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Ausgabe:

1977

Spalte:

747-749

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Strasser-Bertrand, Otto Erich

Titel/Untertitel:

Die evangelische Kirche in Frankreich 1977

Rezensent:

Rogge, Joachim

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747

Theologische Litcraturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 10

Wall, John N.: The „Book of Homilies" of 1547 and the Con-

tinuity of English Humanism in the Sixleenth Century (AThll

58, 1976 S. 75-87).
Wirth, Günter: Zur Thomas-Müntzer-Rezeption (CommViat 19,

1970 S. 121-127).
Wittstadt, Klaus: Die Instruktion für Coriolano Garzadoros

Sondermission nach Köln im Jahre 159.'! (ISO 71, 197G 8.

56-77).

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Slrasser-Bertrand, Ol lo Erich : Die evangelische Kirche in Frankreich
.

Jong, Otto .lau de : Niederländische Kirchengeschichte seil dem
16. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
[1975]. IV, S. 135-233 gr. 8° = Die Kirche in ihrer Geschichte
. Ein Handbuch, hrsg. v. Ii. Moeller, Bd. 3, Lfg. M
(2. Teil). Karl. DM 29,80.

Dem, der die Erscheinungsweise des Handbuches verfolgt,
w ird nicht entgangen sein, daß im Jahre 1975 drei Lieferungen
vorgelegt wurden (außer dem hier anzuzeigenden Band K. D.
Schmidt: Die katholische Reform [L 1], siehe dazu ThLZ 102
Sp. 54; F. Flückiger und YV. Anz: Theologie und Philosophie im
19. Jahrhundert [P] ). Für den „dann folgenden Abschluß" <I<-1-
übrigen thematisch seit langem schon klar gekennzeichneten
Lieferungen hestehe, so versichert der Verlag in einer Zettelbeilage
, gute Aussieht.

Der vorliegende Buchbinderband enthält zwei je in sieh völlig
selbständige Beiträge und keine Gemeinschaftsarbeit der
beiden Verfasser, wie es der Umschlagtitel vermuten lassen könnte
. So legt es sich nahe, beide Arbeiten unabhängig voneinander
zu besprechen. Gemeinsam ist ihnen die chronologische Einrahmung
von der Zeit etwa um 1500 bis zur Gegenwart, gemeinsam
ist das Schwergewicht in der auch manches Detail berücksichtigenden
Vcrlaufsgeschii hie, wodurch eine, breitgestreute Information
erreicht wird; unterschiedlich ist jedoch unter anderem
die Behandlung der Literatur im Anmerkungsapparat. Während
Slrasser-Bertrand ein hervorragend spezifiziertes Literaturverzeichnis
ohne Direktbezug auf Einzelaussagen in der Darstellung
jedem Abschnit t voranstellt, weist de Jong durch eine Vielzahl
von A um erklingen seine Auffassung begrü ndende oder sonst
weiterführende I .iteratur nach. Man wird das letztgenannte Vorgehen
als das noch hilfreicher zu intensiverem Studium ermunternde
ansehen müssen.

Strasser-Bertrand, der sich für seine Geschichtsschreibung
I lenri Merlan, ..einem der besten Kenner des französischen Protestantismus
in Vergangenheit und Gegenwart" (S. 135), verbunden
weiß, versucht in 18 Kapiteln die in besonderer Weise
wechselvolleii Ereignisse im Leben der evangelischen Kirchen
in Frankreich aufzuzeigen. Er schildert zunächst den Anteil
Frankreichs an den Reformbestrebungen des ausgehenden Mittelalters
und weist auf die Rolle des französischen Erasmus,
Jacques Lefevre d'Etaples, sowie auf die fürstlichen Gönner bzw.
Förderer der Reform hin. Bezüglich der Reformationshewegung
hebt der Vf. die Tatsache hervor, daß ihr, „anders als beim
deutsehen oder schweizerischen Reformationsgeschehen, die
ausgesprochenen Gründer- und Führergestalten" (S. 139) fehlen
. Viele der potentiellen „Führergestalten" (Farel, Calvin,
Reza) gingen außer Landes. Sie waren ausnahmslos durch den
Humanismus geprägt, dem u. a. Stapulensis auch in Frankreich
eine Stätte bereitet hatte, so daß die Reformation nur in seiner
Verarbeitung oder Überwindung vorankommen konnte.

„Die werdende evangelische Kirche in Frankreich ist ' Kirche
unter dem Kreuz'." (S. 141) Den Wechselfällen der mannigfaltigen
Verfolgungen seit König Heinrich II. gehl der Vf. Dach.
Er beachtet auch sorgfältig die undeutliche theologische Situation
im Protestantismus dieser Jahrzehnte in Frankreich, in
die sowohl Anregungen von außen (Bezeichnung der Evangelischen
als „lutheriens", S. 145) als auch gewisse Ausprägungen
des Nationalismus (Coligny) einflössen. Die Dauerbedrückung
mit unterschiedlicher Intensität durch Staat und römisch-katholische
(Staats-) Kirche provozierte das damit gegebene große
theologische Tbcina für die französischen Protestanten in den

kommenden Jahrhunderten. Die acht Bugenottenkriege in der

/weilen Hälfte des Jahrhunderts bis hin zum Toleranzedikt,
von Nantes (1598) werden mit ihren vielen blutigen Stationen
knapp, aber präzise vor Augen geführt.

Angesichts der oft behaupteten Kulturbedeutung der Hugenotten
— u. a. auch für Brandenburg-Preußen — ist, Strasser-
Bertrands These interessant, die nur einen „quantitativ bescheidenen
Anteil der Hugenotten am französischen Kulturleben"'
(S. 151) im Iti. und 17. Jahrhundert zugeben will. Überhaupt,
kann als sehr sympathisch hervorgehoben werden, daß der Yf.
aus der Situation mannigfaltiger Martyrien der Hugenotten-
kirche keinesfalls die Faktizität einer Siegesallee konstruiert.
Der Beitrag zur Theologie war im europäischen Maßstab vergleichsweise
gering; um so deutlicher ist auf die in der Minoritätslage
der angefochtenen Kirche zustande gekommene Ordnung
und Organisation (S. 155) mit ihrer Altestenverfassung in
Konsistorium und Einzelgemeiiide hinzuweisen.

Der Vf. geht auf die Verhaltensweisen ein, die die Hugenot ten-
kirche gegenüber den zeitgenössischen Strömungen im Katholizismus
(Jesuitismus, Jansenismus, Gallikanismus und Quie-
tismus) gezeigt halle. Er kommt zu dem Ergebnis, daß Gemeinsamkeiten
mit, keiner dieser Bewegungen zustande gekommen
sind, obwohl das etwa beim Jansenismus nahegelegen hätte. Die
neue Verfolgungswelle nach Aufhebung des Edikts von .Nantes
(1685) brachte Flucht und Rekonversion vieler Hugenotten. In
den Gastländern waren die Kefiigies vielfältig die Gebenden,
nicht nur die Empfangenden (S. 165). Die in der Heimat Gebliebenen
bildeten die ..Kirche in der Wüsle'', häufig ohne Pfarrer
und mit mangelhafter Organisation. Dieser Situation machte
erst die napoleonische Zeil ein Ende mit ihrer — im besonderen
Sinne zu verstehenden — staatskirchlichen Regelung. Reformierten
und Lutheranern gaben die „articles organiques" (1802)
zwar Beschränkungen auf den kirchlichen Baum, aber eine relative
Anerkennung. Strasser-Bertrand formuliert: „Die Hugenottenkirche
war so zwar aus Staatsgefängnismauern befreit,
aber hinter Staatskirchcnmaiiern interniert'' (S. 174).

Des weiteren beschreibt der Vf. die Wirkungen der Erwek-
kung im französischen Protestantismus (Oberlin), weitere Öffnungen
für die kirchlich!' Tätigkeit in Verfolg der Revolutionen
des 19. Jahrhunderls. Trennungen sowohl vom Slaal (1905) als
auch — was die Beformierlen angeht — untereinander in „drei
Unionen von Richtungskirchen" (S. 183).

Im französischen Protestantismus nach und zwischen den
Weltkriegen isl das Verständnis für die Ökumene in großem Maße
gewachsen. Die „Fecleration prolestante" faßt die staalskireh-
lich geblichenen elsaß-lothringischen Kirchen (eine lutherische
und eine reformiert)') und die anderen independent gebliebenen
protestantischen Kirchen mit ihren Aktivitäten (u. a. den Kirchen
zugeordneten theologischen Fakultäten) zusammen. Die
in ihr waltende „FCxigence oecumenique" drückt der große Mann
des französischen Protestantismus der letzten Jahrzehnte, Marc
Boegner, in einem besonderen Verständnis von „katholisch und
„protestantisch" so aus: „L'Eglise sera ratholiqu« QU eile nc
sera pas, le Chreticn sera protestant ou il ne sera pas" (S.190).

De Jong untergliedert seinen Beitrag zur niederländischen
Kirchengeschichte vierfach, und zwar etwas phantasiearm-gehe-
matisch mit der Nennung von Jahrezahlen, deren Hintergründigkeit
nur dem bereit* Informierten eindrücklich ist. Glücklicherweise
sind die Unterabschnitte (insgesamt 18) lach- oder
problemorientiert überschrieben,

Der Vf. charakterisiert zunächst die geographische Lage der
Niederlande, die jahrhundertelang gerne von den angreu/enden
Großmächten (Deutsches Kaiserreich, Frankreich, England) als
Vorposten ihrer Macht beansprucht wurden. Politische Bindungen
und Freiheiten prägten auch die Geschichte des christlichen
Glaubens in diesem Land. Es balle hervorragenden Anteil
an den spätmittelalterlichen Neuaufbrüchen (Geerl Groote,
Wessel Gansfort, Erasmus von Rotterdam) und öffnete sich
infolge seiner Möglichkeiten zu geistigem Umschlagin den Handelszentren
auch an einigen Stellen der lutherischen Reformation
. In Brüssel starben die ersten Märtyrer der neuen Lehre.
Reformatorische Gemeinden gab es anfangs nicht, aber der theologische
Austausch ging weiter, etwa durch Vermittlung des Ju-