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Ausgabe:

1977

Spalte:

658-662

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Conzelmann, Hans

Titel/Untertitel:

Arbeitsbuch zum Neuen Testament 1977

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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657

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 9

658

Übernahme kultischer Gesetze und Gebräuche, vor allem
die des jüdischen Gottesdienstes, ablehnt, jedoch immer
wieder Begriffe aus diesem Bereich für das christliche Leben
positiv verwendet. Er deutet sie somit in einem noch
radikaleren Sinn spiritualistisch um, als uns dies bereits
im hellenistischen Judentum und in Qumran begegnet. So
bleiben z. B. alle Bemühungen Philos, die gesetzlichen Bestimmungen
des jüdischen Kults allegorisch zu deuten, doch
stets gekoppelt mit der strikten Verbindlichkeit des Gesetzes
im buchstäblichen Sinn, also etwa die Begriffe der Beschneidung
oder des blutigen Opfers im Jerusalemer Tempel
. Und auch die Theologen von Qumran, die den Tempelkult
in Jerusalem verurteilen und die Begriffe ,.Tempel"
und „Opfer" gern in einem vergeistigten Sinn auf die Gemeinde
und ihr religiös-sittliches Leben beziehen, achten mit
besonderer Strenge auf die Einhaltung ritueller Reinheitsgebote
und erhoffen auch eine Restauration des Opferkults
im Tempel; war die Trennung vom Tempel doch nicht wegen
einer prinzipiellen Ablehnung des Opferkults erfolgt, sondern
weil er nicht gesetzesstreng genug praktiziert wurde.
Paulus hingehen vollendet die in der religiösen Umwelt immer
stärker wirksame Tendenz zur spi ritualisierten Gottesverehrung
, indem er den „Gottesdienst" nicht rituell versteht
, sondern auf das gesamte religiös-sittliche Leben des
Christen bezieht (S. 72), das somit kultischen Charakter
erhält (S. 56). Auch seine eigene apostolische Wirksamkeit
kann er folglich als kultischen Dienst begreifen, indem er
sich dabei als „Liturg" versteht, der das Evangelium „priesterlich
verwaltet" (Rom 1, 9; 14, 16). Ein „Trankopfer" ist
seine bei diesem Dienst über ihn verhängte Erniedrigung
in Form der Gefangenschaft (Die allgemeine Deutung von
Phil 2, 17 auf einen möglichen Märlyrertod wird abgelehnt,
S. 135 f.). Ein liturgischer Dienst ist ebenfalls die Geldspende
der Korinther (2Kor 9, 12; S. 98), ein „Wohlgeruch"
(„Aroma of Christ", S. 85) die der Philipper. Glaube ist „Opfer
" und „Gottesdienst" (S. 119 ff.). Und da der Glaubeden
Gehorsam gegenüber dem göttlichen Willen einschließt
(S. 120), ist ein „vernünftiger Gottesdienst" der Gehorsam
des Menschen in allen Lebensbereichen. So sind Rom 12, 1 f.
Grundregel und Fundament der christlichen Ethik, die alle
Einzelparänesen in das Licht eines „geistigen" Gottesdienstes
stellen (S. 157), der seinem Wesen nach folglich nicht
rituell ist. Paulus übersetzt das Kultgesetz in ethische Ermahnung
. So wird von ihm z. B. auch die wesentliche liturgische
Bestimmung des Passagesetzes, vor dem Fest allen
Sauerteig aus dem Hause zu entfernen, in vergeistigtem Sinn
auf das sittliche Gebiet übertragen (IKor 5, 8; S. 75 ff.) .

Bei der Lektüre des Buches wird nun aber immer deutlicher
, daß der Verfasser über seine These von einem pau-
Hnischen radikal spiritualisierten Kultbegriff hinausgehend
den Akzent auf die damit verbundene Konsequenz setzen
will: Das sittliche Leben des Christen ist Kult; das neue
Verständnis des Kultbegriffs bringt also eine Qualitätsbestimmung
der christlichen Ethik mit sich. Ethik steht nicht
als etwas Profanes neben den religiösen Pflichten, sondern
trägt selbst religiösen Charakter. Christlicher Kult — da
kein Kult mit liturgischen Forderungen (S. 34) und nicht in
äußeren Riten bestehend (S. 144) — ist kein besonderer und
isolierter Akt, sondern ein allumfassender Dienst, der das
ganze Leben betrifft (S. 30). Zwischen religiösem Dienst
Christus gegenüber und Dienst am Bruder gibt es keinen
Unterschied, sondern gerade im Dienst am Mitmenschen
diene ich Christus (S. 242). Der Liebesdienst ist somit die
neue Liturgie. Theologisch wird dieser kultische Charakter
durch die Gemeinschaft mit Christus, mit dessen Liebe und
Selbstopfer begründet. Der an Christus Glaubende muß dessen
Selbsthingabe ausleben.

Und in diesem Zusammenhang erhält des Verfassers absolute
Kultspiritualisierung, die den Leser dieser katholischen
Abhandlung zu mancher konsequenten Frage drängen
muß, nun doch einen Riß. Ausgerechnet durch kultische
Akte, nämlich in Taufe und Eucharistie (S. 225 ff.),
wird der Gläubige in die Gemeinschaft mit Christus hineingenommen
. In diesen kultischen Akten wird Gottes Geist
vermittelt, und der einzelne sowie die Gemeinde sind dadurch
„Tempel" geworden. Letztlich hat das ganze neue
Leben des Christen also deshalb kultischen Charakter, weil
es in kultischen Handlungen wurzelt.

Mag die Arbeit auch keine wesentlich neuen Gedanken
bringen, so hat sie doch alle Vorzüge einer fleißigen Dissertation
— und mehr. Umfangreiche Literaturbewältigung,
religionsgeschichtliche Vergleiche, gut lesbarer Stil; es wird
immer klar, was der Verfasser sagen will. Vielleicht hätte
er von einer sachlichen Anordnung der kultischen Begriffe
ausgehen und die jeweiligen Textabschnitte und ihre Interpretation
hiermit verbinden sollen, anstatt — wie er es
tut — die einzelnen Paulusbriefe gesondert zu behandeln,
wodurch unnötige Wiederholungen bedingt sind. Die ausführliche
Behandlung des Epheserbriefes mag man für
überflüssig und eine stärkere Berücksichtigung des nicht behandelten
Kolosserbriefes für wünschenswert halten. Der
Begriff der „Beschneidung" wird m. E. nicht genug für das
Thema ausgewertet. Aber gewiß ist das Buch nützlich. Daß
Gottesdienst nicht nur in einer Zeremonie, sondern vor
allem im täglichen Leben geschieht — hier also die Kriterien
für rechtes liturgisches Verhalten liegen —, kann nicht
genug betont werden.
Leipzig Christoph Haufe

Conzelmann, Hans, u. Andreas Lindemann: Arbeitsbuch
zum Neuen Testament. Tübingen: Mohr [1975]. XVI, 440 S.
8° = Uni-Taschenbücher, 52. Kart. DM 22,80.

Vor über 25 Jahren kaufte ich mir als eines der ersten
Bücher für mein Studium den „Knopf-Lietzmann-Weinel"
(Einführung in das Neue Testament, 5. Aufl. 1949). Es war
in manchem schon damals ein unmodernes Buch, dessen
Konzeption in die Zeit zurückging, da die Formgeschichte
eben auf das NT übertragen wurde (1. Aufl. 1919), und dessen
letzte Neubearbeitung (4. Aufl. 1934) stattfand, als sich
die Formgeschichte eben durchzusetzen begann (2. Aufl. der
Bücher von Dibelius und Bultmann) — nur nicht gerade bei
Knopf-Lietzmann-Weinel (K-L-W). Dennoch erwies sich
das Buch in vielem als hilfreicher Begleiter, der den Studenten
mit wichtigen Grundinformationen und Hinweisen
auf Arbeitsmittel und Literatur versorgte. Einen ähnlichen
Dienst soll und wird nun das „Arbeitsbuch" von Conzel-
mann-Lindemann (C-L) übernehmen. Bei etwa gleicher
Seitenzahl, aber kleinerem Satzspiegel (ein wirkliches Taschenbuch
) muß es den Stoff noch stärker komprimieren,
wobei es — weit mehr als K-L-W — wirkliche pädagogische
Hilfen in die Darstellung einbezieht.

So ist gleich der I. Teil ausdrücklich als „Methodenlehre"
konzipiert (S. 1—118), während K-L-W bei ihren sehr ausführlichen
Informationen über Materialien und Forschungsstand
der Textkritik das Methodische nur streiften und über
andere methodische Fragestellungen kein Wort verloren.
C-L geben nach einer „Übersicht" und Hinweisen auf allgemeine
Hilfsmittel für die Arbeit einen kurzen Abschnitt
über die Sprache des NT. Die Textkritik tritt mit zehn Seiten
(gegenüber 52 bei K-L-W) stark zurück — mit Recht;
denn wir sind ja wohl alle der Meinung, daß es nicht darum
geht, den Studenten zum potentiellen Bearbeiter einer
Urtext-Ausgabe zu qualifizieren (im übrigen muß der Hinweis
auf B. M. Metzger und Zimmermann genügen; doch
wird außer Grundregeln auch ein praktisches Beispiel vorgeführt
). — Auf einen Überblick über die im NT vertretenen
literarischen Gattungen folgt dann ein Abschnitt „Die exegetischen
Methoden" (S. 37—51). Diese Überschrift ist freilich
unverständlich. Ist gemeint: „Der Vollzug der Exegese
" ? Auch das wäre nicht ganz treffend. Denn der Abschnitt
setzt ein mit Beispielen historisch-kritischer Fragestellung
gegenüber den Texten, also Fragestellungen, die
hinter die Texte zurückfragen bzw. ihre Eigenaussagen
kritisch überprüfen wollen, also in einem genaueren Sinne