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Ausgabe:

1977

Spalte:

644-646

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Elsas, Christoph

Titel/Untertitel:

Neuplatonische und gnostische Weltablehnung in der Schule Plotins 1977

Rezensent:

Schenke, Hans-Martin

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 9

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menfassung der späteren Polemik bei Ibn Hazm (994—1064)
und al-Gazäli (1058—1111) schließt sich an, wobei auf die
fragliche Autorschaft der dem letzteren zugeschriebenen
„Schönen Widerlegung der Gottheit Jesu nach der deutlichen
Aussage des Evangeliums" hingewiesen wird. Diese
Schrift ist bereits von der toleranten §üfigesinnung geprägt,
die in Jesus vornehmlich das Urbild eines Asketen und
barmherzigen Samariters sieht und so eine Lücke füllt, die
Mohammed selbst gelassen hatte. Der „Christus der §üfis"
(106—109) ist das „Siegel der Heiligkeit" und steht in dieser
Beziehung sogar höher als Mohammed. In der Polemik ist
dieser Zug allerdings wenig zum Tragen gekommen. — Die
„neueren Beiträge zum Gespräch um Christus" bilden den
2. Teil (111—186) und setzen mit Mohammed cAbduh und
seiner Schule ein (111—137). Dieser berühmte Theologe
(1849—1905) hat zwar die alten dogmatischen Vorwürfe gegen
die Gottheit Jesu und die Trinität nicht beiseite gelassen
, aber er sah in Jesus den Verfechter der Vernunftreligion
(d. h. des Monotheismus) und Gegner des Traditionalismus
, der die Stimme Gottes gegenüber der im Verfall befindlichen
traditionellen christlichen und islamischen Religion
repräsentierte. Die „Manär-Schule" (Rasid Ridä und
Taufiq §idqi) hat diese kritische Sicht ihres Meisters nicht
beibehalten und sank zunehmend in das antichristliche
Fahrwasser (wobei das sog. Barnabas-Evangelium aus dem
15. Jh. als authentische Quelle für das Leben Jesu ausgeschlachtet
wurde). Das Ende der apologetischen Polemik
wird durch eine Kontroverse zwischen Mahmüd Saltüt und
al-Gumäri, zwei Azhar-Theologen, während des 2. Weltkrieges
über Tod und Wiederkunft Christi markiert, in der
die Auseinandersetzung zwischen der häretischen Ahme-
dijja-Mission und der Azhar-Hochschule hineinspielt.
Bahnbrechenden Charakter für einen neuen Ansatz haben
die Jesusbilder, die die beiden ägyptischen Schriftsteller,
Abbäs Mahmüd al-cAqqäd (1889-1964; „Der Genius Christi
" 1952) und Fathi cutmän (geb. 1928! „Mit Christus in den
vier Evangelien" 1961), vorlegten3. In beiden Fällen handelt
es sich nicht um streng wissenschaftliche und theologische
Arbeiten, sondern um engagierte schriftstellerische Werke,
die Leben und Lehre Jesu nicht aus der kanonischen Literatur
des Islam, sondern aus der des Christentums zu rekonstruieren
suchen, und zwar in einer Weise, die den Wert
und die Aktualität der Botschaft Jesu auch für den heutigen
Muslim offenlegt. Jesus ist hier Vertreter einer universalen
Gotteserkenntnis und Gewissensreligion der Liebe. Die
christlichen Prinzipien, wie sie vor allem in der Ethik wirksam
sind, gehen auch den Muslim an. Koran und Evangelium
treffen sich auf der ethischen Plattform (176 f., 231 ff.).
In einer weiteren Darstellung, dem bekannten Buch von
Moh. Kämil Husain: „Die Stadt des Unrechts. Ein Freitag
in Jerusalem" (1954), wird Jesus als Vorbild eines Kämpfers
gegen eine autoritäre und in Tradition versunkene Gesellschaft
geschildert; die Evangelien sind das Hohelied vom
Leben und Dulden eines Einzelnen gegenüber der auf Irrwege
geratenen Gesellschaft. Diese von einem irenischen
Geist getragenen Bücher angesehener muslimischer Autoren
haben erheblich zu einem neuen Klima beigetragen,
auch wenn verständlicherweise die vom Koran gesteckten
Grenzen (im Hinblick auf den Kreuzestod, die Gottessohnschaft
usw.) dabei nicht ernsthaft überschritten wurden. Inwieweit
diese neue, alten Ballast abstreifende Art der Beschäftigung
mit Christus auch auf die islamische Theologie
abfärben wird, bleibt noch abzuwarten (darauf geht Sch.
nicht weiter ein). — In einem 3. Teil (187—212) beschäftigt
sich der Vf. sachlich und kritisch mit den „Argumenten zwischen
Muslimen und Christen", wie sie in der Debatte zutage
getreten sind; sie sind unter die Themen „Der Mensch
angesichts Gottes" und „Gott und Mensch" gestellt. Sch.
zeigt dabei sehr deutlich die Grenzen der Verständigung
auf, die nicht nur, wie bei Moh. cAbdüh in einem unkritischen
Vernunft^ebrauch oder in dem vom Islam generell
optimistisch eingeschätzten Vermögen des Menschen, das
Gute zu tun und das Böse zu lassen, liegen, sondern in dem

Auseinanderklaffen zwischen Theologie (als reine „Gotteslehre
") und Anthropologie (als juristische Domäne oder
Pflichtenlehre) des Islams. Im Christentum ist die Klammer
zwischen beiden die Christologie und Trinitätslehre; dies
hat die islamische Polemik nicht gesehen (und konnte es
wohl auch nicht!). Auch von christlicher Seite ist dazu in
der langen Geschichte der Apologie nicht genügend gesagt
worden. Im Islam ist daher die Polemik gegen Christologie
und Trinität immer von der theologischen Attributenlehre
her abgehandelt worden, die die Einheit Gottes zu verteidigen
hatte. (Jesus als Vorläufer Mohammeds ist Teil der
Prophetenlehre.) Der Zusammenhang von Soteriologie und
Sündenlehre ist dem Islam fremd und deshalb ohne Verständnis
geblieben. Man könnte sagen, daß über den „historischen
Jesus" eine Verständigung leichter möglich ist,
da der Koran dafür selbst Ansätze gibt, nicht aber über den
„kerygmatischen Christus", der das Christentum zu dem
macht, was es eigentlich ist: nicht nur eine Jesusreligion.

Die beiden Anhänge (213—242) enthalten Ubersetzungen
des „Radd" von °Ali at-Tabari (nach der Veröffentlichung
von Khalife und Kutsch'in den MUSJ 36, 1959, 119-148) und
einen Auszug (412—452) aus dem o. g. Jesusbuch von Fathi
cutmän (2. Aufl. 1961; S. 229, Z. 1 gehört nach 231, Z. 11).
Ein ausführliches Literaturverzeichnis (244—252) und verschiedene
Register (Personen, Orte, Sachen und fremdsprachige
Ausdrücke) beschließen das gründliche, informationsreiche
und anregende Buch, das gleichermaßen für Islamwissenschaft
, Religionswissenschaft und Theologie von Bedeutung
ist. Man wünschte ihm wegen seiner sachlichen
und verständnisvollen Haltung auch von muslimischer Seite
ein positives Echo.

Leipzig Kurt Rudolph

' Zu den Arbeiten von A.-Th. Khoury über die byzantinische Polemik
gegen den Islam s. meine Rezension in der ThLZ 95, 1970
Sp. 573-577.

* Vgl. zu dem so betitelten Buch von H. Räisänen ThLZ 98, 1973
Sp. 264—266. K. Rudolph, Jesus nach dem Koran, in: W. Trilling u.
I. Berndt, Was haltet ihr von Jesus? Leipzig (Benno-Verlag) 1976,
260-287.

■ Vgl. bereits vom Vf.: Das Christentum im Lichte der heutigen
arabisch-islamischen Literatur, in: ZRGG 21, 1969, 307-329.

Elsas, Christoph: Neuplatonische und gnostische Weltableh-
nung in der Schule Plotins. Berlin—New York: de Gruyter
1975. XV, 356 S. 8° = Religionsgeschichtliche Versuche und
Vorarbeiten, hrsg. v. W. Burkert u. C. Colpe, 34. Lw.
DM 92,-.

Elsas befaßt sich in dem vorliegenden Werk, das aus seiner
Göttinger theologischen Dissertation von 1971 (S. VII)
hervorgegangen ist, mit der anderen Grenze der Gnosis, der
Grenze, die als kategoriale Schranke die Gnosis von der
(gleichzeitigen) Philosophie trennt, die aber zugleich auch
der Ort ist, wo es für die menschlichen Träger der beiden
unvereinbaren Weltanschauungen zu Auseinandersetzungen
, gegenseitiger Beeinflussung und unter Umständen sogar
zum Frontwechsel kommt. Da der Blick der gegenwärtigen
Gnosis-Forschung — infolge der Art der gerade zu erschließenden
neuen Quellen — auf die Grenze zwischen
Gnosis und Christentum fixiert ist, muß man es E. schon als
Verdienst anrechnen, die Existenz der anderen Grenze
überhaupt wieder ins Bewußtsein gehoben zu haben, zumal
es ja auch hochinteressant ist, die geistigen Bewegungen an
beiden Seiten der Gnosis miteinander zu vergleichen. Auch
vermag das Thema und das Werk von E. das „Philosophische
" an der Gnosis (und das Mythologische an der damaligen
Philosophie) aufs neue deutlich werden zu lassen.

Das konkrete Ziel der Arbeit von E. ist es, gewisse in Rom
befindliche, der Philosophie mindestens nahestehende und
in der Schule Plotins verkehrende Gnostiker, die der Anlaß
zu der einzigen polemischen Schrift, die Plotin je geschrieben
hat (Enn. II, 9 [=• 33]), geworden sind, besser und deut-