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Ausgabe:

1977

Spalte:

681-682

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hirsch, Eike Christian

Titel/Untertitel:

Das Ende aller Gottesbeweise? 1977

Rezensent:

Jenssen, Hans-Hinrich

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 9

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tholica als die umfassende Religion der Zukunft erwiesen
wird (359 ff.). So will Tyrrell erreicht haben, daß die „Idee"
Jesu und die Kirche (319 ff.), daß der freie Gewissensglaube
und die kirchliche Dogmatik (140 ff.), daß der christliche
Glaube und seine moderne Welt in einer Synthese jeder für
sich existieren können.

Die evangelische Theologie hat sich seit Schleiermacher
bemüht, ihre „Sache" für die Gebildeten unter ihren Verächtern
vor der „Barbarei" des bloß Sektiererischen zu retten
. Wenn man Tyrrells Religionsphilosophie studiert und
auf die Hinweise und Anfragen der vorliegenden katholischen
Dissertation achtet, dann könnten der evangelischen
Theologie einige Aspekte deutlicher werden: a) Offenbarung
und Glaube können nicht nur auf das individuelle Gewissen
bezogen werden, sondern müssen ebenso in ihrer öffentlichen
, religiösen Dimension entfaltet werden, weil sie sonst
sprachlos, inkommunikabel bleiben (384 f.). Hatte die Religionskritik
der Dialektischen Theologie dem christlichen
Glauben seine welthafte Vitalität abgesprochen, so muß
man heute darauf achten, weder in das religio-gratia-Stu-
fenschema noch in die Vorstellung zu verfallen, daß jede
Erfahrung eine religiöse Komponente haben müsse. — b) Wie
wird Offenbarung bzw. Glaube mitgeteilt? Die Konzentration
auf ein kirchliches depositum ist ebenso „äußerlich" wie
die auf ein nicht hinterfragbares Kerygma „innerlich".
Offenbarung Gottes, Glaubenserfahrung des Menschen und
„prophetische" Sendung lassen sich weder kirchlich vorweg
festlegen noch in das Kerygma verflüchtigen. — c) Was bedeutet
Kirche? Die Ekklesiologie stellt zusammen mit der
Frage der Religion für die katholische wie protestantische
Theologie u. E. das Hauptproblem dar; mit der „Anthropo-
logisierung" des christlichen Glaubens in der Neuzeit müssen
beide dessen Kommunikationscharakter neu auslegen
gegen den kirchlichen Institutionenpositivismus der Papst-
und Amtskirche wie gegen eine privatistische Totalemanzipation
aus kirchlicher Institutionalität.

Tyrrell konnte diese und weitere Fragen nur gleichsam
negativ beantworten, nämlich durch die Trennung von
Glauben und Wissen, von Offenbarung und Theologie im
Rückgriff auf einen solchen transzendenten Gott, der sich
nur im Gewissen des Individuums offenbart. Es ist aber das
Verdienst Tyrrells — und hierin erfährt er eine gewisse
Rehabilitierung in der katholischen Kirche (389 f.) —, daß er
alle diese Fragen in der notwendigen Schärfe aufgeworfen
hat. Vielleicht könnten sich der herkömmliche Katholizismus
und der klassische Protestantismus ökumenisch ein Stück
weit verständlicher machen in der gemeinsamen Arbeit an
den Fragen und Lösungsvorschlägen Tyrells.

Stadt Rehburg U. Gerber

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Hirsch, Eike Christian: Das Ende aller Gottesbeweise? Naturwissenschaftler
antworten auf die religiöse Frage.
Hamburg: Furche-Verlag [1975]. 120 S. kl. 8° = Stundenbücher
, 121. DM 7,80.

Die Veröffentlichung basiert — mit Ausnahme des letzten
Kapitels — auf Arbeiten für den Hörfunk, insbesondere
Interviews mit Werner Heisenberg, Carl Friedrich von
Weizsäcker, Reinhard W. Kaplan und Manfred Eigen sowie
jüngeren Kernphysikern aus Heidelberg und entsprechender
vorbereitender und ergänzender Lektüre. Diese Entstehungsgeschichte
erklärt die Vorzüge und die Schwächen des
Büchleins: Es ist flüssig geschrieben, gut lesbar, anregend
und informativ, aber es benennt bisweilen mehr die Probleme
, als daß es sie wirklich gründlich erörterte. Es will
nicht nur die religiöse Position bekannter Naturwissenschaftler
darstellen, sondern nimmt auch kritisch dazu Stellung
, ohne dies immer mit der gebotenen Gründlichkeit tun

zu können. Neben anregenden und weiterführenden, gelungenen
Formulierungen finden sich u. E. auch allzu kurzschlüssige
Urteile und Thesen. Insgesamt jedoch ist die
Veröffentlichung unzweifelhaft nachhaltig zu begrüßen.

Wir geben nachfolgend das vollständige Inhaltsverzeichnis
und nehmen dann schwerpunktmäßig zu einzelnen
Kapiteln und Grundtendenzen Stellung, da eine gleichmäßige
Besprechung der gesamten Thematik den Rahmen
einer Rezension bei weitem übersteigen würde. „Inhalt:
Vorbemerkung I. Zur Einführung: 1. Gibt es nun einen Gott
— oder nicht? 2. Wissenschaft als Religion. II. Der Gott der
Physiker: 1. Werner Heisenbergs Glaube an die zentrale
Ordnung. 2. Pascual Jordans Glaube an den Göttlichen Zufall
. 3. Carl Friedrich von Weizsäcker und die Herrlichkeit
Gottes. III. Der Gott der Biologen: War ein Schöpfer überflüssig
? Manfred Eigen über die Entstehung des Lebens. IV.
Der kosmologische Gottesbeweis von heute: 1. Am Anfang
war der Urknall. 2. Die Gotteserfahrung in der Kontigenz
bei Immanuel Kant und Carl Friedrich von Weizsäcker.
Verzeichnis der zitierten Literatur." In I, 2 möchte Hirsch
vor einem vielfach zu beobachtenden, allzu vordergründigen
„apologetischen Mißbrauch der Wissenschaftler als
Glaubenszeugen" (S. 24) warnen. Prinzipiell gesehen ist es
durchaus richtig, daß das hohe Ansehen, das die Naturwissenschaften
und von daher abgeleitet auch die Naturwissenschaftler
genießen, nicht dazu berechtigt, diese Autorität einfach
auf ganz andere Gebiete, wie z. B. das des Glaubens zu
übertragen. Stellungnahmen zustimmender oder ablehnender
Art mancher Naturwissenschaftler zu Fragen des Glaubens
sind theologisch und philosophisch gesehen in der Tat
bisweilen reichlich naiv und unqualifiziert. Dennoch schießt
Hirsch u. E. weit über das Ziel hinaus, wenn er schreibt,
„daß die Bestätigung durch einen Naturwissenschaftler
keine größere Beweiskraft hat als Schlagzeilen wie ,Popstar
gesteht: ich glaube an Jesus' oder .Weltrekordler Bendlin
hat vor Wettkämpfen immer in der Bibel gelesen'" (S. 26).
Denn Pop und Sport werden kaum als negative Instanzen
gegen den Glauben ins Feld geführt, wohl aber die Naturwissenschaften
, so daß schon von daher der Berufung auf
gläubige Naturwissenschaftler ein anderer Stellenwert zukommt
, sei es auch nur als Beweis dafür, daß es sich bei den
negativen Berufungen auf die Naturwissenschaft um eine
unzulässige Grenzüberschreitung handelt.

Freilich, eine klare Grenzziehung zwischen Glaube bzw.
Theologie und Naturwissenschaft ist — das zeigt gerade das
Buch von Eike Hirsch — überhaupt eine durchaus voller
Probleme steckende Sache. Sicher, die Unmöglichkeit, einen
positiven oder negativen Gottesbeweis logisch zwingend von
den Naturwissenschaften her zu führen, markiert rechts
und links zwei feststehende Grenzpfähle, dazwischen aber
eröffnet sich ein weites Feld unterschiedlicher philosophischer
und theologischer Interpretation bestimmter naturwissenschaftlicher
Erkenntnisse und Tatbestände, über das
Hirsch instruktiv informiert.

Seine Feststellung im letzten Kapitel „es kann aber, meine
ich, nicht die Aufgabe der Theologie sein, die Naturwissenschaft
zu verändern, sondern nur sie zu interpretieren"
(S. 115), hat durchaus programmatische Bedeutung.

Berlin Hans Hinrich Jenssen

Scheffczyk, Leo [Hrsg.]: Grundfragen der Christologie heute.

Heinrich Fries, Alois Halder, P. Hünermann, W. Kasper,
F. Mussner. Freiburg—Basel—Wien: Herder [1975]. 183 S. 8°
= Quaestiones Disputatae, hrsg. v. K. Rahner und H.
Schlier, 72. Kart. DM 29,80.

Die hier vorliegenden christologischen Studien, die sich
durch ein hohes Problembewußtsein auszeichnen, sind Zusammenfassungen
von Referaten der Tagung der deutschsprachigen
„Arbeitsgemeinschaft katholischer Dogmatiker
und Fundamentaltheologen", die vom 1. bis 4. Jaunar 1975 in