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Ausgabe:

1977

Spalte:

620-621

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Archiv für Liturgiewissenschaft; Bd. XVI 1977

Rezensent:

Beckmann, Joachim

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619

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 8

620

Praktischen Theologen der Versuch unternommen wird,
eine theologische (und philosophische) Begründung der
Praktischen Theologie als unerläßlich herauszustellen.
Das geschieht so: Nach einer Darstellung der empirischen
Position (Kirchliche Praxis ohne Theologie?, S.7-14) und
ihrer Fraglichkeit wird festgehalten, daß Subjektivität
und Geschichtlichkeit der Ort sind, wo die Frage nach Gott
in der religiösen Erfahrung aufbricht (Subjektivität und
Geschichte, S. 14-23). Diese Wahrheit der religiösen Erfahrung
ist inhaltlich als „bestimmende Macht" bzw. als
„göttliche Aktivität" aussagbar. Die „Praxis Gottes" ermöglicht
die Praxis des Menschen. Der aktive Mensch verwirklicht
in Freiheit die noch offene Zukunft der Welt im
Sinnvertrauen auf Gottes Aktivität (Die Bedeutung der
Praxis Gottes, S.23-29). Ein weiterer Abschnitt bedenkt
den Begriff des „Sinnes", der aus menschlicher Intention
oder durch göttliche Setzung gefüllt wird, und erläutert
dann, was Vf. unter „absolutem Sinnvertrauen" versteht
(Religiöse und intentionale Sinntheorie, S. 29-41). Die Kategorie
der „religiösen Erfahrung", die sich neuerdings in
der westlichen Welt stärker ins Gespräch mischt, wird
dann als „ursprüngliche Erfahrung des Handelns Gottes"
gegenüber dem „vagen Gefühl" eindeutig bestimmt (Die
moderne Religiosität, S.42-49). Aus der Praxis Gottes
übernimmt nun die Kirche den Auftrag zur Seelsorge, indem
sie die Weckung des Sinnvertrauens für den ganzen
Menschen betreibt, der als rationales und emotionales, individuelles
und soziales Wesen ganzheitlich zu begreifen
ist. Seelsorge beschränkt sich nicht auf Teile des menschlichen
Lebens, sondern ist Theologie als konkrete Form
der Zuwendung zum wirklichen Menschen, und darin
Nachvollzug der Praxis Gottes (Kirchliche Praxis als Seelsorge
, S. 50-58). Das absolute Sinnvertrauen in Gottes
Praxis ist in der Erscheinung Jesu als des Gekreuzigten
und Auferstandenen fundiert (Zur christologischen Begründung
der kirchlichen Praxis, S. 58-63). Von diesen
Voraussetzungen her ist es dann legitim, in den empirischen
Wissenschaften einen Helfer zur Seelsorge zu haben.
Begrenzt und kritisch eingestuft gewinnen sie ihren Wert,
indem sie „Realität" vermitteln (Die Realitätsschwäche
der theologischen Praxistheorie, S. 63-69).

Der positive Wert der kleinen, aber gehaltvollen Schrift
liegt darin, daß gegenüber einseitigem empirischem Vorgehen
in der (Praktischen) Theologie, besonders auch in
der Seelsorge, ihre Eigenständigkeit als theologische Wissenschaften
) herausgestellt wird. Ein theologisches Fundament
wird gelegt. So handelt es sich um eine notwendige
Arbeit, die einem säkularen Ausverkauf der (Praktischen)
Theologie wehrt.

Nachteile sind 1. eine manchmal zu eklektische und
bunte Aufnahme systematisch-theologischer Erkenntnisse
unserer Tage; 2. eine zu apologetische Aneignung der Begriffe
Subjektivität, Geschichte, Sinn, religiöse Erfahrung
nach dem Motto: Das freie Nachdenken über sie legt es
nahe, sie in der Praxis Gottes erfüllt zu sehen (S.23, 25, 29,
31 u.ö.). Inwiefern die vom Vf. negativ apostrophierten
Werte des Empirischen und Objektiven theologisch inter-
pretabel sind, bleibt außer Betracht. 3. Die Grundwerte
im Bereich der Definition des Menschen bleiben unabge-
stimmt: Hier wird der Mensch als aktives Handlungswesen
, dort als leidendes, ohnmächtiges, hier als empirisch
beschreibbares, dort als geschichtliches, hier als emotionales
, dort als rationales Wesen gesichtet. Die Angebote zum
Bild des Menschen aus dorn Bereich der Handlungswissenschaft
(Gottes und des Menschen Praxis) und der empirischen
Wissenschaften, aus der Philosophie über Sinn, Religion
, Subjektivität und Geschichte werden nicht völlig
durchschaubar und klar mit der theologischen Interpretation
des Menschen verbunden, der sich durch Gottes Praxis
, Jesus Christus und das Sinnvertraucn versteht. 4. Methodisch
wäre es der verdienstvollen Arbeit besser bekommen
, wenn sie noch deutlicher auseinandergehalten hätte,
ob sie eine Grundlegung der Lehre von der Seclsorge, der

Praktischen Theologie oder der gesamten Theologie als
Wissenschaft liefern wollte.

Die Vofbemerkung (S.6) gibt die Absicht des Vfs. wesentlich
unkomplizierter als die dann folgenden Ausführungen
wieder.

Berlin Friedrich Winter

LITURGIEWISSENSCHAFT

Archiv für Liturgiewissenschaft, in Verb. m. A.L.Mayer u. O.Helming
hrsg. v. E. v. Severus. Bd. XVI. Regensburg: F. Pustet 1974.
667 S. gr. 8° = Abt-Herwegen-Institut für liturgische u. mon-
astische Forschung Abtei Maria Laach.

Der vorliegende Band beginnt mit einem Aufsatz, der
weniger in das Gebiet der Liturgiewissenschaft als der neu-
testamentlichen Theologie gehört. Pius Merendino schreibt
über „Gleichnisrede und Wortliturgie" zu Mk 4,1-34.
Diese schöne Untersuchung über Ursprung und Sinn der
Gleichnisrede bei Markus versucht einige Verdeutlichungen
, die dem Verfasser bei den Exegeten des Neuen Testaments
zu kurz gekommen sind. Es geht ihm dabei um die
Rückboziehung zu alttestamentlich-prophetischer Gleichnissprache
wie auch um Erläuterung der Gleichnisse als
Verkündigung des Gottesreiches im neuen, in Christus angerichteten
Gottesbund mit der Menschheit. Außerdem
wird versucht darzustellen, wie aus dem Urtext der Gleichnisrede
ein Predigt- oder Katechesentext in der Ur-
gemeinde geworden ist. Für „Wortliturgie" würden wir
etwa „Gemeindeversammlung" sagen.

Es folgt ein weiterer, wiederum besonders neutestament-
licher Aufsatz: „Ansätze für die Entwicklung einer Weiheliturgie
in apostolischer Zeit" von Klemens Richter. Hier
wird am neutestamentlichen Textbefund darzubieten versucht
, wie die Liturgie der Amtsübertragung im Neuen
Testament gewesen sein kann. Das Textmatcrial, das nicht
sehr ergiebig ist und viele Fragen offen läßt, ergibt: Wahlakt
, Fasten, Handauflegung und Gebet. Unterschiede hinsichtlich
der „Ämter" lassen sich nicht festlegen. Eine
„Weiheliturgie" kann noch nicht als festgelegt angesehen
werden. Das gilt auch für die „nachapostolische Zeit".
Theologisch wichtig dagegen ist der Klemensbrief für das
Verständnis des Amtes, aber erst bei Hippolyt findet sich
eine „Bischofsweihe".

Der dritte und umfangreichste Aufsatz stammt von
Gabriele Winkler. Er handelt „über die Kathedralvesper
in den verschiedenen Riten des Ostens und Westens". Dies
ist eine vortrefflich gelungene liturgiegeschichtliche Arbeit
über einen längeren Zeitraum, in welchem deutlich wird,
wie der ursprüngliche Unterschied zwischen dem Ge-
meindeoffizium (Kathedralvesper) und dem monastischen
Stundengebet zugunsten des letztgenannten in den Kirchen
verschwunden ist. Die aus dem Mönchtum stammende
Höre hat ein ursprünglich gewachsenes Stück Gemeindeliturgie
völlig verdrängt. In der ausführlichen Darbietung
ist erst vom Abend- und Morgenopfer im Allen
Testament die Rede, sodann kurz von den Tageszeiten der
Kirche bis zum 4. Jahrhundert. Danach folgt die Kathedralvesper
im Orient: Jerusalem, Kappadozien, Westsyrien
, Ostsyrien. Es folgt die Überlagerung der ursprünglichen
Kathedralvesper mit der monastischen Psalniodie
bei den Maroniten und Jakobiten, in Jerusalem und Konstantinopel
. Nun kommt es zur Darstellung der alexandri-
nischen Gruppe (koptische und äthiopische Vesper). Dem
Osten folgt der Westen, sein- ausführlich Spanien und Mailand
(Ambrosius), schließlich kommt Rom zur Darstellung
. Von der ursprünglich eigenartigen Vesper bleibt fast
nichts übrig. So stark hat sich die „Übermacht" des monastischen
Stundengebetes ausgewirkt.

Außer diesen drei Hauptaufsätzen finden sich noch:
Irische Marginalien im Evangeliar von Gniezno von Bog-