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Ausgabe:

1977

Spalte:

45-48

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Marius Victorinus, Gaius

Titel/Untertitel:

Marii Victorini Afri commentarii in epistvlas Pavli ad Galatas, ad Philippenses, ad Ephesios 1977

Rezensent:

Treu, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 1

■Iii

anderer Reichsteile und zogen die Meinungen der Hofkreise
und mancher Senatoren mit in Betracht. Daraus sollte man
wohl kaum, wie es W. gelegentlich tut, den Schluß ziehen,
daß die Päpste sich der eigentlichen Entscheidung in Fragen
der Lehre entzogen oder sie (vorübergehend) in erster Linie
den Afrikanern überlassen hätten. Denn einerseits dürfte
die pelagianische Kontroverse in einer exzeptionellen Position
stehen, und gewiß hat Augustinus, insbesondere nach
seinem „Erfolg" über den Donatismus, sich befähigt gefühlt,
auch eine schwierigere theologische Kontroverse im wesentlichen
allein zu entscheiden. Für das noch ungefestigte, von
Ravenna wie anderen Machtzentren und geistigen Potenzen
beeinflußte Papsttum mit seinen oft sehr kurzfristigen
und nicht immer unbestrittenen Pontiflkaten mag es nützlich
gewesen sein, in Augustinus einen Protagonisten zu besitzen
, der der Rechtgläubigkeit auf seine zuweilen radikale
Weise diente. Man konnte seine Entscheidungen und Thesen
audi in abgewandelter und gemilderter Form benutzen —
und damit hat sich die päpstliche Kirchenpolitik im wesentlichen
begnügt, ohne sich damit etwas zu vergeben, insbesondere
nicht imHinblick auf den kurialenPrimatsanspruch
und die im Entstehen begriffene päpstliche Jurisdiktionsgewalt
. Zu diesen komplizierten Fragen sagt W. manches Förderliche
, ohne — was nebenbei auch kaum möglich wäre — in
Neuland vorzustoßen. Ich würde noch stärker als W. die von
den damaligen römischen Bischöfen geforderte und von den
meisten Kirchen, wenigstens des Westens, ihnen auch zugestandene
besondere auctoritas in den Vordergrund stellen,
die letztlich auch bestes römisches Erbe ist. Mit Recht wird
immerhin S. 105 hervorgehoben, daß auch nach Meinung der
Afrikaner den römischen Bischöfen ein höheres Maß an auctoritas
eignete als anderen Bischöfen. Dies bedeutet schon
etwas, hat doch bekanntlich Augustus, zumindest nach Aussage
seines Tatenberichtes (34), seine Stellung als Kaiser
ausschließlich auf einem Mehr an auctoritas gegenüber anderen
Amtsträgern (- Kollegen) aufgebaut. Hier bietet sich
eine gewisse Parallele immerhin an. Interessant ist es auch,
daß bereits diese augusteische auctoritas zumindest weithin
charismatischen Charakter hat, obgleich das persönliche
Drängen des ersten Prinzeps natürlich vor allem auf Erweiterung
seiner realen Machtfülle ging: Die Päpste mußten auf
eine solche Entwicklung ebenso hinzielen, der insbesondere
die außeritalischen Bischöfe und Metropoliten nicht ohne
weiteres — oder bestenfalls in verwässerter Form — zustimmten
, so daß sich natürlich die reale Jurisdiktionsgewalt
Roms nur sehr langsam und unter starken Schwankungen
, bei unterschiedlichster Deutung des Charakters des
päpstlichen Primates, herausbilden konnte. — Zur Einstellung
Augustins zum römischen Stuhl ist übrigens der hier,
soweit ich sehe, nicht erwähnte Brief 209 an Coelestinus (von
423) nicht ohne Interesse. — Einige Quellenanhänge sowie
Register erleichtern die Durcharbeitung des gewichtigen Buches
, das an einigen Stellen — nicht zuletzt durch Benutzung
von Literatur aus den sozialistischen Ländern, die völlig
ausgespart wird, und durch stärkere Berücksichtigung der
spätrömischen Rechtsgeschichte und der Prosopographie —
an Tiefgang noch hätte gewinnen können.

Im Schlußteil (S. 278 ff.) scheinen dem Rez. die „Kurzformeln
der pelagianischen Häresie" sowie der „Rückblick" vor
allem im Hinblick auf diejenigen, die die Problematik weiterverfolgen
, besonders wesentlich zu sein, ohne daß er sich
auch hier mit jeder Position und Formulierung identifizieren
könnte.

Halle/Saale Hans-Joachim Diesner

Locher, Albrecht [Ed.]: Marii Victorini Afri Commentarii in
epistulas Pauli ad Galatas ad Philippenses ad Ephesios.
Leipzig: Teubner 1972. XVI, 208S., 1 Einstecktaf. 8° =
Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut
für Alte Geschichte und Archäologie. Bibliotheca Scripto-
rum Graecorum et Romanorum Teubneriana. Lw. M 30,—.
Den ältesten lateinischen Pauluskommentar in dieser Reihe

ediert zu finden, mag manchen zunächst überraschen. Aber

einerseits hat die Teubner-Sammlung traditionelle Grenzen
des „Klassischen" schon des öfteren gesprengt, so daß man
in ihr auch Autoren bis hin zur Lutherzeit findet, anderseits
ist gerade Victorinus ein Mann, dem mit herkömmlichen
Fachgrenzen nicht gerecht zu werden ist. Die Philologen interessierten
sich für sein grammatisches Werk, aber nicht
für die späteren Arbeiten des noch im fortgeschrittenen Alter
zum Christentum gekommenen berühmten Rhetorik-
piofessors in Rom. Den Theologen war er trotzdem zu sehr
Philologe geblieben. Das Urteil des Hieronymus über seinen
Vorgänger — und damit Konkurrenten — ist bezeichnend.
Seine Bücher gegen die Arianer seien „in dialektischer Art
höchst dunkel und nur den Fachleuten verständlich". Seine
Pauluskommentare zeugten davon, daß er die Bibel überhaupt
nicht kenne und nur in weltlicher Literatur beschlagen
sei. Dieses Urteil hat gewirkt: nur zu drei Briefen sind
die Kommentare des Victorinus erhalten geblieben (der
Ambrosiaster kannte noch den zum Römerbrief), nur wenige
Handschriften enthalten sie, erst 1828 erschien die Erstausgabe
von Angelo Mai, deren Abdruck in der Migneschen
Patrologie der bislang zu benutzende Text geblieben ist.

Lochers neue Ausgabe wird hoffentlich bewirken, daß diese
Kommentare mehr Aufmerksamkeit finden als bisher. Es
mag sich zeigen, daß das, was Hieronymus an ihnen aussetzte
, heute eher als Vorzug empfunden wird. Es ist wahr,
Victorinus bringt nicht die langen Reihen biblischer Parallelstellen
, die wir so oft in antiken Kommentaren finden.
Lochers erster Apparat ist dementsprechend von auffälliger
Knappheit. Aber wo es nötig ist, z.B. bei den atl. Zitaten des
Paulus, gibt Victorinus meist den erforderlichen Nachweis.
Sonst dominieren — durchaus sachgemäß — Querverweise
auf die anderen Paulusbriefe, etwa bei den technischen Fragen
des Briefstils, bei Präskript und Grüßen. Es mag schon
eine Wirkung der philologischen Schulung des Kommentators
sein, daß er sehr konkret auf den „Sitz im Leben", auf
Person und Lage von Verfasser und Empfängern eingeht,
daß er Grundanliegen und Schwerpunkte hervorhebt, ehe er
auf die Details kommt. Der erfahrene Redelehrer erwägt,
wie Paulus bestimmte Formulierungen um der psychologischen
Wirkung willen wählt, und es ist bezeichnend, wie
hier der typisch antike Begriff der Urbanität vorkommt
(p. 140,1). Direkte Exempel klassischer Bildung gibt Victorinus
nicht mehr als sein Kritiker Hieronymus. Wir finden ein
einziges Zitat des „poeta" (Vergil), das sofort durdi eine Bezugnahme
auf Moses quasi neutralisiert wird (149,21 ff.).
Ein Vergleich mit dem Götterboten Merkur („wie bei den
Poeten") wird ebenfalls sofort entschuldigt: „wenn es denn
erlaubt ist, so etwas mit göttlichen Dingen zu vergleichen"
(87,26-30).

Die sonst so beliebte Allegorese spielt bei Victorinus praktisch
keine Rolle. Auch wenn er sich zu Problemen äußern
soll wie dem, ob es drei oder mehr Himmel gebe, so ist ihm
sichtlich nicht sehr wohl dabei und er schließt mit dem sehr
verständlichen „Aber was liegt daran?" (178,11—18). Es ist
seine mehrfach erklärte Absicht, eine einfache, am Text
bleibende Auslegung zu geben (so 177,3—13) und wegführende
Exkurse zu meiden. Dafür verweist er oft auf seine sonstigen
Arbeiten. Das geschieht meist in vager Form, und L.
zitiert dazu dann die Untersuchungen von Pierre Hadot
(Marius Victorinus. Recherches sur sa vie et ses ceuvres, Paris
1971). Nur vereinzelt resümiert L. selbst das Fazit jener
Untersuchungen (so zu 177,4—12). Es ist schade, daß er es
nicht auch sonst tut.

Keine Allegorese ist es, wenn Victorinus die Brandpfeile
Eph 6,16 metaphorisch erklärt, da sie metaphorisch gemeint
sind. Aber für den Philologen ist es bezeichnend, daß er in
ihnen nicht, wie die meisten Ausleger, die Sünden, Begierden
, die Häretiker u.ä. sieht, sondern das verderbliche Wort
(disputationes, verba, tractatus, sermones) (202.24—27;
203,11). Victorinus behauptet,von Pfeilensei sehr oft sowohl
im Evangelium als bei Paulus, bei den Propheten und bei
David die Rede. Locher bemerkt dazu mit Ausrufungszeichen
, daß Eph 6,16 die einzige NT-Stelle sei. Doch ist Vic-