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Ausgabe:

1977

Spalte:

41-42

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Koch, Dietrich-Alex

Titel/Untertitel:

Die Bedeutung der Wundererzählungen für die Christologie des Markusevangeliums 1977

Rezensent:

Schille, Gottfried

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 1

42

Koch, Dietrich-Alex: Die Bedeutung der Wundererzählungen
für die Christologie des Markusevangeliums. Berlin —
New York: de Gruyter 1975. XII, 217 S. gr. 8° = Beiheft
zur Zeitschrift für die neutestamentl. Wissenschaft und die
Kunde der älteren Kirche, hrsg. v. E. Lohse, 42. Lw.
DM 90,-.

Im Titel (Diss. Göttingen 1973) kündigt K. die Aufnahme
des in jüngerer Zeit öfter behandelten Wunder-Themas im
Blick auf das redaktionsgeschichtlich noch im Brennpunkt
stehende Markus-Evangelium an, die Einleitung (S. 3f.)
fixiert die drei älteren Lösungsvorschläge: (1) Markus kritisiere
(2) oder nehme die „nicht zu verhindernde Ausstrahlung
" der Wunder Jesu auf, oder (3) stelle Jesus dadurch als
halbmythischen Gottmenschen dar (so S. Schulz). Vf. geht es
um den Nachweis, daß Markus nicht einlinig interpretiert
werden darf (etwa S. 179): er gebe die Wundertraditionen
„nicht als direkte Christusverkündigung weiter", sondern
„die christologische Identifikation Jesu als Wundertäter, die
durch die gehäufte Wiedergabe der Wundererzählungen in
der markinischenGesamtdarstellung entstehen könnte, wird
zurückgenommen" (S. 186).

1. Die klassische Formgeschichte konnte noch relativ mühelos
zwischen Tradition und Redaktion trennen. Das Geschäft
wurde schwieriger, als redaktionsgeschichtliche Fragestellungen
auf den teilweise erheblichen Anteil der Schriftsteller
aufmerksam machten. K. betont, daß sprachstatistische
Erhebungen wohl ein Argument abgeben können, aber nie
mehr als ein zusätzliches. Inzwischen hat E. Güttgemanns
durch seine Forderung, die Niederschrift als Einschnitt ernst
zu nehmen, eine weitere Barriere vorgelegt. K. argumentiert
mit dieser Einsicht, quält den Leser dann jedoch trotzdem
über mehr als hundert Seiten durch die Fragen, ob und wieweit
ein Versteil vormarkinisch, markinisch oder bedingt
markinisch (um die markinische „Verzahnung" zu deuten,
denkt er an probeweise Niederschrift einzelner Stücke durch
Markus) sein könnte. Hier ist viel Richtiges gesagt, aber
mindestens ebensoviel Unbeweisbares, so daß die Sicherheit
im Urteil gegen andere frappiert.

2. Man sehe sich solch ein Urteil genauer an! S. 158 ff. geht
KL Mk 8,11—13 an. In V. 12 habe arjfielov „lediglich die hinweisende
Bedeutung des Begriffs" (Anm. 16), so daßAnm. 24
eine fremde These zurückgewiesen werden kann, der Kritisierte
habe „die auch im MkEv vorliegende Differenzierung
zwischen orjuelov und Svvdfica;" nicht beachtet. Aber dann
folgert er aus der Stellung der Tradition direkt hinter einem
.Natur'wunder (S. 159 „diese Abfolge zeigt" ; vgl. S. 185),
Markus habe .. . orjuciov eben auf ein Wunder bezogen, also
durchaus nicht anders als das Wort Svvdfiei^ behandelt (was
auch gar nicht möglich ist, da Markus aTjfielov nur hier und
13,4 verwendet, dort im apokalyptischen Sinn, also traditionell
). Aus der Wendung „auch im MkEv vorliegend" kann
man erkennen, woher K. seinen Widerspruch nimmt: Er
schiebt Markus ein fremdes, das johanneische Verständnis
unter! — Ähnlich S. 89: Die Syrophoinikissa-Erzählung „ist
von Haus aus zeit- und ortlos" — Markus habe die präzise
Lokalisierung ... „aus V. 26 (2 vgOKpaivLxiooa rä> yivei) erschlossen
". Was denn nun? Also war die Tradition doch lokalisiert
!! — Ich erspare mir ein Florilegium weiterer Fälle.

3. Aber auch die Gesamtthese wird von merkwürdigen Interpretationsvorschlägen
beeinträchtigt. K. gibt teilweise zu,
daß einzelne Wundertraditionen mit Mission zu tun hatten,
hält dies Thema aber für Markus für bedeutungslos. Gewichtiger
: Belanglose Zwischenbemerkungen (wie das av-
eXu>eiotv Mk3,7: S. 167) werden öfter (vgl. S. 78, 91, 165 ff.)
auf einen „Rückzug Jesu" gedeutet, woraus sich (S. 168 und 180
.,5.") erhebliche Folgerungen für den Gesamtaufriß ergeben.
Wer S. 184 im Blick auf Joh 6,14 f. liest, wird eine weitere Jo-
hanneisierung des Markus entdecken! So wird denn Mk6,53
bis56 ausgerechnet auf eine „Distanzierung Jesu von seinen
Wundertaten" (S. 171) hin gedeutet. Doch ergibt sich der
Wegfall der Aktivität Jesu in diesem Sammelbericht einfach
daraus, daß der - bildlich! - bekannt gewordene Arzt
Sprechstunden hält! Beinahe wäre es zu einem weiteren Johanneismus
gekommen, als Vf. von der „gesicherten" (mehrfach
) Semeia-Quelle her nach vormarkinischen Sammlungen
fragte (S. 31—39), ein im ganzen für das Thema unnötiger
Exkurs.

4. Da die Arbeit aus der Negation fremder Forschungen
lebt (und, wie die Zitate ausweisen, sehr häufig aus H. Conzel-
manns Position), wird ihr Ertrag mehr der einer Katene zu
synoptischen Fragen sein. Gut beobachtet ist die Differenz zwischen
Beschwörungsritual und Exorzismuserzählung (S. 59),
auch die Deutung des „Hauses" als Rückzugsmotiv (auf die
interne Jüngerbelehrung) - doch gilt dies S. 59 zu Unrecht
für die Tradition Mk 8,22—26, in welcher olxo<; „als unbetonte
Angabe der Exposition" gewertet wird(V. 23 steht xeü,«»;!);
gut die Formulierung der These auf S. 85 (gegenüber späteren
Zusammenfassungen unter Berücksichtigung des zweifelhaften
Rückzugsmotivs): „Markus verhindert so den direkten
Schluß von der Wundertat auf den Wundertäter."

5. Überzeugt hat mich darüber hinaus die Beurteilung der
Bartimäus-Erzählung als Personallegende analog Lk 19,1 ff.
(Zakchäus) S. 128 ff. Nur eben führt die Beobachtung, daß
die einzigen beiden Erzählungen dieses Typs innerhalb der
synoptischen Tradition ausgerechnet auf Jericho zurückgeführt
werden (dazu noch von verschiedenen Evangelisten!),
zu meiner (S. 15 Anm. 20 nebenbei abgetanen) Anfrage, ob
die synoptische Tradition tatsächlich so homogen ist, wie
man gern annimmt, oder ob die Disparatheit spezifischer
Überlieferungskreise bis hinein in die Stilistik Spuren hinterlassen
habe. Positiv gewendet: Ob es noch erlaubt sein
kann, Evangelienkritik zu treiben, ohne für jede Traditionseinheit
gesondert die Frage nach der spezifischen Theologie
zu stellen. Vf. hat diese Frage offenbar nicht gehört; für ihn
ist die Wundertradition vor Markus noch so homogen, daß
er auf eine einheitliche, aus den religionsgeschichtlichcn Parallelen
erschließbare Gattung insistieren kann, ohne die
Frage nach Eigenart und Herkunft der Theologie dieser
Wundertraditionen zu stellen.

Aufgelockert ist die Lektüre nur dadurch, daß die Druk-
kerei die Seiten 20 f. mit den Seiten 28 f. vertauscht hat: Zur
Hypothese einer Blattvertauschung im Johannes-Evangelium
gibt es nun ein modernes Beispiel, das den Vorzug
genießt, nicht nur hypothetisch zu sein!

Borsdorf bei Leipzig Gottfried Sehille

O'Neill, J. C.: Paul's Letter to the Romans. Harmondsworth,
Middlesex/Engl. — Baltimore, Maryland/USA—Ringwood,
Victoria/Australia — Markham, Ontario/Canada — Auck-
land, New Zealand:PenguinBooks Ltd. [1975]. 315 S. kl. 8°.
J. C. O'Neill, bekannt als Verfasser von „The Puzzle of
First John"1 oder „TheTheology of Acts in itsHistoricalSett-
ing"!, legt einen Römerbrief kommentar vor, der selbst phantasievolle
Exegeten überrascht: Für ihn ist dieser Paulusbrief
eine Kompilation aus einem viel kürzeren echten Paulusbrief
und zahlreichen schriftgelehrten oder katechetischen
christlichen Zusätzen, die sowohl einzelne Verse als auch
ganze Kapitel umfassen können. Solche Zusätze sind u.a.:
1,2-6; 1,18-2,29; 3,12-18; 3,25 (f.); 4,3 f. 6-9a. 14 f. 17.22;
5,3f. 12-21; 6, (4) 5-7. (17) 18-20; 7,1-3. 4b-5. 8-11. 14-25.
8,2. 4b-10. llc-14. 20. 27. 28c-30. 33. 36. 38 f.; 9,4 f. 7 f. 11-24.
29; 10,6b-15,13 (!); 16,17-20. 25-27. Diese Liste umfaßt nur
die größeren Stücke, nicht aber alle kleinen und kleinsten
Glossen, die O'Neill entdeckte. Es bleibt für Paulus ein gutes
Drittel des Römerbriefs übrig.

Von den Begründungen sei nur eine Musterkarte gegeben:
Wo textkritische Befunde irgendwie verwendbar sind, werden
sie verwendet, und Stellen wie etwa Rom 1,3 f. oder
Rom 3,25 fallen ohne jede Rücksicht auf das überwiegende
Gewicht der den Langtext vertretenden Textzeugen der
Schere zum Opfer. Die inhaltlichen Spannungen im Römerbrief
, etwa zwischen 1,18-2,29 und 9,30-10,3, werden literar-
kritisch beseitigt. Oder: Paulus hat das AT hebräisch benutzt
, darum kann 3,12—18 nicht von ihm stammen. An vielen
Stellen wird hemmungslos das eigene Textverständnis