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Ausgabe:

1977

Spalte:

668-671

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Thierfelder, Jörg

Titel/Untertitel:

Das kirchliche Einigungswerk des wuerttembergischen Landesbischofs Theophil Wurm 1977

Rezensent:

Meier, Kurt

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667

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 9

668

nes Speculum naturae um 1500 in mehrfacher Auflage neu
erschien, exegesiert das biblische Sechstagewerk traditionsgemäß
mit Hilfe der klassischen Schriftsteller, insbesondere
Aristoteles. Im Ausgleich zwischen biblischer und aristotelischer
Weltsicht wird der biblische Duktus zu einem Rahmen
, der eine neue Systematik des klassischen geographischen
Materials ermöglicht. Dabei wird die gesamte Tradition
verarbeitet, so daß beispielsweise eine völlig neue,
achtfache Einteilung der Himmelssphären vom Himmel der
Trinität über Empyreum, Wasserhimmel, Firmament und
olympischen Himmel bis zum Lufthimmel entsteht.

Die aristotelische Schrift De mundo (Büttner plädiert mit
Gohlke für ihre Echtheit) spielte in der Diskussion der Zeit
eine erhebliche Rolle. Sie bietet einen geographisch-theologischen
Ansatz „von unten", indem innergeographisch (im
weitesten Sinn) auf den einen Weltgott geschlossen wird.
Dies geschieht im Sinne der göttlichen Vorsehung, die eine
sittliche Weltordnung garantiert. Hier waren Anregungen
für die theologische Reflexion gegeben. Hans Stöffler, der
Lehrer Melanchthons und Seb. Münsters, entwickelte dagegen
eine „neutrale" Geographie, die sich vorwiegend an
Ptolemäus orientierte und kaum Ansatzpunkte für die theologische
Vorsehungslehre geboten haben dürfte.

Der Hauptteil des Buches gilt den Anfängen der reformierten
Vorsehungslehre in Gestalt einer ausführlichen
Interpretation der Kapitel 1—3.7 von Zwingiis Schrift De
Providentia, in denen der logische Aufriß und der Inhalt
der Vorsehungslehre dargestellt und geographische Beispiele
für die Vorsehung, zuletzt nach den anthropologischen
Kapiteln 4—6 vor allem im Blick auf den Menschen, geboten
werden. Büttner führt aus: Zwingli schließt letztlich an
Hand in der Bibel vorkommender geographischer Fakten
auf Gott als einzigen, absoluten und wahren Schöpfer und
von diesem auf seine Providentia. Daneben gibt es auch den
direkten Schluß auf die Providentia, etwa anläßlich der
Sintflut, insbesondere dann die Lenkung der geographischen
Fakten auf den Menschen hin. Außerdem schließt Zwingli
von der Empirie her an Hand in der Natur sichtbarer Tatsachen
auf den Schöpfergott und von da her wiederum auf
die Providentia. Auch hierneben steht der direkte Schluß:
der heutige Regen muß ebenso theologisch gedeutet werden
wie der Sintflutregen. Auf dem zweiten Weg soll die biblische
Sicht der göttlichen Vorsehung durch empirisch begründete
Vernunftschlüsse bewiesen werden, so daß Bibel, Empirie
und Vernunft das gleiche sagen und in keinem Widerspruch
zueinander stehen. Dies freilich, so arbeitet Büttner
heraus, leuchtet nur ein, wenn das biblische Zeugnis
bereits vorausgesetzt ist: „Zwingli ,beweist', daß unter Zugrundelegung
der biblischen Aussage von dem einen Gott
Schrift und Philosophie aus demselben Brunnen fließen. Es
wird also versucht, mit Hilfe der Schrift den Beweis zu
erbringen, daß man ohne die Schrift zu Gott kommen kann"
42 f.). Die philosophische Aussage erläutert nur die biblische
, sie beweist sie nicht.

Diesem Verfahren stellt Büttner die lutherisch-melan-
chthonische Vorsehungslehre gegenüber. Entsprechend Luthers
Interesse an der Gegenwart des gnädigen Gottes konzentriere
sich Melanchthon auf die Gegenwart der Providentia
. Die göttliche Lenkung der Gestirne ist, so der direkte
Schluß, ein Zeichen für die Lenkung und Leitung der Menschen
heute. Die gegenwärtige Weltregierung Gottes wird
also durch gegenwärtig wahrnehmbare geographische Fakten
erläutert. Damit aber verfahre Melanchthon im Blick
auf die Geographie empirisch und bedürfe hier weder des
Rekurses auf die Schrift noch des Umweges über die anfängliche
Schöpfung im Damals. Er verfolge echte, Zwingli
dagegen nur „praktische" natürliche Theologie. Beides
seien freilich, reflektiert oder faktisch, lediglich zusätzliche
Wege zu Gott. Den eigentlichen „Beweis" für die Providentia
biete nur die Schrift.

In einem Ausblick verweist Büttner auf den weiteren
Weg: die Emanzipation der Geographie bei Keckermann,
den „physikotheologischen Rückschlag" angesichts der

kausalmechanischen Betrachtungsweise im 18. Jahrhundert
und die, wie er postuliert, endgültige Trennung dann bei
Kant. „Sofern von theologischer Seite entsprechendes Interesse
laut wird", soll das in einer weiteren Arbeit im einzelnen
dargelegt werden. Einstweilen kann Büttner neben
seiner Habilitationsschrift auf eine Anzahl von Aufsätzen
verweisen, die im Anhang aufgeführt sind.

Als systematisch-methodischen Ausgangspunkt setzt Büttner
die seit Kant im allgemeinen rezipierte grundsätzliche
Unterschiedenheit und Unvergleichbarkeit von Theologie
und Naturwissenschaft voraus. Von ihr her wird das Verhältnis
von Theologie und Geographie in ihrer Geschichte
im einzelnen untersucht und zu bestimmen versucht. Das
führt zu überraschenden Perspektiven und überaus anregender
Erhellung der historischen Quellentexte. Doch Büttner
bewertet die Geographiegeschichte, und das ist ein besonderes
Verdienst dieser Arbeit, nicht mehr nach der Annäherung
an heutige Erkenntnisse. Dann bleibt weiter zu
erwägen, welchen Sinn das testari der philosophischen und
empirischen Vernunft im Gesamtzusammenhang des damaligen
theologischen Denkens hatte und haben kann. Büttner
findet ihn in der Erläuterung biblischer Aussagen.
Wenn er aber im übrigen den unauflöslichen Zusammenhang
des theologischen und geographischen Denkens betont
, dann ist eine eigenständige Beweiskraft naturwissenschaftlicher
Aussagen letztlich gar nicht denkbar, ebensowenig
wie das System ohne die Geographie im Sinne Büttners
möglich wäre. In beidem ist die gleiche Metaphysik
lebendig, die Gott als causa induziert und die Vorsehung
von ihr her deduziert. Das geschieht auch, wenn wie bei
Zwingli die Schrift zur geographischen Beweisführung herangezogen
wird. Für den naturwissenschaftlichen Fortschritt
impliziert beides Impulse, einmal im Sinne gesetzlicher
Notwendigkeit, zum anderen als (kybernetisch zu rekonstruierender
) Zufall. Büttner würdigt nur den letzteren
Aspekt. Der christliche Glaube selbst dürfte der Horizont
sein, der die ganze Diskussion bis in die moderne Naturwissenschaft
hinein überhaupt erst sinnvoll macht, weil er
an ihrer geistesgeschichtlichen Begründung beteiligt ist. Sie
kann mit Kant nicht beendet sein.

Der Stil der Arbeit ist ungewöhnlich klar und eingängig.
Dazu tragen die zusammenfassenden Skizzen und Thesen
erheblich bei. Angesichts der Texte möchte man freilich oft
langsamer denken. Doch fruchtbar ist das nur, wenn sich
Perspektiven abzeichnen, wie Büttner sie aufzeigt. Zeitgenössische
Tafeln steigern noch die Freude an der Lektüre.
Mißlich nur, daß das allgemeine Literaturverzeichnis wie
manches andere nur in der geographischen Ausgabe der
Habilitationsschrift zu finden ist. Man wartet im übrigen
auf die weiteren theologischen Teile.

Heidelberg Jürgen Hübner

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Thierfelder, Jörg: Das Kirchliche Einigungswerk des württembergischen
Landesbischofs Theophil Wurm. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1975. XVI, 311 S. gr. 8° = Arbeiten
zur kirchlichen Zeitgeschichte, hrsg. v. G. Kretschmar
u. K. Scholder. Reihe B: Darstellungen, 1. Lw. DM 50,—.

Bei dieser Tübinger Dissertation handelt es sich um eine
vorzüglich quellenbelegte analytische Untersuchung zur
Spätphase des evangelischen Kirchenkampfes im Dritten
Reich. Sie erscheint als Bd. 1 der „Arbeiten zur kirchlichen
Zeitgeschichte" im gleichen Verlag wie die „Arbeiten zur
Geschichte des Kirchenkampfes", die dadurch abgelöst werden
. Die für die neue Buchreihe programmierte Erweiterung
des zeitlichen Rahmens (Einbeziehung der Weimarer Zeit
und der Entwicklung nach 1945) entspricht der Aufgabenstellung
der „Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für kirch-