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Ausgabe:

1977

Spalte:

39-40

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wilckens, Ulrich

Titel/Untertitel:

Die Missionsreden der Apostelgeschichte 1977

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 1

Hl

und Person doch wohl schon mit seinem Dienst selbst angeregt
war. Seine Verkündigung habe zwangsläufig die Frage
aufgeworfen: ,Who is this Jesus? Why does he behave in
this way? Can God's promised rule really be associated with
this man from Nazareth?' Gegen J. Roloff will St. daran
festhalten, daß die älteste Gemeinde durchaus nach der persönlichen
Eigenart Jesu (,character picture') gefragt habe.

Die Problematik wird im 7. Abschnitt (172—185): ,TheGos-
pel traditions in the early church' noch kurz ausgedehnt auf
die Frage, warum die frühe Kirche letztlich an den Traditionen
festgehalten habe? Sei Jesu Botschaft, wie dargetan, im
Kern eine Botschaft über ihn selbst gewesen, so könne der
Ubergang vom Verkündiger zum Verkündigten am wenigsten
, eine Brücke über eine Kluft' gewesen sein (174). Eine
solche Sicht der Dinge habe um so mehr ihr Recht, wenn ein
wesentlicher Teil der Wortüberlieferung (mit H. Schürmann)
bereits seinen ,Sitz im Leben' im vorösterlichen Jüngerkreis
gehabt habe: ,a clear line of continuity can be traced' (176).
St., der eingangs gegen M. Dibelius das beträchtliche Interesse
der ältesten Überlieferung an der Gestalt Jesu betont
hat, bekennt sich schließlich mit Nachdruck zu dessen Meinung
, daß dieses Traditionsgut in der urchristlichen Verkündigung
einen unaufgebbaren Platz besaß: ,Thepreaching
of the church not only declared that the crucified Jesus was
Risen and Exalted, but indicated what Jesus had done and
what sort of a person he was, for the church claimed that in
the actions and conduct of Jesus, God had begun to act
eschatologically' (183).

Wir fassen zusammen: St. war auf Positionssuche und hat
seinen Standort gefunden. Das Unternehmen, obschon mühevoll
genug in der Vielfalt theologischer Literatur, hat die erwünschte
Klärung gebracht. Man wird ihm einen nüchternen
Verstand und solide Gelehrsamkeit bescheinigen. Ob
einzelne Sachverhalte nicht doch weiterer Durchdringung
bedürfen (sc. die Evangelien als Kleinliteratur, die Men-
schensohnfrage u. a.), muß man freilich einwenden. Die handfeste
Weise, Positionen zu hinterfragen und Vorurteile auszuräumen
, mag für viele Sucher, die in gleichen Schwierigkeiten
sind, eine Hilfe sein, zumal mit größtem Aufwand
brennende Sachkreise einem Neuverständnis zugeführt werden
, so daß sich eine plausible Gesamtkonzeption abzeichnet.
Irisgesamt hinterläßt die Arbeit keineswegs den Eindruck
restloser Geschlossenheit, wie auch die beigebrachten Arguniente
und Einzelanalysen von unterschiedlichem Gewicht
sind. Was sie zusammenhält, ist der Wille, einige bekannte
Positionen der letzten Jahrzehnte kritisch zu hinterfragen.
Wäre St. weniger von Standpunkten und Hypothesen beeindruckt
gewesen, um noch stärker Sache und Thema anzugehen
, hätte seine Arbeit über einen Orientierungsbeitrag
hinaus wahrscheinlich auf die Dauer größere Wirkung erlangt
.

Ncuendettclsau August Strobel

Wilckens, Ulrich: Die Missionsreden der Apostelgeschichte.

Form- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen. 3.,
überarbeitete und erweiterte Auflage. Neukirchen-Vluyn:
Neukirchener Verlag [1974]. 268 S. gr. 8° = Wiss. Monographien
zum Alten und Neuen Testament, begr. v. G. Bornkamm
u. G. v. Rad, in Verb, mit E. Gräßer und H.-J. Her-
misson hrsg. v. F. Hahn u. O. H. Steck, 5. Lw. DM 42,-.

Zu den Wandlungen der Acta-Forschung der letzten anderthalb
Jahrzehnte hat das Buch Wilckens'1 sein gutes Teil
beigetragen, insbesondere durch die in I und II begründeten
Sätze, es handele sich in den Reden der Acta „durchweg
um lukanische Kompositionen", und sie seien „geradezu
programmatische Kernstücke lukanischer Theologie" (3187).
Tatsächlich werden in der 3. Auflage Teil I und II (wie auch
die Einleitung) ohne das Gesamtverständnis beeinflussende
Eingriffe in den Text beibehalten.

Auf nennenswerte Änderungen im Text stieß ich nur zu
dem Ausdruck „Zeichen und Wunder" (123 f.) und zu

Ag 13,29b (135 f.). Aus den Nachträgen (225-241): Ag 4,25 bis
27 ist vorlukanisch (230 f., gegen 132 f.), ebenso 13,34 f. (232,
zu 141 f.) und 2,33 (233, gegen 151 A. 2). Variiert wird das Urteil
über 3,19-21 (234 f.), fortgeführt werden die Darlegungen
zum Christus-Titel (236 f.) und zu Ag 2,36 (237-239). Im
übrigen berücksichtigen die Nachträge weitgehend die neuere
Literatur in Referat, Auseinandersetzung, Weiterführung
(der Nachtrag zum Literaturverzeichnis ist umfänglicher als
die frühereBibliographie). In begrenztem Rahmen geschieht
das auch in Eingriffen in die Anmerkungen zum fortlaufenden
Text; gelegentlich sind hier zudem sachliche Änderungen
untergebracht (33 A. 2; 76 A. 1; 79 A. 2). Ferner sind die
Literaturverweise auf neuere Auflagen umgestellt und gelegentliche
Errata korrigiert.

Nach dem oben zu I und II Gesagten ist es um so bemerkenswerter
, daß an die Stelle des vorigen ein völlig neuer
Teil III tritt: „Der traditionsgeschichtliche Hintergrund der
Missionsreden der Apostelgeschichte" (187—224). Damit entfallen
die Ausführungen, die die Theologie des Lukas wer-
teten2. Einleitend bestimmt W. die Funktion der Apostelpredigten
in Acta dahin, zu zeigen, „daß die Predigt der Christen
, unter welchen geschichtlichen Bedingungen und von
welchen Menschen auch immer vorgetragen, grundsätzlich ein
und dasselbe Christuszeugnis ist: Kunde von der Geschichte
Jesu, in der Gott für alle Umkehrwilligen vollkommenes
Heil verwirklicht hat" (188). In Ag 14 und 17 ist „vorausgesetzt
, daß auch die Heiden wie die Juden die Geschichte Jesu
zum Fundament ihresGlaubens haben" (193). DemKerygma
der Reden und der Formel 1 Kor 15,3 f. „liegt ein gleichartiges3
Schema zugrunde" (Passion/Ostern; 199), das Lukas
durch die Evangelientradition vermittelt ist (195). Nach dieser
ist ebensowenig wie nach Lukas das Heil in Jesu Tod begründet
(198 f.)'. Durch Lukas ist das Schema im Blick auf
die Umkehrpredigt in Acta umgestaltet worden (199 f.) Unter
Berufung auf O. H. Steckt ordnet W. die entsprechenden
Partien „einem breiten Uberlieferungszusammenhang jüdischer
Umkehrpredigt" zu, „der vom deuteronomistischen Geschichtswerk
bis in urchristliche Zeit wirksam gewesen ist"
(200). W. weist selbst auf den Unterschied hin (193)6, der sich
damit gegenüber seiner bisher vertretenen Auffassung ergibt
(dazu s. z. B. 100. 120 f. 182). Die durch Lukas aufgenommene
Form der Umkehrpredigt7 ist wahrscheinlich auf
die „Hellenisten" der Acta zurückzuführen (207)8, die vermutlich
auch Traditionsträger der Stephanusrede sind (219).
Diese gehört in einer spezifischen Weise der Tradition der
Umkehrpredigt auf Grund des deuteronomistischen Geschichtsbildes
zu (208). Uber Ag 7 handelt W. zuletzt (208 bis
224).

Mit der neuen These in III hat W. selbst in bemerkenswerter
Weise von den Predigten der Acta eine kräftige Verbindungslinie
nach rückwärts gezogen^. Sie dürfte auch für
Analyse und Interpretation der einzelnen Reden bedeutsam
werden (Teil I und II), wennschon Lukas der Autor der uns
vorliegenden Texte bleibt.

Halle/Saale Gerhard Delling

1 Besprechung der 1. Aufl.: ThLZ 87, 1962, 840-843.

1 Obwohl W. von ihnen „der Sache nach nichts zurückzunehmen"
hat (189 A. 1). - Vgl. ThLZ 87, 1962, 842.

' So W. im Unterschied zu dem im Blick auf 1 Kor 15 vorher 73 bis
81. 111 Gesagten.

1 Ein Urteil, das freilich Jedenfalls in bezug auf Markus, wahrscheinlich
aber auch hinsichtlich der von ihm verarbeiteten Tradition
angefochten werden kann.

* Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, Neukirchen-
Vluyn 1967, 267-269. Steck geht zu Acta insbesondere von der Stephanusrede
(265-269) aus. Zu seinem Buch vgl. E. Oßwald, ThLZ 93,
1968, 830 f.

• Auch schon im Vorwort.

' Steck 268 nimmt anders als W. an, daß nicht nur hinter Ag 7, sondern
auch hinter den anderen Predigten vor Juden hellenistisch-Judenchristliche
Texte stehen, in die Lukas Jedoch erheblich eingegriffen
hat.

» Vgl. Steck 208 f.

' Für Einzelpassagen vgl. die oben gegebenen Hinweise.