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Ausgabe:

1977

Spalte:

593-595

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bornkamm, Heinrich

Titel/Untertitel:

Luther, Gestalt und Wirkungen 1977

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 8

594

ist. Was er in .seiner Analyse schreibt über die Funktion
der Verneinung (Negation) im Sprechen über Gott, sei
allen Religionsphilosophen und Theologen empfohlen. Die
Begriffszergliederungen von „ineffabilitas" und ,,unitas
Dei", vor allem auch die Erörterung des Berührungspunkts
von göttlicher und erschaffener Wirklichkeit mit
Hilfe des (Anselm in diesem Zusammenhang unbekannten
) Ausdrucks „Erfahrung" bieten sehr fesselnde Lektüre
. Auf einem abenteuerlichen Weg hat der Vf. den Titel
seines Buches „Konsequente Theologie" zu einem bedeutenden
Teil wahr gemacht.

Zeist/Holland F. de Grijs

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Bornkamm, Heinrich: Luther. Gestalt und Wirkungen. Gesammelte
Aufsätze. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn
[1975]. 308 S. gr. 8° = Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte
Nr. 188. Jg. 80, 81 und 82,1. DM 58,-.

Mit großer Dankbarkeit nimmt man diesen Sammelband
von Aufsätzen des zu Jahresbeginn verstorbenen
Altmeisters der Lutherforschung, Heinrich Bornkamm,
zur Hand, den der Autor noch selbst besorgte.

Bornkamm legt vierzehn Beiträge, davon fünf unter der
leider im Gesamtduktus der Aufsatzsammlung wenig spezifizierten
Überschrift „Luther" und neun unter dem Titel
„Zu Luthers Theologie und Wirkungen" vor. Alle in sich
selbständigen Aufsätze wurden an einschlägigen Stellen in
den Jahren 1927-1973 bereits veröffentlicht und sind für
den Neuabdruck „bis auf einige Kürzungen nicht wesentlich
verändert" (a. a. O.). Wichtige Literatur zu den inzwischen
weiterverhandelten Themen (z. B. Zwei-Reiche-
Lehre) ist bis in das Editionsjahr des vorliegenden Bandes
hinein nachgetragen. Gerade die Beachtung des nach
Bornkamms Arbeiten Erschienenen läßt bei den traditionellen
Kontroverspunkten im Lutherverständnis spüren,
daß der Vf. eine bestimmte bedeutsame Erkenntnisstufe -
etwa in der Auffassung der Iustitia Dei - markiert, die inzwischen
weitere Varianten erfahren hat. Immerhin wird -
schon wegen ihres reichen Quellenmaterials - Bornkamms
Arbeit von 1942 zu „Iustitia dei in der Scholastik und bei
Luther" (S. 95-129) ein Gewicht behalten und als Weg-
markierung für weitere Lutherforschung zu gelten haben.

Nicht weniger signifikant ist der Abstand zwischen dem
Erscheinungsjahr der Studie (1950) und dem gegenwärtigen
Forschungsstand hinsichtlich der Beiträge katholischer
Theologen. Ein kurzer halbseitiger Nachtrag zum
Thema „Luther zwischen den Konfessionen. Vierhundert
Jahre katholischer Lutherforschung" (S. 74-94) deutet
mehr an als daß er beschreibt, was nach der von Bornkamm
in bekannter Meisterschaft charakterisierten
Wende durch Joseph Lortz (S. 74f.) von Seiten relativ
zahlreicher katholischer Historiker zum Lutherverständnis
geleistet worden ist.

Die ersten Beiträge sind biographischer Natur. Sie geben
einen feinen Einblick in eine oft von verschiedenen
Aspekten diskutierte Komponente von Luthers Früh-
^ntwicklung („Luther und sein Vater", 1969) und in das
Heziehungsspiel zwischen dem Reformator und seinem
fjandesherrn („Luther und sein Landesherr Kurfürst
yiedrich der Weise", 1973), der durch Zurückhaltung an
l|er richtigen Stelle mehr gewirkt hat als seine Standesgenossen
durch eine große Zahl von Aktivitäten. In dem
erstgenannten Beitrag nimmt Bornkamm Stellung zu
0,nem psychologischen Deutungsversuch, dessen Relativität
und Berechtigung er folgendermaßen einschätzt:
■>• •. man wird es Eriksons ambivalentem Buch trotz allem
, was es so vielfach und so unnötig vergröbert oder
verflacht, zugleich auch bezeugen, daß in manchen schönen
Formulierungen das Mächtige der Gestalt Luthers
dem Leser begegnet" (S. 31).

„Luther als Schriftsteller" (1965) als Thema des dritten
Beitrages gibt dem Vf. Gelegenheit, die kulturgeschichtliche
Bedeutung des Reformators erneut hervorzuheben
und damit weiterzuführen, was er in noch größerem Rahmen
bereits angesprochen hat (Luthers geistige Welt, Gütersloh
i9604). Dieser Aufsatz, der auch als Einzelschrift
erschienen ist, dokumentiert ein weiteres Mal Bornkamms
durchgängige Intention, Luthers geistige Leistung über
seine Wirkungen auf Theologie und Kirche hinaus in die
Kulturwelt generell hineinzustellen, in der Luther wirkte.
Des Reformators Verdienst um die deutsche Sprache, sein
Verzicht auf gängige Kunstgattungen (S. 54), werden unter
Heranziehung zahlreicher Quellenstücke dargestellt.
Auch als Schreibender war er ein Sprechender. Sein Bemühen
um Schlichtheit entsprach seinem Ringen um
Wahrheit. Was er gestaltete, war der adäquate Ausdruck
für die Wahrheit. Ricarda Huch bescheinigte dem Reformator
durchaus auch die Schönheit der Sprache, die aber
weniger dichterisch-intendiert als vielmehr „zufälliger"
Art sei (S. 63).

Gleich anschließend ist ein Aufsatz abgedruckt („Die
Vorlagen zu Luthers Übersetzung des Neuen Testaments",
1947), der eine Reihe von Thesen und Hypothesen zur
Entstehung des Wartburgtestaments auf- und angreift.
Bornkamm kommt zu dem Ergebnis, daß Luther „den
griechischen Text mit der Vulgata" (S. 66) übersetze, und
zwar keinesfalls unter Einbeziehung der etwa 1475 entstandenen
„deutsche(n) Übersetzung in der Redaktion
von Günther Zainer" (S. 70.73).

Mit großem Gewinn liest man ein Kabinettstück der
Lutherinterpretation in dem Aufsatz: „Die theologischen
Thesen Luthers bei der Heidelberger Disputation 1518 und
seine theologia crucis", 1969. Wer an das Zentrum der
Theologie des Reformators herangeführt werden möchte,
der arbeite diese Studie durch, in der die berühmte Disputation
in folgendem Satz zusammengefaßt ist: „Ergo in
Christo erueifixo est vera theologia et cognitio Dei."
(S. 146)

Der Worttheologie Luthers in besonderer Weise zugewandt
sind die nächstabgedruckten Aufsätze („Das Wort
Gottes bei Luther", 1930 bzw. 1933, „Äußerer und innerer
Mensch bei Luther und den Spiritualisten", 1932 - eingegangen
wird auf Paracelsus, Sebastian Franck und
Schwenckfeld - und „Erneuerung der Frömmigkeit:
Luthers Predigten 1522-1524", 1967). Hier wird pointiert
zum Offenbarungsverständnis geredet, das Luther unter
Abwehr verschiedener Varianten der spiritualistischcn
Lehre vom „inneren Wort" (S. 153) eindeutig mit Gottes
äußerem, in der Predigt kundgegebenen Wort verbindet.
Der Vf. wendet sich an seine Leser im Blick nach vorn
unter Rückverweis auf Luthers Wortbegriff und gibt dadurch
einen profilierten Beitrag angesichts von Strö-
mungstendenzen in der Theologie der Gegenwart: „Der
zwangsläufig mit der spiritualistisch-aufklärerischenWortidee
verbundene skeptische Subjektivismus nagt ... an
der Wurzel der evangelischen Lehre. Wir werden ihm nur
begegnen können, wenn wir Luthers Anschauung, daß das
Wort keinem Beweis - auch nicht dem inneren Wort als
Beweis - unterliegende, sondern nur im Sein erfahrbare,
an das Wortmittel gebundene Rede Gottes ist, in uns angemessener
theologischer Sprache wieder zur Kraft zu erwecken
vermögen." (S.186) Als Summe lutherischer Dialektik
zum Thema „Äußerer und innerer Mensch" hält
Bornkamm fest: „Der innere Mensch ist kein Stück des
Ich, sondern die neue Gestalt, die Gott in ihn hineinsieht,
und das heißt, in ihn hineinschafft." (S. 196)

Zu Luthers Wirkungen gehört auch sein oft als defizitär
bezeichneter Beitrag zu Problemen der Kirchenordnung.
„Bindung und Freiheit in der Ordnung der Kirche nach