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Ausgabe:

1977

Spalte:

646-648

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schütz, Christian

Titel/Untertitel:

Verborgenheit Gottes 1977

Rezensent:

Heidrich, Peter

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 9

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licher zu erfassen, ihre Wurzeln zu erkennen und die Bedeutung
dieser Konfrontation für die Entfaltung der Philosophie
des Plotin selbst einzuschätzen. Die Durchführung
der Untersuchung, die zu dem gesteckten Ziel führen soll,
erfolgt auf drei Stufen:

Auf der ersten Stufe (praktisch in Teil B. „Philosophiehistorische
Aufschlüsse über die Gegner Plotins" S. 14—55)
geht es um die Befragung und Auswertung des unübersichtlichen
und wenig ergiebig scheinenden Geflechts der einschlägigen
Nachrichten in der spätantiken Fachliteratur auf
der Suche nach möglichen geistigen und personalen Querverbindungen
des Plotin und seiner Gegner. Dabei spielt
die wirkliche Beziehung zu Numenius und die mögliche Beziehung
zu den sogenannten „viri novi" des Arnobius (adv.
nat. II 15) eine zentrale Rolle. Während man im allgemeinen
dem Autor auf den verschlungenen Pfaden gern und
gelehrig zu folgen bereit ist, gibt es zwei Punkte, wo man
stutzt und Schwierigkeiten hat oder haben könnte. Das ist
einerseits (in Anknüpfung an eine entsprechende Auffassung
von M. Mazza) die These, daß die Bezeichnung „viri
novi" bei Arnobius die Aufnahme einer (echt gnostischen)
Selbstbezeichnung der Betreffenden darstelle („die Neuen"),
die ihrerseits sachlich identisch sei mit der bekannten gnostischen
Selbstbezeichnung „allogeneis" (S. 41 f.); andererseits
die eigene kühne Identifikation von Elchasai und Niko-
theos (S. 35).

Es folgt als zweite Stufe der Untersuchung (unter der
Uberschrift: C. „Die Entfaltung des plotinischen Denkens
in der Polemik der Schriften 30 — 33" S. 56—85) eine sofort
einleuchtende und instruktive Herausarbeitung der Gegen-
position(en), gegen die sich Plotin in seiner Schrift wendet.
Und dazu nimmt E. nicht nur Enn. II, 9, sondern unter
Aufnahme der von R. Härder stammenden und heute wohl
allgemein akzeptierten Auffassung, wonach Enn. III, 8; V, 8;
V, 5; II, 9 (= 30 — 33) ursprünglich eine zusammenhängende
Schrift gebildet hätten, eben diese höhere Einheit der Großschrift
; und er vollzieht es in einer die Gegenposition'en)
heraushebenden Paraphrase ihres Inhalts.

Die dritte Stufe ist ein Vergleich der einzelnen Motive
dieser Gegenposition(en) mit einem ausgewählten Feld von
Konzeptionen der geistigen Umwelt (D. „Systematische Zuordnung
der Zeugnisse über die Gegner Plotins" S. 86—237).
Dabei wird ein Katalog von abgestuften Einzelmotiven als
Raster benutzt, der zur Erfassung der gnostischen Weltanschauung
insgesamt und an sich sehr fruchtbar sein dürfte,
bei Anwendung zur Identifikation einer besonderen Spielart
von Gnosis bzw. eines gnostischen Systems, wo es doch
(allein) auf das Distinktive ankommt, aber problematisch
werden muß.

Und dieser Sachverhalt bleibt nun auch nicht ohne Auswirkung
auf die Ergebnisse, als die man die letzten beiden
Teile anzusehen hat (E. „Numenius und die Numenius-Gno-
stiker" S. 238-255; F. „Die Abwehr des Gnostizismus als
Element zur Ausformung der plotinischen Organismus-
Metaphysik" S. 256-283). Die Auswertung der vorangegangenen
Motiv-Analyse zur Gesamteinschätzung der gnostischen
Gegner des Plotin erfolgt im Prinzip durch die Umkehr
; wie die Analyse die einzelnen Motive in verschiedene
Bereiche hinein verfolgte, so gilt nun das befragte Gesamt-
Phänomen als aus diesen verschiedenen Bereichen heraus
zusammengewachsen. So kommt E. auf den synkretistischen
Charakter der Gnosis der Gegner des Plotin (S. 248-255).
Mit welchem sachlichen Recht er diese übrigens „Numenius-
Gnostiker" nennt, ist mir nicht recht klargeworden. Wenn
'"an im Unterschied zu E. die distinktiven Züge der gegnerischen
Lehre zum Leitfaden der Suche nach der Identität
"er gnostischen Gegner des Plotin nimmt, so kommt man,
Wie mir in Auseinandersetzung mit E.s Untersuchungen
und durch Diskussion der Probleme im Berliner Arbeitskreis
für koptisch-gnostische Schriften immer deutlicher
Wurde, in neuer Profilierung zu der alten, schon von C.

chmidt vertretenen These, daß sie (sozusagen „reine") Se-
lhianer waren.

Ein anderes Problem im Ergebnis-Teil ist die besondere
Weise, wie auf die Jonas'sche Frage, die übrigens den „Aufhänger
" der ganzen Abhandlung bildet, ob denn die Philosophie
Plotins selber zur Gnosis gehöre, das fertige Schema
von M. Weber, wonach es Weltverneinung als Askese und
Mystik gebe, als (negative) „Antwort" gesetzt wird (S. 238
bis 247).

Im ganzen ist aber E.s Werk — unbeschadet der hier an
ihn gerichteten Anfragen — ein instruktiver, gewichtiger
und gelehrter Beitrag zur gegenwärtigen Erforschung von
Gnosis und spätantiker Geistigkeit.

Berlin Hans-Martin Schenke

Schütz, Christan: Verborgenheit Gottes. Martin Bubers
Werk. Eine Gesamtdarstellung. Zürich, Einsiedeln, Köln:
Benziger 1975. 493 S. gr. 8°.

Kerenyi widmete sein Buch „Antike Religion" einem norwegischen
Meister in der Wissenschaft von der Religion sowie
zwei Meistern in der Religion — Guardini und Buber —,
eine Erweiterung, deren die Religionswissenschaft heutzutage
bedürfe. Er ehrte damit zwei Gelehrte, deren Wirkung
weit über den Bereich akademischer Forschung hinausreichte
. Vielleicht muß man es sich überhaupt erst bewußt
machen, daß nicht nur dankbar betroffene Hörer und Leser
erlebt haben, wie diese beiden Männer sie zum Ewigen gewiesen
haben, wie diese beiden Wege religiöser Verwirklichung
zeigten, sondern daß beide im Denken, im Forschen
ihrer Zeit einen bestimmten Platz einnahmen. Das vorliegende
Buch, 1971 in Würzburg als Habilitationsschrift für
Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft
vorgelegt, versucht für Buber diesen historischen
Platz zu bestimmen. Es sucht dem Rang Bubers gerecht zu
werden — knapp 400 Seiten zeichnen Bubers Werk nach —,
es weiß, welch seltenen Anspruch das Gespräch mit Buber
stellt, entgeht indes auch nicht dem Dilemma der historischen
Methode, die ihren Gegenstand aus dessen Quellen
erklären will; gelegentlich tritt sogar zurück, daß Buber als
„erlebender Denker" seine unverwechselbaren Erfahrungen
macht, dafür heißt es dann, Buber habe die Spuren seiner
Quellen verwischt (260, vgl. 270).

Die Darstellung folgt zunächst Bubers Selbstdarstellung.
Wir lesen von Buber als dem atypischen Menschen, der sich
nicht als Theologe fühlte, sondern in eine Höheneinsamkeit
voransteigt und keine Lehre hat, sondern nur etwas zeigt.
Ganzheit und Einheit versteht Buber als Charakteristika
des Judentums. Exemplarische Situationen im Leben Bubers
machen deutlich, was einen Weisen von einem Gelehrten
trennt. Ein Gespräch im Herbst 1914 blieb zeitlebens ein
Pfahl im Fleische für Buber, weil er bei diesem Besuch
eines bald darauf gefallenen jungen Mannes es unterlassen
habe, die Fragen zu erraten, die er nicht stellte. Gingen wir,
verzweifelt, zu einem Menschen, erwarteten wir von ihm
eine Gegenwärtigkeit, durch die uns vom Sinn gesagt werde.
Dieser Gegenwärtigkeit habe sich Buber damals versagt.
Weitere Gespräche, von denen Buber berichtet, zeigen, wie
es ihm um die Wachheit geht, Ungesagtes, Unsagbares zu
vernehmen. „Stimme eines verschwebenden Schweigens"
wird Buber später lKön 19. 12 übertragen. Ein Gespräch
über Samuel und Agag macht die fatale Möglichkeit des
Menschen offensichtlich, Gott mißzuverstehen. Mit Furcht
und Zittern, so lesen wir bei Buber, sei er bei der Übertragung
der Schrift „in einer unentrinnbaren Schwebe zwischen
dem Worte Gottes und den Worten der Menschen".
Es ist schade, daß das vorliegende Buch, von seltenen Bemerkungen
abgesehen, darauf verzichtet, Bubers Versuch, das
Hebräische zu verdeutschen, zu interpretieren. Das dürfte
auch für das Thema der Verborgenheit Gottes, für das Dialogische
und Paradoxe fruchtbar sein; bei der vom Vf. mit
Recht herausgestellten Bedeutung der Sprache, der Sprachphilosophie
für Buber dürfte die Untersuchung des Hebräischen
von Bedeutung sein.