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Ausgabe:

1977

Spalte:

745-746

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Stock, Konrad

Titel/Untertitel:

Annihilatio mundi 1977

Rezensent:

Schäfer, Rolf

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Seite 1

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Die letzte Untersuchung von Band 2 beschreibt 14 Genfer
Kalenderdrucke zwischen 1561 und 1606 und macht auf ihre
Bedeutung für die calvinische Propaganda aufmerksam: seil
1554 erscheinen bei Conrad Badius in Genf Kniender, die die
Bezeichnung der überlieferten kirchlichen Fesle durch historische
Angaben, Angaben des Mondwechsels und der Tierkreiszeichen
usw. ersetzen. Diese Kaiendarien wurden Bibelausgaben
und den Psalterdichtungen von Marot und Beza beigebunden.
Diese Untersuchung bietet reiches Anschauungsmaterial in Form
von faksimilierten Seilen.

Band ,'i nimmt das letzte Thema von Band 2 — Kalenderdrucke
— auf und verfolgt es für Lyon in der Zeit von 1563 bis

1571. Der Beilrag enthält eine Liste aller bekannt gewordenen
Kalenderdrucke aus (ienf und Lyon /wischen 1.">.Vi und
Diese Drucke haben die Kntsakralisierung des Kalenders erheblich
gefördert und damit Gegenpropaganda gegen die römische
Kirche getrieben.

Eine bisher unbekannte Person aus dem Korrespondenten-
kreis Calvins wird im nächsten Abschnitt als Madame Jeanne
de Laubespine geb. Bochetel identifiziert. Sic gehörte zu den
„Nikodemiten" Frankreichs, ein Tatbestand, der durch Lebensumstände
und Schicksal dieser Frau verdeutlicht wird. Bin Bildnis
von ihr selbst und ihrem Mann isl beigefügt.

Mit einer Reihe von anonymen Sonetten, die 1564, aus Hugenottenkreisen
stammend, Katharina von Medici gewidmet wurden
, befaßt sich der folgende Abschnitt. Diese Sonette beschwören
den Geist der 1561 verstorbenen Herzogin von Montpensier,
Jacqueline de Longwy, deren Bildnis beigegeben ist,

Der umfangreichste Beitrag des Bandes ist Claude Le Nfaistre
in Lyon, dem großen Ubersetzer kalvinistischer Propagandaliteratur
, gewidmet. Er wird als Übersetzer von Psalmen, einer
Schrift gegen die Ohrenbeichte, einer Auslegung der Perikope
von der kananäischen I ran von Chrysostomus und einer italienischen
Beformsi hrifl Del benefieio (Ii Jesu Christo von 1543
festgestellt. Die Übersetzung der letzteren Schrift, ein Unikat
aus Baris, isl In Faksimile wiedergegeben. Auch die italienischen

Verfasser werden identifiziert: es handelt sich um den humanistischen
Reformer Marcantonio Flaminio und den Bologneser
Beccadelli, Texl und französische Übersetzung einer Gegenschrift
gegen diese Schrift sowie einer unautorisierten Version
des tridenlinischen Deeretum De iustificatione, das teilweise
direkt gegen die Beforuischrifl argumentiert, werden wiedergegeben
bzw. faksimiliert.

Auch für die Genfer Zeit des Claude Le Maistre lassen sieb
viele Einzelheiten beibringen — bis hin zu seinem Bankrott, der
einen Prozeß in Genf zur Folge hatte. Dieser Bankrott steht in

Zusammenhang mit weiteren Finanzskandalen in Genf um 1570.

Die Reaktionen auf das Toleranzedikt Karls IX. vom Januar
1562 untersucht der letzte Beitrag. Auch hier sind die
wichtigsten Texte im Wortlaut abgedruckt.

Beiden Bänden ist ein Namenregister, dem 2. Band auch ein
Register der zitierten Titel, dem .'!. Band eine Liste der Abbildungen
heigegeben.

Überblickt man die Publikation im ganzen, so ist mit Erstaunen
festzustellen, welche Fülle von neuen Einblicken und Einsichten
Vf. vorlegen konnte. Die Behandlung der Forschungsgegenstände
ist um so erfreulicher, als es sieb meist, um äußerst
Seltene oder schwer zugängliche Dokumente handelt, die eine
genaue Untersuchung und klare Darstellung erfahren. Man kann
für diese anschauliche und fruchtbare Akribie nur dankbar sein
und den vielen Kinzelergebnissen angemessene Beachtung wünschen
.

Leipzig Brut Koch

Stock. Konrad: annihilatio mundi. Johann Gerhards Eschato-
logie der Welt. München: Kaiser 1971. VIII, 200 S. gr. 8° =
Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus,
hrsg. v. E. Wolf, 10. Reihe, Bd. XLII. Kart. DM 10,-.
Diese' Tübinger Dissertation beschäftigt sich mit der Herkunft
und der Bedeutung von Johann Gerhards WeltVernich-

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tungslehre, Haupttext und Leitfaden für die Auslegungen des
Vfs. isl der 4. eschatologische Traktat (Locus 29 in Gerhards
Hauptwerk), betitelt: De consummatione saeculi. Zunächst
bringt Vf. einiges dogmengeschichtliche Material, großenteils
im Anschluß an Gerhards Zitatensammlung. Sodann werden
die Querverbindungen zu anderen dogmatischen Loci aufgesucht
: zum Gottesbegriff, zum Well begriff, zur Vorstellung von
der ewigen Seligkeil und schließlich noch zur Abendmahlslehre.
Eine kurze Würdigung beschließt das Buch.

Vf. übernimmt von I'. Althaus die Ansicht, daß die bei Gerhard
begegnende orthodoxe Lehre von der annihilatio mundi
gegenüber Luther eine Neuerung darstelle. Während aber Althaus
diese Neuerung auf die Einflüsse unevangelischer Mystik
zurückführt, sucht Vf. sie In erster Linie aus den Nötigungen zu
erklären, welche sich aus anderen Lehrstücken des Systems für
die Eschatologic ergeben. So wirkt, um ein Beispiel anzuführen,
die Crol leslehre in die F.scha lologle hinein. Anlaß für diese
Deutung isl Gerhards Argument, daß die Vernichtung der Well
aus der Natur des Schöpfers folge, der als prima veritas nicht
lügt und seinen Ratschluß nichi wandelt. — Während nun bei
Gerhard die Betrachtung der göttlichen Natur nur den Hauptbeweis
aus der Bibel unterstreicht, den er vorher ausführlieh
dargeboten hat, übersieht Vf. die Tatsache, daß die Gotteslehre
an dieser Stelle dem Schrift beweis ganz untergeordnet ist. E» referiert
umständlich und überflüssigerweise die Gerhardsche
Lehre von Gott und läßt sieh auch durch den mageren Ertrag
nicht stören, den er für die Fsrhatologie aus ihr davonträgt :
Trotz der metaphysischen Sprache versuche Gerbard. Gott
,.in seinem Anders-Sein" zu denken und damit wenigstens faktisch
dem Analogiegedanken zu widersprechen. Die annihilatio
mundi sei demnach als eine ,,Metapher der Freiheit" zu verstehen
— der „Freiheit Gottes gegenüber seiner Einordnung in ein
System des Seienden". Man kann an dieser Probe erkennen, wie
behend Vf. aus der protestantischen Orthodoxie mitten in eine
altbekannte Lieblingsidee aus dem 20. Jahrhundert hineinspringt
.

Etwas mehr Anhalt an der Quelle findet sich, wo aus den
Lehren von der Schöpfung, von der Seligkeit des Gerechtfertigten
und von der Gegenwart Christi im Abendmahl die Folgerungen
für den annihilatio-Gedanki'ii gezogen werden. Vf. macht,
hier regelmäßig geltend, daß Gerhard von der alttestamentli-
ehen Eschatologie abweicht. Gerhard schränkt Gottes Herrschaft
auf die Relation Gott—Mensch ein und sieht von einer
Hoffnung für die Well ab. Ks fehlt eine ..Verantwortung des
Menschen für die Well" oder eine Ethik als ..Theorie der Arbeil",
welche die Well ..für Golles eschatologische Alleinherrschaft
gewinnt". Damit ist dann auch das Urteil gesprochen, wenigstens
für den Fall, daß die sozialethische Nützlichkeil über die Wahrheit
des theologischen Systems entscheidet.

Ein Mangel der Arbeit besteht darin, daß Vf. die Originalität
und Schlüssigkeit des Gerhardsi heu Systems erheblich überschätzt
und deshalb die naheliegende Frage gänzlich ausklammert
, inwiefern Luthers Theologie zur Ursache für die orthodoxe
Weltvernichtungslehre geworden ist. Die Forschung ist an
diesem Punkt nicht bei Althaus stehengeblieben, Sieht man
aber Gerhard in der Tradition des Luthertums, in welche er gehört
, dann kommt man zu einem ganz anderen Schluß als der

Vf.

Oldenburg Holt SchRfer

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 10