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Ausgabe:

1977

Spalte:

642-644

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schumann, Olaf

Titel/Untertitel:

Der Christus der Muslime 1977

Rezensent:

Rudolph, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 9

642

1330-1465; 1465-1490 und 1490-1520. Im ersten Abschnitt
lassen sich nur Spuren des Humanismus finden; in der zweiten
Periode kann man den eigentlichen Anfang des Humanismus
sehen, aber er läßt sich in dieser Gestalt schwer mit
dem Italienischen vergleichen. In der letzten Dekade des
15. Jahrhunderts beginnt der wirkliche Aufstieg des Humanismus
unter dem Einfluß des Erasmus. Gleichzeitig wird
der Humanismus immer kritischer gegenüber dem italienischen
und hebt sich von diesem bewußt ab. Das religiöse
Element im Humanismus tritt immer stärker hervor, Bibel,
Kirchenväter und das christliche Leben sind die Quellen,
nicht Plato und Aristoteles. Es war nicht christlicher Humanismus
, sondern humanistisches Christentum; es war
nicht die Renaissance des klassischen Altertums, sondern
die Erneuerung der christlichen Frömmigkeit. Hier liegt der
wirkliche Unterschied zu Italien.

Dennys Hay bietet in seinem Beitrag „England and the
Humanities in the Fifteenth Century" ein lebendiges Bild
der Frührenaissance und des Frühhumanismus in England.
Er wirft zunächst die Frage auf, warum der Humanismus
in England um so viel später als in Italien seine Blüte erlebt.
Hay sieht in der Verschiedenheit der ökonomischen, sozialen
und politischen Verhältnisse den Grund für diese Entwicklung
. England hatte noch Agrarkultur, und die Dorfgemeinde
war die vorherrschende Siedlungseinheit. Das
englische religiöse Leben im 14. Jahrhundert war verschieden
von dem Italiens, Klöster hatten ihre solide finanzielle
Grundlage, und der Klerus verfügte über einen gewissen
Reichtum. Die Priester hatten eine viel bessere Ausbildung
auf den aufstrebenden theologischen Fakultäten von Cambridge
und Oxford als in Italien, wo die Juristenfakultäten
die theologischen weit überschatten.

Das Interesse des englischen Königshauses an gebildeten
Beamten, Klerikern und Laien bestimmte die pädagogische
Entwicklung in England, die den öffentlichen Dienst für
Land und Gesellschaft zum Ziel hatte. Der Geschäftsgeist
setzte sich durch und mit diesem die Möglichkeit, auch außerhalb
der Kirche in der Gesellschaft emporzukommen.
Erst unter Heinrich VII. und Heinrich VIII. fanden die
Renaissance-Ideale ihren eigentlichen Eintritt in England.

Der letzte Beitrag von Lewis W. Spitz, „The Course of
German Humanism" gibt einen Überblick auf die geistige
Entwicklung Deutschlands vom 14. bis zum 16. Jahrhundert
und zeigt die Rolle, die der Humanismus in diesem Prozeß
spielte. Spitz findet einen langsamen Ubergang vom späten
Mittelalter zu dem von Italien ausgehenden Elite-Humanismus
am Anfang des 16. Jahrhunderts, der sich weiterhin
selbständig behauptet, neben einer neuen Entwicklung, in
der humanistische Ideen in der reformatorischen Bewegung
aufgenommen wurden. Die These vom Gegensatz von Humanismus
und Reformation sieht Spitz als eine künstliche
an, da die beiden geistigen Strömungen nicht voneinander
getrennt werden können.

Entscheidend für Spitz ist Humanismus als wesentlicher
Faktor in der Vorbereitung für die Reformation. Ihm dankt
sie die Wiederbelebung der klassischen Sprachen und Prinzipien
der Quellenforschung. Die junge Humanistengeneration
ging mit Begeisterung zur Reformation über, wobei
nicht vergessen werden darf, daß die ältere Humanistengeneration
meist in der katholischen Kirche verblieb. Spitz
bringt in diesem Essay immer wieder die historiographi-
schen Interpretationen der Begriffe Renaissance und Humanismus
des 19. und 20. Jhs. zur Sprache. So ist die Auseinandersetzung
durch eine interessante historiographische
Diskussion bereichert, die durch die sachkundigen bibliographischen
Angaben ergänzt wird.

Der Band zeigt die Vielfältigkeit des Humanismus in den
^andern Europas und die Bewegung des italienischen Humanismus
nach Norden und die verschiedenen Wandlungen
, die er in diesem Prozeß erfuhr. Es ist ein reicher und
wissend geflochtener Geburtstagsstrauß, an dem der große
Gelehrte Kristeller sich erfreuen kann.
Cambridge, Mass. U.S.A. Maria Grossmann

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Schumann, Olaf H.: Der Christus der Muslime. Christolo-
gische Aspekte in der arabisch-islamischen Literatur.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn [1975].
267 S. 8° = Missionswissenschaftl. Forschungen, hrsg. v. d.
Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft, 10. Kart.
DM 35,-.

Zu den zentralen Themen der christlich-islamischen Polemik1
gehört die Diskussion über Jesus. Sie beginnt bei
Mohammed selbst und setzt sich bis in die Gegenwart fort.
Für den Muslim ist der Koran als Gottes Wort authentisches
Kriterium für die Beurteilung von Jesus Christus. Das koranische
Jesusbild2 gibt daher die Grundlage für die islamische
Polemik gegen das christliche Jesusbild. Die über ein
jahrtausendlange Debatte hatte sich in unüberbrückbare
Gegensätze festgefahren und war eigentlich fruchtlos geblieben
, bis in neuerer Zeit auf beiden Seiten ein neuer Ton
hörbar wurde, der einer anderen Einstellung zu dem alten
Problem entstammte. Das vorliegende Buch, das auf eine
Tübinger theologische Doktorarbeit von 1971/72 zurückgeht,
ist einerseits ein Dokument dieses Wandels auf christlicher
Seite selbst, andererseits eine Einführung in diesen Wandel
auf islamischer Seite. Der Autor ist als Missionswissenschaftler
Schüler von G. Rosenkranz, der auch das Thema
der Arbeit stellte. Seine islamwissenschaftliche Ausbildung
erhielt er bei J. van Ess. Das Material zu seiner Arbeit sammelte
er während eines mehrjährigen Aufenthaltes in Ägypten
, der auch ein iy2jähriges Studium an der Azhar-Univer-
sität einschloß.

In einer längeren Einleitung (10—24) legt Sch. die Grundsätze
seiner Arbeit vor und setzt sich dabei sehr kritisch
mit den bisherigen missionswissenschaftlichen Urteilen
über den Islam auseinander, bes. mit H. Kraemer und E.
Kellerhals (vgl. auch die kritische Bemerkung über K.
Barths Islambild: 211 A. 3). Gegenüber diesen voreingenommenen
Ansichten sucht Sch. einen neuen Ansatz zum
Verständnis der muslimischen Christusauffassung. Daß der
Islam eine sehr brisante theologische Anfrage an die christliche
Theologie stellt, ist nie recht ernst genommen worden
(18). Es bedarf dieses Gesprächs, und zwar mit der Frage
nach Christus, denn: „Auch dem Muslim begegnet Gott in
Christus, und zwar seit den ersten Tagen der islamischen
Verkündigung" (19). Diese Tatsache verbietet es, das islamische
Christusbild nur aus intellektueller Neugier zu betrachten
, sondern es ist eine Aufforderung an die Christen,
ihr Verhältnis zu Christus und damit zu Gott immer wieder
kritisch zu prüfen (ebd.). Da die „klassische islamische
Christologie" bis heute so stark nachwirkt, sind im ersten
Teil der Arbeit einige Stimmen dieser Zeit vorgestellt worden
(25—110). „Christus im Koran" (25—47) ist eine das wesentliche
des Themas erfassende Darstellung, die nur in einigen
Punkten Kritik hervorrufen wird (z. B. in der Berufung
auf den „semitischen Geist" bei Mohammed, S. 29, man vgl.
dazu die syrische Theologie, die durchaus hellenistische
Denkgewohnheiten besaß; daß Moh. erst von den Juden
über die Kreuzigung Jesu Kenntnis erhielt, S. 37; die Ausführung
zum Namen al-Masih, S. 38, der einfach eine aus
dem syr. mesihä, d. h. Christus, stammende Bezeichnung ist
und hinter der die alte Messiasvorstellung nur noch dunkel
durchschimmerte). Daran anschließend wird die erst
1959 bekanntgemachte und im Anhang (213—225) übersetzte
„Widerlegung der Christen" (ar-radd calä'n-nasära) von
dem Arzt CAH at-Tabari (9. Jh.), der vom nestorianischen
Christentum zum Islam übertrat, besprochen. In ihr sind
die für die Folgezeit typischen Argumente gegen die „Gottheit
Jesu" die tritheistische Auslegung der Trinität zu finden
. Der Literat al-Gähiz (776/7—868/9) zeigt demgegenüber
ein Beispiel für die mit der philosophisch-theologischen
Schulsprache abgefaßte Auseinandersetzung, die sich auf
die Attributenlehre konzentriert, in der die Christologie
ihren traditionellen Platz finden sollte. Eine kurze Zusam-