Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1977

Spalte:

689-691

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Mezger, Manfred

Titel/Untertitel:

Freude am Wort 1977

Rezensent:

Winter, Friedrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

689

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 9

690

Kinde das nötige menschliche Wohl zuzuwenden vermöge
oder nicht. Darum müsse sie auch das Recht haben zu entscheiden
, ob sie dem Kinde ein Mitmensch werden könne
oder nicht. Im negativen Fall sei ein Abbruch zu gestatten.
Das hier zugrunde liegende Kriterium ist anthropologisch
gesehen die ganzheitlich verstandene Mitmenschlichkeit.

Die katholischen Autoren und Gruppen halten sich im
großen ganzen im Rahmen einer juristisch erlaubten — vorsichtig
zu handhabenden — Drei-Indikationen-Lösung.
Ethisch gesehen halten sie diese freilich entsprechend päpstlicher
Lehre nicht für gut. Sogar die „Schweizerische Bischof
skonferenz" äußert sich entsprechend (S. 232—247). Für
die Fristenlösung spricht sich so gut wie kein römisch-katholischer
Vertreter aus. Wichtig ist besonders der grundlegende
Beitrag von Stephan H. Pfürtner, Moralwisseri-
schaftliche Erwägungen zur Strafrechtsreform des Schwangerschaftsabbruches
(S. 42—67). P. weist zum Schluß seines
Beitrages darauf hin, daß bei grundsätzlicher Ablehnung jeder
Form des Schwangerschaftsabbruches dennoch einige
katholische Meinungen anders lauten: Unterscheidung von
direkter und indirekter Tötung, Hinweise auf andere Stimmen
vor 1895, Zustimmung zur Straffreiheit bei medizinischer
Indikation durch einzelne Bischöfe, Öffnung zur Indikationenlösung
durch einzelne katholische Moraltheologen
(S. 65 ff.). Es ist ja auch erstaunlich, wie die katholischen
Stimmen der Schweiz weithin bereit sind, bei Aufrechterhaltung
der ethischen Verbindlichkeit im Grundsatz dennoch
die staatliche Regelung der Drei-Indikationen-Lösung
vorsichtig zu unterstützen.

Es ist nicht möglich, die zum Teil hoch differenzierten, sich
aber dann doch auch wiederholenden Argumente im einzelnen
zu verfolgen. Jedenfalls wird das eine Gebot Gottes im
Horizont der Schweizer Lebenswirklichkeit, wo man im
Verhältnis von illegalen Aborten und Geburten mit einem
Zahlenergebnis von 1 zu 1 rechnet, mit sehr praktischen und
rationalen Argumenten ausgelegt. Das Recht auf Leben für
Ungeborene, das Recht der Frau, soziale, medizinische, juristische
und individuelle Überlegungen werden durchweg
umsichtig, offen und überwiegend tolerant in der Form zur
Begründung der einen oder anderen Position eingeführt.
Fast alle Stellungnahmen gehen davon aus, daß der Schwangerschaftsabbruch
eine Notlösung darstellt. Damit er möglichst
überflüssig wird, sind ethische, soziale, juristische und
pädagogische Maßnahmen erforderlich, die das Zusammenleben
von Mann und Frau positiv beeinflussen. Über diese
Maßnahmen wird im einzelnen ausführlich gesprochen.

Berlin Friedrich Winter

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Mezger, Manfred: Freude am Wort. Predigten. Gütersloh:
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn [1975]. 157 S. 8° Kart.
DM 18,-.

Ein weiterer Band von Predigten des Vf. ist erschienen.
Es lohnt sich, auch diesen Band nicht nur zu lesen, sondern
auch zu studieren, um homiletisch daraus viel Gewinn zu
ziehen — wenn man bereit ist, manche Thesen in Position
und Negation häufiger zu Gesicht zu nehmen.

1. Es sind textnahe Predigten, die im deutlichen Ringen
roit dem Text entstanden sind, z. T. auch in der Auseinandersetzung
mit den in ihm steckenden Traditionen und
seiner Redaktion. Der Leser wird darüber gern in Kenntnis
gesetzt, vielleicht etwas zu häufig. Die Textnähe schließt
auch klare Abgrenzungen gegenüber Textaussagen ein, wo
Vf. meint, heute in eigener Vollmacht etwas anderes sagen
2u müssen: „Besonders anregend sind Texte, denen man in
der Predigt teilweise widersprechen muß" (S. 12). Wo eine
genauere Auslegung aus Zeitgründen nicht möglich ist, wird
das ausdrücklich vermerkt (S. 100). An biblischen Texten

kommen nur neutestamentliche Stellen vor; unter ihnen
Matthäus und Lukas bevorzugt, also die Moralisten unter
den Synoptikern. Johannes wird jesuanisch ausgelegt. Darüber
hinaus werden überwiegend paränetische Episteltexte
behandelt. Die Auslegungen sind immer interessant und
oft frappierend eigenständig. Dabei geht es dem Prediger
um „das eine Wort, auf das wir trauen, im Leben und im
Sterben" (S. 100).

2. Texte und Zeugnis werden von einem klaren theologischen
Vorverständnis her angeleuchtet. Die immer wiederkehrende
theologische Basis ist der Hinweis auf Jesu Wort
und Verhalten. Letztere Standardvokabel aus der Anthropologie
ist Vf. — zusammen mit E. Fuchs — besonders wert.
Jesus ist nicht als Person zugänglich (S. 98), sondern nur
durch sein Wort und sein beispielhaftes Verhalten als Urheber
, Zeuge und Garant des Evangeliums. Er ist ins „Evangelium
seiner Zukunft" auferstanden (S. 78). Diese Grundaussagen
hindern aber nicht, immer wieder von Jesus als
einer heute die Menschen angehenden Person zu reden.
Freilich werden selten andere Würdetitel wie Christus oder
Herr genannt, auch wenn die Texte es nahelegen. — Der Gottesbegriff
wird nicht ausgespart, aber dennoch nur selten
genannt. Oft wird auch gegen ihn polemisiert, wo er gängig
und bekenntnishaft stereotyp verwendet wird. Manchmal
werden Chiffren laut, z. B. in Form von Pronomen (vgl. etwa
S. 95, letzter Predigtsatz), die dem Kundigen interpretabel
sind. Gegen die Trinitätslehre der Theologen wird einerseits
polemisiert, andererseits wird sie so ausgelegt: „Vater,
Sohn und Geist, die wir anbetend loben, sind ja keine Formel
oder ein paradoxes Rechenbeispiel. Sie sind Geschichte
unseres Lebens und Erfahrung des Glaubens. Andernfalls
gingen sie uns nichts an" (S. 80). — Zorn und Gericht Gottes
treten zurück, wo Texte sie thematisch machen. Einmal wird
der Zorn Gottes als nicht empfehlenswerte Drohung beiseite
geschoben — übrigens gegen eine Predigt zum gleichen
Text von Luther (vgl. D. Martin Luthers Evangelienauslegung
, hrsg. von E. Mülhaupt, 1961, 3. Teil, S. 214 ff.). -
Die Eschatologie wird vorwiegend präsentisch bzw. futurisch
mit Abstraktvokabeln wie Erwartung oder Hoffnung gedeckt
. Gegen apokalyptische Aussagen wird polemisiert. —
Dreimal wird ein Gebet zitiert und dabei zweimal der Heilige
Geist angerufen. Zweimal tauchen sogenannte Gebete
in thetischer Bekenntnis- und Meditationsform auf — ein
wenigstens liturgisch sprachlich gesehen schwieriges Stilproblem
. — Das Evangelium wird primär bezeugt als „Hilfe
zum Glauben, der in der Liebe tätig ist" (S. 13). Da ist Vf.
nicht bange und greift die Hörer oft fordernd und direkt an.
Daß das Heil extra nos noch verborgen ist, wird weniger bezeugt
.

3. Die Hörergemeinde wird mit ganzer Leidenschaft und
Liebe umworben. Verstecke werden bohrend aufgedeckt
oder kommen nüchtern und sachlich zur Sprache. Dabei faßt
Vf. die Menschen, die ihm zuhören (und ihm zum Teil harte
Briefe geschrieben haben), nicht immer sanft an. Die barsche
Seite seiner vielseitigen Lebensweisheit wird oft allerdings
vorteilhaft durch die humorige Art der Formulierung
aufgefangen. Sonst wirkte es manchmal etwas penetrant.
Individuelle und politische Existenz der Gemeinde kommen
in gleicher Weise zu Wort, wobei Negativa des gesellschaftlichen
Lebens besonders deutliche Akzente erhalten. Zwei
Hörergruppen werden immer wieder angegriffen: die Theologen
(selten die Kirche) und fromme Laien fundamentalistischer
Prägung. Hier kommt es zu stereotypen Wortklischees
. Da hört der Humor weithin auf, schade. Auf zwei
Gebieten wird Vf. wiederum besonders freundlich gestimmt
. Wo es um ökumenische Kontakte geht, wirken die
beiden Predigten in evangelisch-katholischen Gottesdiensten
dogmatisch gefüllter und positiver, als es in manchen
anderen Predigten der Fall ist (S. 71, 119). Dann ist da das
immer wiederkehrende Thema der Kirchenmusik, weil Vf.
oft Gastprediger bei kirchenmusikalischen Festen war: Bach
erfährt immer wieder eine begeisterte Interpretation. Kein
Wunder, daß das gute Verhältnis zu den Kirchenmusikern