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Ausgabe:

1977

Spalte:

599-603

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Beste, Niklot

Titel/Untertitel:

Der Kirchenkampf in Mecklenburg von 1933 bis 1945 1977

Rezensent:

Nowak, Kurt

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599

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 8

600

Man darf es dem Verfasser als hohes Verdienst anrechnen
, daß er mit den nunmehr vorliegenden zwei Bänden
eine moderne Geschichte des Pietismus geliefert hat, die in
ihrer Weise einzigartig ist und durch umfassende theologiegeschichtliche
Studien wesentlich über die epochale
Darstellung Albrecht Ritschis von 1880-86 hinausführt.
Die von Stoeffler geschriebene Geschichte des Pietismus
dürfte weit über den englischsprachigen Raum hinaus als
Standardwerk Verbreitung finden. Diese Hoffnung läßt
zugleich den aufrichtigen Wunsch wach werden, das
grundlegende Werk Stoefflors möge auch unverkürzt in
das Deutsche übersetzt werden !

Ein solcher Anlaß böte auch Gelegenheit, einige bibliographische
Ergänzungen und Verbesserungen von Schreibfehlern
vorzunehmen. Von letzteren seien hier wenigstens
einige angemerkt: S.81 Anm.3 „Bunzlau", S.176 Anm.2
und S.272 (Lit.-Verz.) „Dörries", S.193ff. „Mülheim",
S.203 Anm.l „Auge", S.204 Anm.2 „Hochhuth" und
„Kirchhain".

Marburg Winfried Zeller

Beste, Niklot: Der Kirchenkampf in Mecklenburg von 1933 bis 1945.

Geschichte, Dokumente, Erinnerungen. Berlin: Evang. Verlagsanstalt
u. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1975]. 376 S.
gr. 8°.

Nach der Dissertation von J. Fischer über den Kirchenkampf
in Sachsen, die 1972 im Druck erschien, liegt nunmehr
im Bereich der DDR eine weitere territorialgeschichtliche
Kirchenkampfstudie vor. Ihr Vf. darf für sein Unternehmen
von vornherein in hohem Maße als kompetent
gelten, war er doch in den Jahren des Kirchenkampfes
Bruderratsvorsitzender der mecklenburgischen BK, zugleich
einer der führenden Männer im Lutherrat. Im Jahre
1945 wurde D. Dr. Beste in das höchste geistliche Amt der
mecklenburgischen Landeskirche berufen, das er bis 1971
bekleidete. Seine Bedeutung für das deutsche Luthertum
sowohl während des Kirchenkampfes als auch in den Jahren
seit 1945 bis in unsere unmittelbare Gegenwart hinein
liegt im engagierten Festhalten dessen, was Christsein im
lutherischen Sinne bedeutet, zugleich auch auf kirchenorganisatorischem
und kirchenpolitischem Gebiet.

Schon aus diesem Grunde nimmt man das Buch mit
Spannung in die Hand, gewährt es doch Einblicke nicht
nur in den Verlauf des Kirchenkampfes in Mecklenburg,
sondern auch in Leben und Persönlichkeit des Vfs. selbst,
der für seinen Teil mitten in der Zeit- und jüngsten Kirchengeschichte
gestanden hat, oft genug an Brennpunkten
des Geschehens. Dieses Buch ist nur zu einem Teil nüchterne
Information über den Verlauf des mecklenburgischen
Kirchenkampfes. Es ist zugleich ein Dokument der
Verarbeitung und Wertung des Geschehens post festum
durch eine führende Persönlichkeit der BK und des kirchlichen
Lebens überhaupt. Man tut deshalb gut daran, es
nicht als bloße wissenschaftliche Darstellung zu lesen. Und
wahrscheinlich würde sich auch der Vf. selbst dagegen
wehren, wollte man ihn als lediglich „wissenschaftlichen"
Bearbeiter des mecklenburgischen Kirchenkampfes einstufen
. Das expressis verbis formulierte Ziel des Buches ist es,
„unter das Kreuz Christi" zu führen (Vorwort), mithin
vergangenes Geschehen für gegenwärtige christliche Existenz
fruchtbar zu machen. Kirchenhistoriker, die gern
ihre Arbeit sine ira et studio betreiben wollen, sollten dies
hören. Auch ein Karl Rahner hat einmal gesagt, Theologie
, als reine Wissenschaft interessiere ihn nicht, verstehe
er sich doch auch als Wissenschaftler als Priester der
Kirche.

Dr. Beste entrollt vor dem Leser ein oftmals plastisch
gezeichnetes Bild des mecklenburgischen Kirchenkampfes
, wobei der Schwerpunkt - wie in den meisten der bisher
erschienenen Territorialstudien - in den Jahren 1933-1937
liegt. Den Einstieg bildet ein kurzes Kapitel „Aus der

Vorgeschichte", das die Entwicklung der beiden mecklenburgischen
Landeskirchen in der Weimarer Republik
skizziert. Das eigentliche Kirchenkampfgeschehen läßt
der Vf. mit der bekannten „folgenreichen Episode" anheben
. Sodann zeichnet er die ersten innerkirchlichen Auseinandersetzungen
nach, die durch das Gegeneinander des
Bundes deutscher Lutheraner und des NS-Pastorenbun-
des sowie durch die irritierende Haltung Rendtorffs (öffentliche
Beitrittserklärung zur NSDAP, Option für Müller in
der Reichsbischofsfrage) charakterisiert waren. Die Kirchenwahlen
vom 23. 7. 1933 werden mit interessantem
Zahlenmaterial belegt (46f.).

Dem Ringen um die Besetzung der von 57 auf 18 Sitze
reduzierten Landessynode, das nach dem Scheitern eines
von Rendtorff vorgelegten Kompromißvorschlages zugunsten
der DC ausging (Zweidrittelmehrheit in der Synode)
sowie dem sehr schnell einsetzenden Druck von Staatsund
Parteistellen auf Rendtorff wird ausführlich nachgegangen
. Bei allem Respekt vor der Persönlichkeit Rendtorffs
kommt Dr. Beste nicht umhin, eine Reihe von kritischen
Akzenten zu setzen.

Mit dem führerstaatlichen Theoremen nachempfundenen
Landeskirchenführergesetz vom 13. 9. 1933 rückte der
Badendieker Pastor Walther Schultz in die Spitzenposition
der Schweriner Landeskirche ein. Er entfaltete nach der
Entmachtung des altkonservativen Neustrelitzer Bischofs
Tolzien und nach der am 13. 10. 1933 erfolgten Zusammenlegung
beider Kirchen einen kirchenregimentlichen
Stil, der kirchenpolitisch auf Machtgewinn und theologisch
auf eine in enthusiastischer Gefühlslage erlebte Synthese
von Führerstaat, Volk und Kirche abgestellt war. Gerade
auch bei den Passagen über Schultz hat es sich der Vf.
nicht leicht gemacht. Er schildert bei diesem Mann, der ja
für den Kirchenkampf keineswegs nur regionale Bedeutung
hatte, sondern als Mitglied des Geistlichen Vertrauensrates
und als Stellv. Reichsgemeindeleiter in der
Nationalkirchlichen Einung (Thüringer Richtung der DC)
auch im gesamtkirchlichen Rampenlicht stand, eindrucksvoll
dessen theologischen Aktualismus und Dynamismus
samt den daraus resultierenden theologisch-politischen
Verirrungen. Zugleich aber versucht er den Menschen
Schultz in seiner Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit
zu verstehen. Insofern bietet Bestes Buch interessantes
prosopografisches Material, das eine wichtige Teilgrundlage
für ein vertieftes Verstehen der DC-Bewegung bieten
kann, etwa unter Beurteilungslinien, wie sie G.Kretsch-
mar in seinem Tutzinger Referat 1971 skizziert hat (vgl.
Tutzinger Texte, Sonderband I).

Der rasant fortschreitende Polarisierungsprozeß unter
der mecklenburgischen Pastorenschaft und die im Frühjahr
1934 einsetzende Sammlung der Bekenntniskräfte
zeigten dann, wie tief auch diese Landeskirche gespalten
war. In dieser Zeit tritt auch der Vf. selbst in das Kirchenkampfgeschehen
führend ein. Am 1. Juli 1934 wird er in
den Vorsitz des mecklenburgischen Bruderrats gewählt.
Spätestens seit diesem Datum hat er den Weg der mecklenburgischen
Landeskirche - über mehrere Jahrzehnte
hinweg - nachhaltig geprägt. Offenbar verbot es allzu
große Bescheidenheit dem Vf., seinen eigenen Anteil und
seine Intentionen stärker zu akzentuieren. Er referiert
sich gleichsam als historische Persönlichkeit im Kirchenkampfgeschehen
. Aufschlußreich sind seine Bemerkungen
über den von radikal bruderrätlicher Seite mitunter scharf
inkriminierten lutherischen Sonderweg. Bei aller Anerkennung
und allem aktiven Mittragen des in Barmen und
Dahlem vertretenen Anliegens waltete doch bei lutherischen
BK-Führern wie Dr. Beste ein realistischer Blick für
die Lage vor, der das Mögliche und Gebotene wohl mitunter
klarer sah, als mancher Maximalist. So heißt es an
einer Stelle, und zwar im Zusammenhang mit der Informationssitzung
der VKL am 13. 9. 1935 über den weiteren
Weg der BK im Verhältnis von Staat und Kirche, „daß
bei allen Erwägungen der Zustand der Kirchengemeinden