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Ausgabe:

1977

Spalte:

731-735

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lüdemann, Gerd

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zur simonianischen Gnosis 1977

Rezensent:

Frickel, Josef

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Christen der Hauptstadt, z. T. noch im Synagogenverband lebend
, will Paulus als eine ekklesia konstituieren. Wenn Paulus
das östliche Missionsgebiet definitiv verläßt, schreibt er Krim B,
um die 'Starken' zu einem richtigen Verhalten gegenüber den
'Schwachen', d. h. denen, die sich noch an die synagogale Speise
- und Feiertagsgesetzgebung gebunden wissen, anzuleiten.
Eine Untersuchung von der Integrität des Rom B ergibt, daß
13,1 — 7 und 13,11—14 Fremdkörper im zweiten Brief bilden.
Diese 'Einlagen' werden in Kap. F untersucht : 13,11—14 gehört
wahrscheinlich in einen der vom Redaktor der paulinischeD
Briefsammlung gestrichenen Iiriefsehlüsse der Schreiben nach
Thessalonich; 13,1 — 7 ist nicht paulinisch, sondern ein aus der
Synagoge stammendes Traditionsslück. das der Redaktor in den
Römerbrief aufgenommen hat. Rom 5,1—11 gehörte ursprünglich
zui' Korrespondenz mit Thessalonich. — Abschließend werden
von Schmithals verschiedene Glossen uniersucht: 2,1.13.
16;5,6f.;7,25b;8,l;10,17.

Schmithals zeigl sehr eindrucksvoll, daß die historischen
Probleme des Römerbriefes noch nicht gelöst sind. Immer noch
lolinl es sich, auf die kritischen Stimmen aus dem vorigen Jahrhundert
zu lauschen. Ob nun Schmithals selbst den richtigen
Weg bahnt, ist eine andere krage. Wenn er die römischen Christen
als ehemalige „Gottesfürchtige" versteht, darf er vielleicht
Zustimmung finden. Die Fragen sind aber: Ob die Adressaten
des Briefes nur Heidenchristen sind? Ist es überhaupt möglich,
so viel über die römischen Christen zu wissen, wie es Schmithals
tut? Sollte man nicht gründlich erwägen, ob das Judentum
der römischen Heidenchristen auf das Judenchristentum zurückzuführen
ist ? Die große Periode des Jucicnchristcntums,
mit der Befestigung des theologischen Selbstbewußtseins, kam
in den Jahren 50 — 70 — was vor allen Paulus eindrucksvoll bezeugt
. Den Einfluß Jerusalems zu der Zeit darf man nicht unterschätzen
. Sehr schwierig ist es. die Iiterarkritischen Operationen
Schmithals' zu verstehen. Er verwendet die briefstilistischen
Kriterien derart streng, fast puristisch, daß wir danach
kaum ein einziges, integres Exemplar von einem ursprünglichen
Paulusbrief besitzen. Methodisch ist es außerordentlich schwer,
mit dem ..großen Unbekannten", d. h. dem Redaktor der ülles-
sten Paulusbriefsammlung, zu operieren. Seine literarische Methode
ist nicht zu erfassen, und sein theologisches Profil wird
immer verschwommener, je mehr man die Zusammensetzung
der vermeintlichen Teile 'unseres' Römerbriefes studiert. Es
bleibt u. a. die Frage: Wie ist eigentlich 15,8—13 aus Rom A zu
Rom B gekommen? Auch die Frage-, wie Böm 16, falls dies Kapitel
ein literarisch möglicher, selbständiger Brief ist, seinen
jetzigen Platz gefunden hat, bleibt unbeantwortet. Auch die
Darstellung der Geschichte der römischen Christenheit zur Zeit
der zwei Bömerbriefe überzeugt nicht. Sind die Christen in Rom
erst nach dem Empfang von Böm A eine Gemeinde, ekklesia,
geworden? Kann man von den zerstreuten Christen und Gruppen
, z. T. noch in Synagogenverband lebend, sagen: „Von eurem
Glauben ist in der ganzen Welt die Bede" (1,8) ? Was ist das
für eine neue ekklesia, die wir in Kap. 14 — 15 finden? Die Gemeinde
besteht aus einer Mehrzahl von 'Starken', ausgetreten
aus der Synagoge, und „nicht wenige" von 'Schwachen', die
immer noch in dem Synagogenverband leben. Nach Schmithals
aber schreibt Paulus Böm A, um die Christen von der Synagoge
loszureißen, denn erst so wird sie zur ekklesia. Die.'Schwachen'
werden aber nicht (mehr?) aufgefordert, ihre Lebensweise aufzugeben
, sondern die 'Starken' sollen auf sie, die das Anliegen
des Rom A abgelehnt haben, Bücksiebt nehmen und anerkennen
.

Die historischen Fragen des Bömerbriefes hat Schmithals
nicht beantwortet, aber er hat sie unüberhörbar und unausweichlich
neu gestellt. Das ist sehr verdienstvoll.

Oslo Jacob Jervell

Lüdemann, Gerd: Untersuchungen zur simoruanischen Gnosis.

Göttingen: Vandenhoeck & Buprecht [1975]. 156 S. gr. 8° =
Göttinger theologische Arbeiten, hrsg. v. G. Strecker, l.Kart.
DM 22,-.

732

Die Dissertation von I,. erstrebt ein großes Ziel: eine umfassende
kritische Prüfung der gesamten altchristlichen Überlieferung
über Simon Magus und die Simonianer. Was ist nach den
uns bekannten Quellen authentisch bezeugl und darf für jede
weitere Arbeit auf dem Gebiet der frühen Gnosis als gesichert
gellen? Diese von jeder kritischen Forschung immer neu zu leistende
Überprüfung ihrer Grundlagen beginnt L. mit einem
Forschungsbericht über die Wertungen, welche Simon und die
sim. Gnosis bisher erfahren haben, beginnend mit den kritischen
Thesen der Tübinger seit F. Chr. Baur, um auf frühere quellenkritische
und neuere Fragestellungen überzugehen. In diesem
Referat nimmt L. kritisch Stellung und bezieht bereits feste
Positionen, die später vorausgesetzt werden. In seinem anschließenden
eigenen Beilrag zur sim. Frage sucht er zunächst eine
quellenkritische Grundlage. Zwei übergreifende Quellenkon-
struktionen werden geprüft: a) das Syntagma Hippolyts, h) das
Syntagma Justins. Ersteres bietet keine brauchbare Grundlage,
weil aus den I lärelikerlistcn hei Epiphanius/Philastrius/Ps.-
TertuUian inhaltlich nicht rekonstruierbar. Bestehen kann das
Syntagma Justins, das für [renalis I II f., 23 ff. als Vorlage gedient
haben dürfte und daher von dort z. T. erschließbar ist.
Zwei folgende Abschnitte behandeln die Gestalten des Simon
und der Helena, um jede getrennt aus sich selbst ZU Verstehen.
Eine foringeschichtliche Analyse der ältesten Nachricht über
Simon (Apg 8) läßt die Bezeichnung Simons als ,,große Kraft''
als Gottes Epitethon und authentische sim. Tradition bestehen;
die Person des historischen Simon rückt dagegen in den Hintergrund
. Aus Justin und Irenaus ergibt sieh ergänzend, daß Simon
schon früh höchstwahrscheinlich als Zeus angerufen wurde. Ein
wichtiger Anhaltspunkt dafür ist die Nachricht Justins von der
dem Simon auf der Tiberinsel errichteten, ursprünglich dem
Semo Sancus geweihten, aber von in Rom weilenden Simoni-
anern auf Simon umgedeuteten Statue. Daß man dabei an Traditionen
um das Zeus-Heiligtum auf dem Garizim angeknüpft
hat, macht der Autor wahrscheinlich. Eine Analyse der Helena/
Fmuoia zeigl, daß dieser Simonkuli bereits eine gnostische Religion
war. Eine erste gnostische Stufe zeigt sie11 in der Gestalt
der Göttin Athene. Da die Simonianer Helena unter dem Bild
der Athene verehrten, philosophische Quellen außerdem diese
als „erste Ennoia des Zeus", also ganz wie die simonianische
Ennoia bezeugen, gehört Athene als „erste Ennoia ' mit Simon/
Zeus zur frühen sim. Gnosis. Der bei Irenaus überlieferte Mythos
vom Fall der Ennoia, dessen Grundzüge ähnlich sich auch auf
der ältesten Stufe des Apokryphon des Johannes linden, dürfte
auf jüd isch-hellcnistische Weisheitsspekulationen zurückgehen.
Eine zweite gnostische Stufe zeigl. sich in der Gestalt der Helena,
die schon früh als Symbol der Seele galt; in ihr haben die Sim.
ihr eigenes Selbst entdeckt. Eine historische Helena an der Seite
Simons scheint unnötig. Sodann prüft L. die sim. Soteriologie
und deren kultische Verwurzelungen. Da gnost. und kult. Elemente
durch die ältesten Quellen bezeugt sind, dürften die Simonianer
schon früh, <]. h. bereits in der Mitte des eisten nachchristlichen
.Jahrbunderls (!), eine gnost. Heilslehre entwickelt
haben. Sie erweisen sich so als eine typisch synkretistische Gruppe
in der Umwelt des NT und zugleich als eine den Anfängen des
Christentums gleichzeitige Erlösungsreligion, die man als Pro-
tognostizismus bezeichnen könnte. Doch verzic htet der f. auf
solche Etiketten, die vorhandene genetische Zusammenhänge
mit dem Gnostizismus des 2. Jhs. vernebeln könnten. Ein zweiter
Hauptteil (Kap. VI) will einige Simon-Referate, die bisher

als Quellen herangezogen wurden, als nichtauthentisch erweisen.
Kriterien für diese Scheidung sind a) die Tatsache einer ursprünglich
heidnischen Gnosis der Sim., b) die kirchliche These
von Simon als Erzvater aller gnostischen Häresien, die dazu
verleitet habe, dein Simon auc h die Lehren seiner ..Nachfolger"

zuzuschreiben. Damit wird praktisch der ganze zweite Teil des
Irenäus-Referates (I 23, 3 — 4) als unecht erklärt, ebenso sämtliche
Simongeschichten in den apokryphen Apostelgeschichten
und den Ps.-Klcmcntinen. Schließlich werden in einem Exkurs
über Simon, den Stehenden, die Authentizität des HestOS-Prä-
clikats verneint, die verschiedenen Zeugnisse für diesen Gottestitel
auf die Refutatio Hippolyts zurückgeführt und die dort
bezeugte sim. Offenbarungsschrift Apophasis Megale (MA) nicht

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 10