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Ausgabe:

1977

Spalte:

52-54

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Büttner, Manfred

Titel/Untertitel:

Die Geographia generalis vor Varenius 1977

Rezensent:

Junghans, Helmar

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 1

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auch nur am Rande um heilsökonomische Fragen, zentral
dagegen um die spekulative Durchdringung der innergöttlichen
Trinität.

Der evangelische Theologe wird dieser Beweisführung
nicht mit der gleichen Bereitwilligkeit folgen wie der katholische
Theologe. Er wird nicht verkennen, daß über dem exi-
stentialen Charakter der Theologie die ontologische Frage
nicht kurzschlüssig unterdrückt weiden darf. Sofern für ihn
jedoch ontologische Aussagen in diesem Bereich untrennbar
an die Soteriologie als die gedankliche Explikation des uns
in der Christus-Offenbarung zuteil gewordenen Geschenkes
gebunden bleiben müssen, wenn sie das Attribut „christlich"
beanspruchen wollen, wird er in der metaphysischen Spekulation
, zumal wenn sie in dieser Absolutheit erfolgt, spezifische
Gefahren wahrnehmen. Es mag im 750. Todesjahr des
Franz von Assisi immerhin gestattet sein, an den fundamentalen
Unterschied seines Lebenswerkes zur Theologie des
Franziskaners Johannes von Ripa zu erinnern. Wie dürftig
mutet das Gedankensystem des Franziskus, sofern man von
einem solchen überhaupt sprechen kann, gegenüber der
Denkleistung Ripas an! Jedoch vermag die mit dem Leben
selbst verantwortete und weithin durch das Leben statt
durch bloße Worte artikulierte Lehre des Heiligen von Assisi
auch heute noch christliche Existenz im tiefsten anzurühren
und auszurichten, während das Werk Ripas in seiner
Gebundenheit an scholastische Denkformen und seiner ungewöhnliche
rationale Anforderungen stellenden Beweisführung
sich nur noch wenigen Spezialisten öffnet. Während
bei Franz Jesus von Nazareth als geschichtlicher Mensch, der
freilich als solcher die volle Inkarnation des göttlichen Heilswillens
darstellt, mit seinem Ruf zu bedingungsloser Nachfolge
undSelbstentsagung den Glauben und die Existenz des
Nachfolgenden bestimmt, verbirgt sich bei Ripa der geschichtliche
Jesus fast völlig hinter der spekulativ erschlossenen
göttlichen Trinität in ihrer seinshaften Distanz von
allem Geschöpflichen. Dabei ist nicht zu verkennen, daß hier
in gleichsam philosophisch-metaphysischer Verfremdung
wichtige, ja zentrale Anliegen des christlichen Gottesglaubens
artikuliert werden. Insofern lohnt es sich für Theologen
auch heute noch, die Mühe des Nachdenkens dieser ungewöhnlich
subtilen Gedanken auf sich zu nehmen, und unser
Dank gebührt Bordiert, der durch hingebungsvolle Arbeit
uns dieses Werk neu erschlossen hat.

Dabei weiß auch Bordiert um die Problematik mancher
Ausführungen Ripas. Er deckt ihren theologiegeschichtli-
dien Hintergrund auf, indem er zurückhaltend und umsichtig
, aber in wünschenswerter Deutlichkeit dieFrage nach
Ripas Ort innerhalb der Scholastik aufwirft und in seinen
Schlußbemerkungen endgültig zu beantworten sucht. Er
sieht Ripa im Schnittpunkt der geistigen Strömungen des
Skotismus, Nominalismus und Augustinismus. Ripa ist ein
kritischer Schüler des Duns Scotus. Die Grundlagen seiner
Gedankengänge sind wesentlich durch Duns bestimmt, doch
erweist sich Ripa als ein durchaus selbständiger Denker, der
sich nicht scheut, auch an diesem in vielen Einzelpunkten
scharfe Kritik zu üben. An verschiedenen Stellen greift Ripa
bewußt auf Augustin und dem Augustinismus folgende
Theologen zurück, an anderen Punkten distanziert er sich
ausdrücklich von ihnen. Besondere Bedeutung kommt der
Frage nach Ripas Verhältnis zum Nominalismus zu. Ripa
grenzt sich des öfteren von Ockham und anderen „moderni",
die z.T. bewußt in der Anonymität belassen werden, eindeutig
ab und vermeidet in jedem Fall extreme nominalistische
Positionen. Doch kann nidit übersehen werden, daß er sich
gerade in der weitgehenden Öffnung für formallogische
Operationen im allgemeinen und die Suppositionslogik im
besonderen nominalistischen Einflüssen in beträchtlichem
Maße öffnet und dabei gelegentlich in große sachliche Nähe
zur potentia-absoluta- Spekulation gerät.

Es erscheint an dieser Stelle weder möglich noch sinnvoll,
den äußerst diffizilen Gedankengängen Ripas im Detail
nachzugehen. Stets sollen diese dazu dienen, tatsächliche
Probleme der scholastischen Trinitätslehre oder vom Autor

als problematisch empfundene Positionen einzelner Theologen
in Spezialfragen der Trinitätslehre zu klären, was ihm
gelegentlich, soweit man eine Lösung in den der Scholastik
gesteckten Grenzen für möglich hält, audi gelingt. Besonders
ist es die Unterscheidung von communieatio und pro-
duetio, die er in jeder Distinktion in überraschendem Maße
für diese Klärung fruchtbar zu machen versteht. Hierin wird
man das Proprium seiner Trinitätslehre sehen dürfen.

Rostock Gert Wendelborn

Büttner, Manfred: Die Gcographia generalis vor Varcnius.
Geographisches Weltbild und Providentialehre. Wiesbaden
: Steiner 1973. XIII, 251 S. m. 18 Skizzen, 1 Abb., 9 Taf.
4° = Erdwissenschaftl. Forschung, im Auftrag der Kommission
für erdwissenschaftl. Forschung der Akademie der
Wissenschaften und der Literatur hrsg. v. C. Troll, VII.
Lw. DM 80,—.

Der Vf. hat 1963 mit der Dissertation „Theologie und Naturwissenschaft
, insbesondere Geographie" an der Evangelisch
-Theologischen Fakultät in Münster promoviert. Nun
legt er seine gekürzte Habilitationsschrift vor, die 1970 von
der Abteilung für Geowissenschaft in Bochum angenommen
wurde. Sie trug den Titel „Das Werden der allgemeinen Geographie
im Zusammenhang der wechselseitigen Beziehung
zwischen Geographie und Theologie". Das Thema seines
Forschens ist also dasselbe geblieben. Ausgewählt hat er
sich nun die Entwicklung der deutschen Geographie von
1500 bis zum Jahre 1616, in dem die letzten Veröffentlichungen
von Bartholomäus Keckermann (1571—1609) erschienen.
Der im Titel genannte Bernhard Varenius trat erst 1650 mit
seiner „Geographia generalis" hervor. Der Vf. will zeigen,
wie das Fundament errichtet wurde auf dem Varenius baute.
Ein Personenregister — allerdings ohne Vornamen und Lebensdaten
— und ein Sachregister erschließen erfreulicherweise
das Dargebotene.

Im ersten Teil (9—79) wird vorgestellt, was an geographischer
Literatur um 1500 zur Verfügung stand, welchem Teil
der Geographie diese sich jeweils widmete und welche für
den Theologen wichtige Aussagen sie enthielt. Der zweite
Teil (80—120) untersucht „Das Einfließen geographischer Vorstellungen
und Begriffe in die sich entwickelnde protestantische
Vorsehungslehre". Danach (121—171) werden die Einwirkungen
der lutherischen und der reformierten Theologie
auf die Entwicklung der Geographie dargestellt, ehe im vierten
Kapitel (172—201) die Leistungen von Keckermann herausgearbeitet
werden, der die Begriffe „Geographia generalis"
und „Geographia specialis" prägt, unter Verwendung der
bei den Theologen seiner Zeit üblichen Methode des sorgfältigen
Zitierens und Distinguierens die Arbeitsweise der
Geographie verbesserte, den Gegenstand dieser Wissenschaft
genau umschrieb und die Geographie aus der Umklammerung
durch die Theologie löste. Der Vf. bezeichnet
Keckermann als „den Begründer der wissenschaftlichen
Geographie" (204).

Der Vf. sieht für die Theologie zwei Möglichkeiten, etwas
über die Beziehungen Gottes zur Welt auszusagen. Gehe sie
vom Jetzt aus, so komme sie zur Aussage „Gott lenkt die
Welt" und spreche von der göttlichen Vorsehung als Providentia
. Setze sie aber beim Damals ein, gelange sie zur Aussage
„Gott hat die Welt geschaffen" und mache die creatio
zur Grundlage der Betrachtung (59). Mit den verschiedenen
Ausgangspunkten pflegten sich unterschiedliche wissenschaftliche
Methoden zu verbinden. Wer mit dem Jetzt beginne
, suche von der Natur her zu Gotteserkenntnis zu gelangen
, wie Aristoteles in „De mundo" von einer Beschreibung
der Welt zu Gott als ihr Regierer gelangt. Es werde
also der Weg einer natürlichen Theologie beschritten. Wer
hingegen das Damals zum Ausgangspunkt nehme, sei auf
die Uberlieferung über das Damals, d.h. auf die Heilige
Sdirift, angewiesen, so daß er von der Offenbarung her
denke und argumentiere.