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Ausgabe:

1977

Spalte:

597-599

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Stoeffler, Fred E.

Titel/Untertitel:

German pietism during the eighteenth century 1977

Rezensent:

Zeller, Winfried

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Theologische Literaturzeitung L02. Jahrgang 1977 Nr. 8

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Quellen. Das Namensverzeichnis am Ende des Buches ist
sehr gewissenhaft gearbeitet, so daß es eine wirkliche Hilfe
ist.

Der spanische Verfasser tat klug daran, das erste Kapitel
, das von dein Augustiner Martin Luther handelt,
einem deutschen Fachmann - Adolar Zumkeller - zu überlassen
. Er hat mit Sachkenntnis einen vorzüglichen knappen
Überblick über Luthers Werdegang, über die Grundzüge
seiner Theologie und über die Auswirkungen der Reformation
auf den Orden gegeben, nach unserer Meinung
zu knapp bemessen, wenn man bedenkt, daß sich im damaligen
Zeitpunkt die Kirchengeschichte, ja die Weltgeschichte
im wesentlichen hier konzentrierte. Ab und zu
war wohl eine zu starke Textkürzung nötig. So wird der
Satz, daß Luther „am 7. Januar 1505 den Titel eines ma-
gister artium erwarb", dahin zu erläutern sein, daß er mit
dem damaligen Examen sich erst lieentiatus in artibus
hätte nennen dürfen. Die Magisterpromotion mit der Antrittsvorlesung
, der Übergabe der Insignien und der Verleihung
des Titels magister artium fand erst einen Monat
später statt. Daß Eisleben in Thüringen liegt, wird nicht
jeder - auch Luther selbst nicht - zugeben wollen. Auf
S. 12 wird es statt Mai 1511 wohl 1512, auf S. 18 statt Wittenberg
wohl Grimma heißen müssen. S.19 und 111 wird
es besser sein zu sagen, daß die Augustiner 1560 aus ihrem
Kloster vertrieben wurden; sie blieben in Erfurt, und der
Hat der Stadt zahlte dem Prior Alexander Rupp eine
Jahresrente, bis er 1598 starb. 1599 kam der eifrige Generalvikar
Anton Keerbeck mit einem neuen Prior nach Erfurt
, doch er erreicht e nichts. Die Augustiner bekamen ihr
altes Kloster nie wieder, auch nicht:, als der Erzbischof von
Mainz ihre Rückkehr nach Erfurt im Jahre 1618 aushandelte
.

Das Buch ist sorgfältig gearbeitel um! macht dem Verfasser
alle Ehre. Daß er den Glanz des Goldenen spanischen
Zeitalters gebührend strahlen läßt, wird ihm niemand verdenken
, zumal er sich überall bemüht, Licht und Schatten
gerecht zu verteilen. Das Buch bietet eine gute Grundlage
für weitere Forschung.

Erfurt Erich KMiieiclnni

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Stoeffler, K. Kniest: German Pietism during the eighteenth Century.

Leiden: Brill 1973. XII, 281 S. gr. 8° = Studies in the History
of Religions (Sappl, to Numen), XXIV. Lw. hfl. 64.-.

Seinem 1965 erschienenen Werk über die Entstehung
des Pietismus, über das in Nr. 3, Sp. 227-228 des 94. Jahrgangs
(1969) dieser Zeitschrift berichtet wurde, hat F. Er-
»est Stoeffler nunmehr eine Darstellung des deutschen
Pietismus während des 18. Jahrhunderts folgen lassen.
Schilderte der vorhergehende Band die Vorgeschichte des
Pietismus in Puritanismus, reformierter Orthodoxie und
etherischer Theologiegeschichte bis zum Auftreten Phi-
M>|> Jakob Speners, so setzt die Darstellung in dem vorlegenden
Teil mit August Hermann Francke ein.

Zwar hat der Verfasser in bewußter Beschränkung nur
Entwicklung des Pietismus im deutschen Raum beschrieben
, ohne auf seine Wirkungsgeschichte in der weiten
Welt einzugehen. Doch wird seine geschichtliche Darstellung
durch den gleichen offenen und weiten Begriff von
"letismus bestimmt, der bereits den ersten Band dieser
''"^lisehsprachigen Geschichte des Pietismus auszeichnete.
Auch hier erscheint der Pietismus als eine universale kir-
'aiengcschicht liehe Bewegung („movement"), deren vielschichtige
Antriebskräfte und mannigfaltige Gestaltungs-
möglichkeiten es zu erfassen gilt. So darf der Pietismus
niemals als eine isolierte Größe betrachtet werden, sondern
muß vielmehr als eine umfassende kirchen- und geistesgeschichtliche
Ersch einung gewertet werden, deren Ein-

zelformcn nicht nur durch zeitgeschichtliche Ideen, sondern
auch durch konfessionelle Traditionen geprägt wurden
.

Der weitgespannte Bogen, unter dem Stoeffler die Geschichte
des Pietismus zu verstehen sucht, wird bereits in
den ersten Kapiteln seines neuen Buches sichtbar. Hier ist
es dem Verfasser gelungen, für das Verständnis der vielschichtigen
Erneuerungsbestrebungen bei August Hermann
Francke, in der Spener-Halle-Bewegung („Spener-
Ilalle-Movement") und im Württembergischen Pietismus
gerade auch die jeweils eigenständigen lutherischen Voraussetzungen
umsichtig herauszuarbeiten. Zinzendorfs
Rückgriff auf die Überlieferungen der Böhmischen Brüder
hat sodann eine neue Ausweitung der pietistischen Bewegung
über die lutherischen Anfänge hinaus zur Folge.

Unter „radikalem Pietismus" versteht der Vf. jene Formen
der pietistischen Bewegung, die von den Traditionen
invst isch-spiritualistischer Frömmigkeit bestimmt sind.
Drei Ströme haben nach Stoeffler zu einem Typus von
Pietismus beigetragen, der unter stärkerer Betonung der
religiösen Individualität zu einer distanzierten Haltung
gegenüber der Kirche und dem Konfessionschristentum
führte, Während die Mystik Johann Arndts vor allem auf
den lutherischen Pietismus einwirkte, hat die Theosophie
Jakob Böhmes eine kirchenkritischc Stimmung innerhalb
des traditionellen Protestantismus erzeugt. Schließlich hat
noch der romantische Quietismus, vermittelt durch das
Wirken Pierre Poirets, den Geist der Unabhängigkeit von
den kirchlichen Institutionen verstärkt . Als Hauptvertreter
eines kirchlieh kritischen oder zumindest indifferenten
Pietismus behandeil der Verfasser Gottfried Arnold, Johann
Konrad Dippel und Gerhard Tersteegen. Die Aneinanderreihung
dieser drei Gestalten eines mystisch-spiri-
tualistisehen Pietismus würde freilich kaum überzeugend
wirken, wenn es Stoeffler nicht auf Grund profunder Spezialkenntnisse
meisterhaft verstünde, die frömmigkeitsgeschichtlichen
Eigenständigkeiten dieser Persönlichkeiten
herauszuarbeiten. Erst die folgenden Abschnitte bieten
dann mit der Schilderung der separatistischen Strömungen
den eigentlichen,,radikalen Pietismus". Mit Recht
hat aber der Verfasser im weiteren Verlauf seiner Darlegungen
darauf hingewiesen, daß nicht nur bei Tersteegen,
sondern auch im Wittgensteiner Pietismus die konfessionelle
Prägung durch das Reformiertentum ein gleiches
Gewicht gehabt hat wie der lutherische Einfluß auf den
Spener-Hal leschen und den Württembergischen Pietismus
.

Die Auswertung einer erstaunlichen Fülle von Literatur
hat es dem Vf. ermöglicht, die Grund probleme des Pietismus
und seiner Geschichte in einer ebenso konzentrierten
wie verständnisvollen Weise lebendig werden zu lassen.
Das trifft sowohl für die feinsinnige Charakterisierung
A. H. Franckes als auch für die Schilderung der Spener-
Ilalle-Bewegung zu, deren Einflüsse auf die Bildung eines
neuen pietistischen Wortschatzes sorgsam beobachtet
worden sind. Desgleichen wird die Bedeutung Bengels und
Oetingers für die Entwicklung des pietistischen Schriftverständnisses
und Geschichtsbegriffes hervorgehoben.
Mit beachtlicher Kenntnis der einschlägigen Literatur
entwirft der Verfasser eine Interpretation Zinzendorfs,
welche die Theologie des „Ordinarius fratrum" sowohl im
Luthertum als auch in der Mystik verwurzelt sieht und
darum die Herrnhuter Brüdergemeine in einen weiten
Pietismusbegriff einbezieht.

Aus der Auseinandersetzung mit der Aufklärung erwächst
schließlich ein „Neo-Pietismus", der die Kennzeichen
einer typischen Übergangstheologie an sich trägt.
Der Neupietismus erreicht seinen Gipfel in Lavater und
Jung-Stilling, gerät danach aber in die Gefahr, statt eine
Theologie der Hoffnung zu entwickeln, den Mythus vom
Goldenen Zeitalter zu träumen und in einer „selbstgenügsamen
Insularität" von den Universitäten zum „Hinterland
" hinabzusteigen.