätsleben spiegelte'
die verschiedenen (ieislrsrii ht ungen w ider, die fast in jedem
Kall weit über die Niederlande hinaus wirkten.

Interessant und bezeichnend zugleic h ist für das niederländische
Reformierten tum dir Aufspaltung in verschiedene Flügel,
die auch gegenwärtig kein Kndc hat. Die Gruppierungen in der
dritten Periode (1830 bis 1900), die de .long heraushebt, werden
von ganz besonderem, weil zum Teil bleibendem Gewic ht. Mit
der Bezeichnung einer Aufspaltung in „Konfessionelle", „Ethische
" und ..Moderne(n)" ist bei weitem nicht alles eingefangeii,
was an theologischer oder frömmigkeitsbezogener Bewegung in
den .Niederlanden bedeutsam war. Mitheclingt durch die reformierte
' Zersplitterung gab es im 19. Jahrhundert (wie auch andernorts
) eine römisch-katholisc he Emanzipation, die von der
1848 verfugten Trennung von Staat und Kirche in vieler Hinsicht
positiv beeinflußt wurde. Die Spaltungen der Reformierten
gingen weiter, sie drückten sich auch in der Kirchenbildung
aus. Der hervormden Sy.....le mit einer relativ großen Bandbreite
der Lehre und der Kirchlichkeit stellte sich der Führer der
Konfessionellen. Abraham Kuyper (1837—1920), entgegen. Die

bedeutsame Gründung der„Vrije(n) Universiteit" (S. 221) geht

auf diese Konfessions- und kirchenpolitischen Auseinandersetzungen
zurück, in deren Verfolg sieh die- „gereformeerden. dotierenden
" (= Trauernde) kirchlich verselbständigten. Kultur- und
Bildungspolitik wurden je verschieden von den einzelnen kirchlichen
Bic htungen unterstützt. Die ..Modernen'' traten für die
„öffentliche" (Staats-) Sehlde ein, die Konfessionellen suchten
das „christliche" (konfessionelle) Schulwesen (S. 224).

In, zwischen und über den einzelnen Hiebt ungen wirkten in
neuester Zeil Theologen, deren Kngagement für Mission und
Ökumene weltweiten Rang erhielt. Dazu zählen Hendrik Krae-
iner. W illem A. Visser't llooft, Gerrit C. Berkouwer und Hen-
drikus Berkhof. Sie und viele andere haben einen Geist der Ökumenischen
Ve rständigung belebt, der bereits seine Stationen
(Amsterdam J9'iS) und auch den niederländischen Katholizismus
einbezogen bat. Ks mag zeiehenhaft sein, dal.! 197.'i ein Gesangbuch
beschlossen wurde, das „von Lutheranern. Menuoni-
ten, Bei.....islranten. Gereformeerden und Hervormden angenommen
" (S. 230) wurde.

So mag die Beachtung niederländischer Kirchengeschichte
viele anziehen, die mehr suchen als best punkte von lokaler Bedeutung
. Topographisc he Gegebenheiten und bedeutsame Bewegungen
des Geistes gaben und geben hier Anstöße, die von der
Wellchristenheit verarbeitet zu werden verdienen. Dieses gezeigt
zu haben, ist de Jungs anzuerkennende Leistung.

Dffila Joachim Itoggc

Brakelmann, Günter: Der deutsche Protestantismus im Epochen-
jabr 1917. Witten: Luther-Verlag 1974. 348 S. kl. 8° = Poli-
tik und Kirche. Studienbücher zur kirchlichen Zeitgeschichte,
hrsg. v. G. Brakelmann u. M. Greschat, 1. DM 15,80.
Greschat, Martin: Der deutsche Protestantismus im Revolutionsjahr
1918/19. Witten: Luther-Verlag 1971. 202 S. kl. 8° =
Politik und Kirche. Studienbücher zur kirchlichen Zeitgeschichte
, hrsg. v. G. Brakelmann u. M. Greschat, 2. DM 10,80.
Mit diesen beiden Dokumentenhänden ist eine neue Beihe anzuzeigen
, die zu einer willkommenen Arbeitshilfe für die kirchlich
-zeitgeschichtliche Forschung zu werden verspricht. Den
Herausgebern ist zunächst ein aufrichtiges Dankeswort zu sagen,
daß sie sich eines allzulange vernachlässigten Zeitabschnittes
angenommen haben. Mit Hecht bezeichnen sie die Konzentration
des bisherigen l'orschungsinteresses auf die Geschichte der
Bekennenden Kirche im Dritten Reic h als ..chic zwar psychologisch
verständliehe, aber sachlich unzulässige Verkürzung" (vgl.
„Wort zur Absicht der Beihe Politik und Kirche"). Die so ent-
sc heidenden Jahre des Niedergangs und schließlichen Zusammenbruchs
des Kaiserreiches und die Zeil der Weimarer Bepublik
dienten der kirchlichen Historiographie allzu lange nur als Pro-
legomena zum dominanten Thema, dem Kire hcnkainpf. Von Cr.
Mehner) bis J, B. C. Wrighl ist Ober die evangelische Kirche

zwischen 1917/18—1932 unter politischem Blickwinkel zwar hier
und da sc hon manches gearbeitet worden, doch nimmt sich das
neben der extensiven Kircdienkampfforsc hung vergleichsweise
bescheiden aus. Die einschlägigen Untersuchungen sind beinahe
an einer Hand herzuzählen. Andererseits haben such die Profan-
hisloriker auf die anslehcnelen Probleme noch kaum Bezug genommen
. Das mag um so mehr verwundern, als der deutsche
Protestantismus auch und gerade in politischer Hinsiebt keineswegs
eine quantite negligeahle war. Vergegenwärtigt mau sich
nur, welches Wählerpotential die aktiven Prolestanten zwisc hen
Ulis und 1!):!.'! verkörperten, wird man in Anbetracht der bei
ihnen vorherrschenden politischen Einstellungsweisen kaum umhin
können, von beachtlichen konservativen pressure groups zu
sprechen, die auf ihre Weise das Geschick Deutschlands nachhaltig
mitbestimmten.

Politik und Kirche — mit dieser Iheinatischen Angabe sind
gleic hzeitig methodisch und methodologisch Wege anvisiert, die
eine stärker auf die Darstellung innerkirc hlic her Vorgänge eingestellte
Kirchengesc hic hlsschreibung hinter sich lassen und den
Protestantismus als innere Lebensform und äußere Gestallung
energisc h auf die großen historischen Zusammenhänge hin begreifen
. Diese Dokunientationsreihe scheint dem Bez. ein deutliches
Zeil hen für die Trendwende zu sein, die sich in der kirchlich
-zeitgeschichtlichen Korse hung zu vollziehen beginnt. Sie ist
einmal durch den Versuch charakterisiert, die deutsche Kirchen-
geschlchte im 20. Jahrhundert in ihrer ganzem übergreifenden
Komplexität in den Blick zu nehmen und damit auch das Kir-
chenkampfgeschehen souveräner zu verorten, zum anderen durch
Bemühungen, den dialektischen Kausalnexus zwischen politischer
Geschichte und Kirchengeschichte starker herauszuarbeiten
. Auch die Kditions- und Forschungsgemeinschaft „Evangelische
Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte" mit
ihrer gegenüber dem Programm der allen Kirchcnkampfkom-
mission veränderten Zielstellung ist diesem Anliegen verpflichtet
. Signifikant, ist auc h das aiiffallemde Interesse', das politische
Theologen oder politisch-theologische Gruppierungen (wie die
Religiösen Sozialisten) in der letzten Zeit gefunden haben.

I)ic> beiden bisher vorliegenden Bände der Brakebiiann-Gre-

ichat-Reihe sind nach einem einheitlichen Schema aufgebaut.

Einer Gesamteinlcittmg, die kurz in die historische Situation einrührt
und die spezifischen Probleme des Protestantismus schwer-
punkthaft in sie einordnet, folgen die in Sachkapitcln zusammengestellten
Oiu llenstückc. Den Quellen-Saehkapileln ist jeweils
wiederum eine1 kurze Kinleitung vorangestellt, in der ein vorläufiger
Intcrpretationsrahmen für die einzelnen Quellenstücke
abgesteckt und Literatur zur W eilcrarheit angeführt wird. Band
2 bietet in jeweils den Qüellenkapiteln zugeordneten Anmerkungen
außerdem Verstehenshilfen für Personen, Instutionen.

Kreignisse etc. Kin Literat urteil, der 1 lilfeslellnng zur Literatur-

benutzung gibt und eine Auswahlbibliographie enthält, ein Re-