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Ausgabe:

1977

Spalte:

639-641

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Itinerarium italicum 1977

Rezensent:

Grossmann, Maria

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639

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 9

640

Christi verwehrt wurde. Auf beide Aspekte hin war die
Menschensohn-Christologie nicht ursprünglich angelegt. —
E. G r ä ß e r trägt „Beobachtungen zum Menschensohn in
Hebr 2, 6" zusammen (404—414). Sie besagen, daß dem Vf.
des Hebr nicht die synoptische Menschensohn-Vorstellung,
sondern einfach ein auf die Menschlichkeit Jesu zielender
Korrelatbegriff zum Gottessohnbegriff vorschwebt. — E.
Lohse geht dem seltenen Vorkommen der Rede vom
Menschensohn in der Johannesapokalypse nach (415—420).
Das Ergebnis: der Vf. benutzt ihn nur unter Rückgriff auf
Dan 7,13 und zeigt im übrigen eine offenbar bewußte Zurückhaltung
. — K. Lehmann möchte mit seinem Beitrag
„Uber das Verhältnis der Exegese als historisch-kritischer
Wissenschaft zum dogmatischen Verstehen" erneut zum
weiterführenden Gespräch zwischen Exegese und Dogmatik
einladen (421—434). Dem dienen einerseits Thesen zur kritischen
Hilfe der Exegese für die Dogmatik und andrerseits
Thesen zur Bestimmung des Verhältnisses der Dogmatik
zur historischen Kritik. — Der letzte und umfangreichste
Beitrag des Bandes stammt von O. Kaiser und stellt im
Blick auf „Menschensohn, Menschensohnforschung und
praktische Verkündigung" komplizierte „Überlegungen zur
Dialektik von Autonomie und Finalisierung neutestament-
licher Wissenschaft" an (435—488). Der Vf. möchte an dem
ausgewählten Beispiel zeigen, „daß neutestamentliche Wissenschaft
durch die und in den Weisen ihres Vollzuges gesamtgesellschaftliche
Bedeutung besitzen dürfte".

Im Rückblick auf die Vielfalt der Beiträge fällt auf, daß
die zentrale historische Frage nach Jesu Verhältnis zum
Menschensohn nur gelegentlich berührt, aber nirgends
grundsätzlich angegangen wird. Dieser weitgehende Vorfeldcharakter
der Beiträge dürfte für den gegenwärtigen
Stand der Menschensohn-Forschung charakteristisch sein.

Greifswald Günter Haufe

Oberman, Heiko A., and Thomas A. Brady Jr. [Ed.]: Itinera-
rium Italicum. The Profile of the Italian Renaissance in
the Mirror of its European Transformations. Dedicated
to Paul Oskar Kristeller on the occasion of his 70th
Birthday. Leiden: Brill 1975. XXVIII, 471 S. gr. 8° =
Studies in Medieval and Reformation Thought, ed. by H.
A. Oberman, XIV. Lw. hfl. 96,-.

Diese Festschrift für Paul Oskar Kristeller bringt eine
Reihe von Arbeiten über den Humanismus des 15. und 16.
Jahrhunderts in Italien, Frankreich, den Niederlanden,
England und Deutschland. Die Darstellungen versuchen vor
allem den Einfluß der italienischen Renaissance auf den Humanismus
nördlich der Alpen zu bestimmen. Der Herausgeber
ist sich bewußt, daß die Aufsätze keinen vollständigen
Uberblick über den gesamten europäischen Humanismus
geben, da sie sich auf fünf Länder beschränken und
der Humanismus in Spanien, Portugal, Böhmen, Polen und
Ungarn nicht zur Sprache kommt.

Der Band ist ausgezeichnet gelungen. Obwohl man in
solchen Darstellungen kaum neue Entdeckungen erwarten
kann, zeugt jede Seite vom tiefen Verständnis und der
gründlichen Quellenforschung der Verfasser. Es ist schwer,
sich eine entsprechendere Würdigung für den 70jährigen
Kristeller vorzustellen, dessen Bemühen es ist, die Begriffe
Renaissance und Humanismus zu erfassen, und dessen Werke
richtunggebend für unsere und sicherlich auch künftige
Geschichtsforschung bleibt.

Das Thema, der Einfluß der italienischen Renaissance auf
den Humanismus in den nördlichen Ländern, führt zu der
wohlbekannten Frage: wie groß war der Einfluß Italiens
und wie groß war der Anteil der bodenständigen geistigen
Strömungen? Die Humanismus-Diskussion nimmt sie immer
wieder auf, ohne daß eine eindeutige Lösung erwartet
werden kann. Man stimmt heute im allgemeinen darin
überein, daß der Einfluß Italiens überwog und daß die Ideen,
die dort ihren Ursprung hatten, umgewandelt und umgeformt
wurden (manchmal fast bis zur Unkenntlichkeit).
Nicht anzuzweifeln ist, daß das intellektuelle Leben im Norden
Europas ohne den italienischen Humanismus und seinen
Einfluß ganz andere Formen angenommen hätte.

Im ersten Beitrag zur Festschrift „The Two Faces of Hu-
manism; Stoicism and Augustinianism in Renaissance
Thought" behandelt William J. Bouwsma die Spannungen
zwischen den beiden Bewegungen im 14. und 15. Jahrhundert
. Der Autor nimmt den Gegensatz zwischen der Idee
von der absoluten Abhängigkeit des Menschen von Gott
(Augustin) und der stoischen Idee von der Selbstgenügsamkeit
des Menschen zum Ausgangspunkt seiner Diskussion.
Er findet dieselben Spannungen im Humanismus und unterscheidet
zwischen stoischem und augustinischem Humanismus
, wobei er zur Überzeugung gelangt, daß die Humanisten
der stoischen Tradition weniger geneigt waren zum
Protestantismus überzugehen als die der augustinischen.
Stoizismus erscheint wieder im späten 16. Jahrhundert in
der Gegenreformation, und die zwei Strömungen konnten
sich dann versöhnen und gegenseitig ergänzen, dies aber
auf der augustinischen Ebene.

Myron P. Gilmore's anregender Essay über „Italian Reac-
tion to Erasmian Humanism" erweist, wie sehr Erasmus in
Italien bekannt war und wie intensiv man sich mit seinen
Ideen auseinandersetzte. Die zwei größten Kritiker des
Erasmus in Italien waren Girolamo Alexandra und Alberto
Pio. Die Kontroverse zwischen Pio und Erasmus ist ausführlich
und interessant dargestellt, und Gilmore glaubt,
daß Pio's Angriffe die schwersten waren, die Erasmus erleiden
mußte. Gilmore sieht in den Einstellungen des Alexandra
und Pio die ersten Zeichen der Gegenreformation;
gleichzeitig arbeitet er den Einfluß der Ideen des Erasmus
auf das Konzil von Trient und die Gegenreformation heraus
.

Sam Dresden's Arbeit über „The Profile of the Reception
of the Italian Renaissance in France" zeigt, daß, obwohl der
italienische Humanismus großen Einfluß in Frankreich
hatte, der französische Humanismus sich in anderen Richtungen
bewegte. Der Autor hebt die Schwierigkeiten hervor
, den verwickelten Prozeß in Frankreich darzustellen,
und gesteht, daß trotz vieler spezialisierter Studien es fast
unmöglich sei, einen Überblick über den französischen Humanismus
zu bieten. Nationalismus kam in Frankreich früh
auf, und der Ehrgeiz der Franzosen, ihre eigene Sprache auf
dasselbe Niveau zu bringen wie Griechisch und Latein, ist —
dem Autor zufolge — ein Hauptziel des französischen Humanismus
. Dieses Bestreben führte zu einer frühen Verfeinerung
der eigenen Sprache; man denke an Rabelais,
Ronsard und Montaigne. Der königliche Hof in Paris ermutigte
und förderte Literatur, Kunst und Musik.

Viele interessante Anregungen bietet dieser Beitrag, der
ein sehr weites Gebiet der Ideengeschichte umspannt. Am
Ende stehen wir aber einem eher verwirrenden, wenn auch
faszinierenden Bild des französischen Humanismus gegenüber
.

Jozef Jsewijn's Beitrag „The Coming of Humanism to the
Low Countries" umfaßt einen größeren geographischen
Raum als die heutigen Niederlande und Belgien. Für ihn
reicht der niederländische Humanismus vom Ärmelkanal
bis Heidelberg. Der Aufsatz gibt einen sehr guten Uberblick
über die weniger bekannten sogenannten Humanisten, über
die es bisher nur spärliche Information gibt. Eine ausgezeichnete
Bibliographie ist am Ende beigefügt, die die
Grundlage für weitere Arbeit auf diesem Gebiete ist.

Im Unterschied zur italienischen Renaissance des 15. Jahrhunderts
, die zurück nach Rom blickte, war die Mystik in
den Niederlanden der Ausgangspunkt für den späteren Humanismus
. Die Klöster und die beiden Universitäten, Lou-
vain und Köln, waren die Zentren der Schulen in den Niederlanden
und standen in der scholastischen Tradition des
Mittelalters.

Der Autor unterscheidet drei Perioden des Humanismus: