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Ausgabe:

1977

Spalte:

48-49

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Jean Chrysostome et Augustin 1977

Rezensent:

Brändle, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 1

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torins Lapsus verzeihlich. Zunächst sind außer Lochers zwei
Psalm-Belegen noch weitere AT-Stellen zu nennen: Ps 10,2;
90,5; lob 39,22; Is 49,2. Zu ,Pfeil' gehören sinngemäß die Stellen
mit .Bogen': Ps 36,14; 59,6; 75,4; Zach 9,10; I Regn 2,4.
Alle diese Stellen werden von verschiedenen lateinischen
Auslegern mit Eph 6,16 in Verbindung gebracht. Das gleiche
gilt von den Paulusstellen II Kor 6,7; I Thess 5,8; I Tim 1,18,
die nicht von Pfeil und Bogen handeln, aber zum gleichen
Thema militärischer Metaphorik gehören.

Der hauptsächliche Fortschritt der neuen Edition gegenüber
Mai beruht auf einem neu zugänglich gewordenen Textzeugen
: der eigenhändigen Kopie eines inzwischen verschollenen
,codex Herivallensis' durch den Humanisten Jacques
Sirmond. Sirmond hat seine eigenen Verbesserungen von
dem offensichtlich getreu kopierten Text seiner Vorlage unterschieden
(Sac, SPC), und dieser alte Codex war noch in
Majuskel geschrieben, wie L. darlegt. Auf ihn gehen auch
die drei von Mai benutzten Vatikanhandschriften zurück, der
Ottobonianus 3288 A (saec. XV) mit seinen beiden Abkömmlingen
des 16. Jh.s. So kommt es, daß ihnen die großen Lük-
ken gemeinsam sind: der Anfang von Phil bis 1,17 sowie in
Eph 6,1—12. Die „Lücke von gewissem Umfang" hier könnte
durch den Ausfall eines Doppelblattes entstanden sein. Dann
wäre 200,5 eine ganze Zeile Sternchen am Platze gewesen.
Leider enthält S nur Gal und Phil. Für Eph bleibt die Textbasis
dieselbe, doch erreicht L. Fortschritte, wo Mai offenbar
nicht O, sondern nur die Abschriften benutzt hat.

Einen beträchtlichen Teil der Hss.-Fehler hat Mai bereits
verbessert, und L. folgt ihm weithin. Im Prinzip ist er konservativer
. So beläßt er mehrfach offenkundige Verderbnisse
mit Kreuz im Text, wo Mai geändert hat. Warum 183,17
ein Lapsus der Hss. im Text bleibt, wenn im Apparat das
Richtige vermerkt ist, sehe ich nicht ein. 132,7 ist ipso Mai
für das verderbte obsto (obsic?) O nicht zwingend, aber L.s
Christo auch nicht. Auch bei abgekürzter Schreibung ist die
Verderbnis der lectio facilior nicht erklärt, ein Kreuz wäre
auch hier am Platz. 73,31 ist aliquo et aliquo der Hss. im Text
belassen, erwägenswertes aliquo Mai nicht notiert. 143,25
erscheint mir das zweimalige suscitavit der Hss. nicht unmöglich
. Bei größeren Änderungen gegenüber Mai wie etwa
163,28—29 wüßte man gern, ob Mai den einhelligen Befund
der Hss. stillschweigend geändert hat und L. ihn jetzt stillschweigend
wiederherstellt. Von eleganten eigenen Verbesserungen
L.s hebe ich hervor 173,30 iniurias, 201,24 iusti si-
mus. Gliederungen sind weitgehend Geschmackssache, doch
dürfte der Absatz 187,8 besser bei 10 zu machen sein, 199,33
statt Punkt ein Komma zu setzen.

Aus der Praefatio ist hervorzuheben die Zusammenstellung
von Eigenheiten der Latinität des Victorinus. Diese
knappe Ubersicht dient zunächst zur Rechtfertigung der
Textgestaltung, ist aber zugleich ein Ansatz für eine gründlichere
Würdigung von Sprache und Stil, wo dann näher
darzulegen wäre, inwieweit die Abweichungen von der ci-
ceronianischen Norm allgemeines Spätlatein, speziell christliches
Latein unter dem Einfluß der lateinischen Bibel oder
persönlicher Stil sind. Zum Genre des Kommentars antiker
Art gehört die fast unlösbare Verflechtung von Text und
Auslegung, repräsentiert z.B. durch den Ubergang von der
1. in die 3. Person und zurück. Eine Auswirkung dieser Verflechtung
ist es, daß L. die größte Mühe hat, zu entscheiden,
welche Passagen als Wiederholung des Textes kursiv zu
drucken sind, welche als Paraphrasen des Kommentators in
Grundschrift.

Bei dieser Lage ist es schwer verständlich, daß L. zwar die
einschlägigen Teile der Vetus Latina verzeichnet (Eph
1962 ff., Phil 1966 ff.), aber nicht benutzt. Es geht ja nicht nur
um die Lemmata bei Victorinus, der den I-Text der Vetus
Latina darstellt, sondern eben auch um die Widerspiegelung
des Paulustextes in seinem eigenen. Es ist kein Zufall, daß
der Editor H. J. Frede lange Passagen aus Victorinus
(= MAR) im Apparat zitiert. Er folgt hier zwar Mai, gibt
aber auch eigene Verbesserungen, z.T. von seinem übrigen
Material her. So hätte L. z.B. seine eigenen Emendationen

(,scripsil) zu 184,34 und 203,34 schon bei Frede finden können
. Anderes wäre zu beachten gewesen, so 144,8 quam für
quae, 73,15 scientes für scilicet, das Ganze dann als Zitat aus
Phil 1,16 (inquit) kursiv; 184,33 deum für spiritum (vgl.
185,5). (194,15 wäre zu erwägen, ob die Verkürzung des
Lemmas Eph 5,14 wirklich, mit Frede, als Homoioteleuton
erklärbar ist: auch der Kommentar schweigt dazu, Victorinus
umgeht die Passage, an deren Herkunft und Sinn u.a.
Hieronymus rätselte.)

Leider gibt es einige Anzeichen eiliger Arbeit, so deutsches
„a.a.O." (das man als Leerformel überhaupt meiden sollte)
im lateinischen Apparat 178,28—29, ebenso deutsches „1
Kor." 19,4—5 und 19—24 statt sonst „I Cor", Halbkorrekturen
(?) wie 188,6 App. sine inse dubio. So ist wohl auch 204,27
tempore, das bei Mai fehlt, nur eine fehlerhafte Dublette zu
Z. 28, wo das gleiche Wort ebenfalls am Zeilenende, jedoch
kursiv erscheint. 120,14 App. deutet „46" statt „4b" auf handschriftliche
Druckvorlage. Im Text selbst ist zu berichtigen
32,20 atque, 119,16 aeeepti, 121,4 expetieritis, 125,7 quodam
partu, 150,8 eramus (obwohl erasmus recht lateinisch aussieht
), 191,27 stultiloquio. Der so oft kritisierte Migne druckt
jeweils richtig. Silbentrennungen wie que-/madmodum
(155,10 f. und p. XII, Nr. 3, Z. 6) mißfallen.

Am Schluß des Bandes steht das Sigelverzeichnis, für das
vorn kein Raum blieb, und eine lose beigegebeneTafel, f. 23v
aus Codex O, wo die verschiedenen Korrektoren gut zu unterscheiden
sind. [Inzwischen, Ende 1976, ist auch L.s Ausgabe
der Opera theologica erschienen.]

Berlin Kurt Treu

Kannengießer, Charles [Ed.]: Jean Chrysostome et Augustin.

Actes du Colloque de Chantilly 22—24 septembre 1974. Paris
: Beauchesne [1975]. 305 S. 8° = Theologie Historique,
div. par. Ch. Kannengießer, 35. ffr. 64,50.

Im September 1974 sind in Chantilly bei Paris eine Reihe
französischer Patristiker zu einem Kolloquium mit dem weitgesteckten
Thema „Johannes Chrysostomos und Augustin"
zusammengekommen. Ziel dieser Tagung war, die beiden
Väter der Kirche unter verschiedenen Fragestellungen zu
konfrontieren, um durch sie als zwei hervorragende Zeugen
etwas von dem in Erfahrung zu bringen, wie der christliche
Glaube an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert den Menschen
in Ost und West vermittelt worden ist.

Der vorliegende Band enthält 14 Beiträge. Die zwei ersten
und der abschließende Artikel versuchen, den historischen
Kontext zu erhellen. Charles Pietri, L'aristocratie chretienne
entre Jean de Constantinople et Augustin (283—305) beleuchtet
die Beziehungen zwischen Ost und West und gibt damit
ein Stück Antwort auf die komplexe Frage, warum die Pe-
lagianersich auf Chrysostomos berufen haben. ClaudeLepel-
lcy, Saint Augustin et la Cite Romano-Africaine (13-39) und
Alain Natali, Christianisme et Cite ä Antioche ä la fln du IVe
siede d'apres Jean Chrysostome (41—59) versuchen aufzuzeigen
, wie Johannes und Augustin in einer bestimmten Geschichte
, in ihrer Polis, in ihrer Kirche verwurzelt sind. Sie
weisen beide auf die Schwierigkeiten hin, die die Christen
in Afrika wie in Antiochien hatten, ihre Verantwortung als
Bürger und Angehörige der christlichen Kirche miteinander
in Einklang zu bringen. Hier hätte m.E. eine differenziertere
Betrachtung einen wichtigen Unterschied zwischen Chrysostomos
und Augustin festhalten müssen. Chrysostomos hofft
mehr als Augustin auf die gegenseitige Durchdringung von
Gesellschaft und Kirche, auf eine christliche Gesellschaft
(vgl. die Bemerkung von Pietri, S. 285, die in die gleiche Richtung
geht).

In den zwei folgenden Beiträgen geben Andre Mandouze,
Saint Augustin et le ministere episcopal (61—73) und Anne-
Marie Malingrey, Le ministere episcopal dans l'ceuvre de
Jean Chrysostome (75—89) eine Zusammenfassung der Sicht
des Bischofsamtes bei den beiden Vätern. Sie verstehen es
ausgezeichnet, Berührungspunkte wie Amt als Gnaden-