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Ausgabe:

1977

Spalte:

648-650

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gese, Hartmut

Titel/Untertitel:

Vom Sinai zum Zion 1977

Rezensent:

Hesse, Franz

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647

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 9

648

Der zweite Abschnitt des Buches ist dem Frühwerk gewidmet
: „Verborgenheit als Entrücktheit". Hier finden wir
Buber der religiösen Erfahrung ganz offen: Dauismus, Deutsche
Mystik, Chassidismus. Buber erscheint als Lebensphilosoph
. Er sucht verstehenden Zugang zur Legende, zur
Sage, zum Mythos. Lönnrot öffnet ihm die Welt des Magischen
. Die „Lehre" erscheint als inhaltslos, sie hat nur
sich selber: das Eine, das not tut. Nur der ungeschiedene
Mensch kann wirklich erkennen, die Einheit kann nur getan
und erlebt werden, sie ist nicht mitteilbar. Mit unermüdlicher
Sorgfalt stellt der Vf. Bubers Denken dar, sein
ausgezeichneter Überblick über Bubers Werk erlaubt ihm
eine gute Auswahl wesentlicher Zitate, er ergänzt sie durch
Verweise auf Parallelstellen sowie auf Literatur. An Bubers
Interpretationen als möglichem Beitrag zum heutigen Gespräch
etwa mit dem Mahayana-Buddhismus ist der Vf.
nicht interessiert, ihm bleibt wichtig, das Generalthema
auch im Frühwerk aufzuzeigen.

Im dritten Teil wird über die Begegnung als Modell heiler
Welt- und Gottesbeziehung geschrieben. Hier geht es um
die Beziehungen von Ich und Du und Es. Der Vf. zeichnet
nach, wie nach Buber die Liebe das Du nicht zum „Inhalt",
zum Gegenstand hat, sondern zwischen Ich und Du ist. Religiös
bedeutet das, daß der Mensch nicht mit einem Inhalt,
sondern mit einer als Kraft erfahrenen „Gegenwart" beschenkt
wird. Die ersten Mythen seien Lobgesänge gewesen
, denn das ewige Du könne nicht zum Es werden, allenfalls
der Mensch könne es dazu „machen". Hier sieht Buber
dann die Trennung jüdischen und christlichen Glaubens,
dieser gehe aus von der Anerkennung eines Sachverhalts,
jener sei Vertrauen zu einer nicht im einzelnen beschreibbaren
Mitte. So entstehe auch Gemeinschaft: nicht durch
Kreisziehung, sondern durch Radienziehung. Der Vf. zeigt
uns, welche Bedeutung Buber der „Umfassung" genannten
Begegnung etwa zwischen Erzieher und Zögling zuschrieb:
es geht nicht darum, daß der Erzieher sich einfühlend in die
Situation des anderen versetzt, er habe vielmehr das Erziehen
und Erzogenwerden zugleich zu erfahren; der Erzieher,
der um den augenblicklichen Bedarf weiß, erkennt tiefer,
was der Mensch zum Werden nötig hat, und was er, der
Erzieher, geben kann und was nicht. Wieder interessiert den
Vf. hier nicht, wie nahe Buber an spirituelle Erfahrung
Asiens herankommt, er sucht die ontologische und theologische
Relevanz.

Der vierte Teil, „Die Gottesfinsternis", erörtert das Problem
des Bildes. Buber sprach von der schwindenden Bildkraft
der Pupille des menschlichen Herzens. Er will das
heutige Wegstadium der Menschheit mit den Anfängen, mit
den Quellen konfrontieren. Das Dunkel sei nicht ohne Verheißung
. Der „lautlose Schrei" sei die Reaktion des Juden
auf das große Leid der Galuth. Der Philosoph, der die Relativität
aller Gottesbilder nachweise, sorge für die Reinerhaltung
der Transzendenz; nach Rosenzweig wolle Gott
mit den Händen der Philosophie und der Theologie, des
Ungläubigen wie des Gläubigen angefleht werden. Die Unterscheidung
, Philosophie sei auf Wesensforschung, Religion
auf Heilserkundung gerichtet, ist dem Vf. problematisch. In
den ethischen Konsequenzen der Buberschen Analyse sieht
der Vf. einen ausgesprochen imperativischen Charakter,
demgegenüber der Christ sich auch einem Indikativ verpflichtet
sehe.

„Der sich verbergende Gott" ist die Überschrift zum fünften
Teil. Hier kommt der Buber zu Worte, der zum Dienst
an der Bibel erst hat reifen müssen. Gott — nach einem
Wort Akibas das „Tauchbad Israels" — wird als Wege-Gott,
als König gezeigt; von seinem Namen, seinem Bild, seiner
Wohnung ist die Rede (354 wird das Tetragramm voka-
lisiert). Die göttliche Dämonie kommt zur Sprache wie das
menschliche Entsprechen: Stammeln, Schweigen, Leiden,
Harren, Tat. Jeremia, Ijob, Ps 73, der Gottesknecht werden
gedeutet; Rabbi Mendel wird zitiert: „Uns geziemen drei
Dinge: ein aufrechtes Knien, ein lautloser Schrei, ein unbewegter
Tanz." Daß die Bibel den Eigenwert des Erfolgs

nicht kennt, erfährt der Leser dieser präzisen Darstellung.
Schließlich wird das Phänomen Jesus v. Nazareth in Bubers
Sicht erörtert, überraschenderweise vermutet der Vf. in Bubers
Bemühung, das Jüdische bei Jesus zu zeigen, einen
„Schuß archaisierender Romantik, der das Ursprüngliche
als das Reine und Normative betrachtet" (385).

Die „Kritische Rechenschaft" ist in zwei Teile gegliedert,
mit den nicht ganz glücklichen Titeln: prüfende und weiterführende
Perspektiven. Der erste kritisiert die Ge-
schichtslosigkeit, Inkarnationslosigkeit und Einseitigkeit des
dialogischen Prinzips, der zweite sucht für die röm.-kath.
Theologie die Kategorie des Paradoxes fruchtbar zu machen
. Dabei ist dem Vf. bewußt, daß die evangelische Theologie
dieser Problemstellung seit langem offen ist. Diesem
kritischen Gespräch des Vfs. mit Buber folgt der Leser aufmerksam
und gern. Über einige Fragen setzte Rez. gern das
Gespräch mit dem Vf. fort. Buber, lesen wir (404 f.), schildere
die Ich-Du-Beziehung als adulte Relation, das sei maß-
stab-, aber nicht wirklichkeitsgerecht. Diese Bemerkung
sollte mit der paulinischen These vom Christen als dem
Mündigen verglichen werden. Der Vf. vermißt bei Buber
die Zäsur in der Geschichte (435; 409). Dazu wäre Bubers
„Schrift" wohl erst zum „Alten Testament" zu machen. Die
Kritik an Bubers Kritik am Bild — worin sich zeige, daß
es Buber am unbefangenen Verhältnis zu den Dingen gefehlt
habe — erhielte erst durchschlagendes Gewicht, wenn
ihm das Recht zur Streichung des Bilderverbots aus dem
Dekalog einsichtig gemacht wäre. Die Rückfrage, ob Buber
nicht zugunsten des Augenblicks die Strukturen der Geschichtszeit
vernachlässigt habe (419), gewönne, wenn ihr
eine Erörterung über die Relevanz der Legende, auch in der
biblischen Überlieferung, beigegeben wäre. Bubers Deutung
von berit und chäsäd führen nicht notwendig zu einer
Partnerschaft mehr oder weniger ebenbürtiger, gleichberechtigter
Seiten (422). „Do ut des" bringt zu viel Zweckhaftes
in die religiöse Beziehung. Daß das Brautmotiv des
Hohen Liedes über eine Partnerbeziehung hinaus in Richtung
einer mystischen Identifikation weist, wird nicht jeder
Leser finden (424). Die Anfrage an Buber (430 f.), ob sein
Begriff von Transzendenz nicht vom Menschen her gedacht
sei, rührt an das Problem von Sprache überhaupt, wieweit
sie vom Menschen her entworfen sei. Die Zusammengehörigkeit
von Wort und Tat (437) könnte durch Bubers Deutungen
des Wortes dabar differenziert werden. Daß Buber
Kind seiner Zeit war (439), hat der Vf. kenntnisreich herausgearbeitet
; an den Zufälligkeiten unserer Bildung finden
wir alle unsere Grenzen.

Das Anliegen des Vfs., die Vorstellung vom Paradox theologisch
aufzunehmen, dürfte unausgesprochen eine Auseinandersetzung
mit scholastischem Denken sein. Daß Theologie
ein Lobgesang sei, schrieb Origenes. Daß eucharisti-
sche Vergegenwärtigung des Heils im Gebet, also Dialog,
sich vollziehe, haben Casel wie Stählin aus der altkirchlichen
Überlieferung, kaum von Buber gelernt; aber eine
Theologie, die sich als Urteilen versteht, ist dann an nichtdialogischen
Sätzen interessiert gewesen, bis zu Konsequenzen
der Liturgie. Bubers Mission ist in dieser Hinsicht noch
lange nicht erfüllt. Daß der kundige Vf. seine Buber-Kenntnis
weiter fruchtbar macht, ist unser Wunsch.

An Schreibfehlern des mit Schreibmaschine geschriebenen
Buches fielen auf: S. 56 als, 98 eigentlich, 188 Logos.
375 Jod.

Rostock Peter Heidrich

ALTES TESTAMENT

Gese, Hartmut: Vom Sinai zum Zion. Alttestamentliche Beiträge
zur biblischen Theologie. München: Kaiser 1974.
258 S. gr. 8° = Beiträge zur evangelischen Theologie, hrsg.
von E. Jüngel u. R. Smend, 64. Lw. DM 36,-.