Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1977

Spalte:

591-593

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Pranger, Marinus B.

Titel/Untertitel:

Consequente Theologie 1977

Rezensent:

Grijs, Ferdinand J. A.

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

591

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 8

592

immerhin die Zwänge sehen, denen es unterlag, speziell in
der Endphase der Kreuzzüge, die das vorliegende Buch
behandelt.

Damals galt es, so rasch als möglich den bedrängten
Kreuzfahrerstaaten Hilfe in Form neuer Kreuzzüge oder
bei schwindender Kreuzfahrerbegeisterung zumindest
durch Subsidien und damit geworbene Söldner zu bringen
. Diesbezügliche päpstliche Maßnahmen werden aufgrund
der reichen Materialien in den publizierten päpstlichen
Registerbüchern und ergänzender Quellen untersucht
. Es handelt sich um Papstdekrete betreffend die
Kreuzzugsablässe und deren Gewährung auch für bewaffnete
Heerfahrten im päpstlichen Dienste oder mit Papstkonsens
zu anderen Zielen als dem Heiligen Land oder gar
für bloße Geldspenden zur Ausrüstung von Kreuzrittern
als Substitute, weiter betreffend die Umwandlung oder
gar Ablösung von Kreuzzugsgelübden, dann um Verfügungen
über die Einhebung des Kreuzzugszehnten und um die
Verleihung dieser Rechte und Gelder zur Nutzung gewöhnlich
an mächtige Herren, von denen sich etwas für die
Kreuzzüge erhoffen ließ, endlich um Privilegien über die
Verhängung oder Befreiung von kirchlichen Zensuren, betreffend
die Immunität oder den Papstschutz und diverse
andere Rechtsverhältnisse. Daß sich das Papsttum all dieser
Mittel bedient hat oder dazu durch die Verhältnisse gezwungen
war, nicht immer aktiv, oft schamlos ausgenützt,
das wußte man längst. Das Verdienst der vorliegenden
Untersuchung muß vor allem darin gesehen werden, daß
die Vorgänge nun im einzelnen aus den Quellen belegt
sind.

Man wird beim Lesen mit einer bunten Fülle von Fakten
konfrontiert, systematisch geordnet und aufgearbeitet,
durch ein gutes Register aufgeschlüsselt. Man erlebt bei
der Lektüre, wie sich allmählich das Feindbild der Kreuzzugsepoche
wandelt und nicht bloß den Muslim im Orient,
sondern etwa auch den Ketzer im Abendland oder irgendeinen
Gegner des Papsttums begreift. Man wird aus dem
Heiligen Land an andere Fronten geführt, wo Kreuzzugsablaß
zu bekommen war, nach Spanien, in das von den
Mongolen bedrohte Osteuropa, in Missionsgebiete, aber
auch dorthin, wo der Papst die verhaßten Staufer bekämpfen
ließ. Man lernt verstehen, welche wichtige Rolle
in dieser Zeit schon das Geld spielte. Im Anhang werden
die Kreuzzugsdekrete des 4. Laterankonzils von 1215 und
der beiden Lyoner Konzile von 1245 und 1274 abgedruckt.
Der Vergleich mit der Darstellung macht nochmals deutlich
, daß Änderungen nicht bei Erlaß genereller Verfügungen
erfolgten, sondern infolge der vielen Ausnahmeregelungen
, hier und dort durch die Situation veranlaßt, allmählich
aber doch an der Substanz zehrend.

Die theologische Aufarbeitung und Erklärung der historischen
Entwicklung erscheint weniger gut geglückt als die
Erfassung und Ordnung der Quellenbelege. Man findet
aber instruktive Ausführungen über die Kreuzzugsidee
gleich in einem einleitenden Abschnitt, dann über Buße
und Ablaß und Gelübde oder über den Begriff des Kreuzfahrers
jeweils im Zusammenhang der betreffenden Kapitel
. Sie dienen hier zur allgemeinen Orientierung und berichtigen
die Darstellung von Spezialwerken, die umzuschreiben
gewiß nicht Absicht und Aufgabe des Autors
sein konnte. Mag also der Theologe noch manches vermissen
, der Historiker ist dankbar für das erarbeitete Detail.

Saarbrücken Harald Zimmermann

Pranger, M. B., Dr.: Congequente Theologie. Een Studie over het
Denken van Anseimus van Canterbury. Assen: van Gorcum
1975. XI, 144 S. gr. 8° = Philosophia Religions, hrsg. v. R.Bak-
ker en H. G.Hubbeling, XVI. hfl 70.-.

In dieser Doktorarbeit der Universität Amsterdam wird
das Denken Anselms von Canterbury untersucht. Um in
dieses Denken einzudringen, wird Anselms Sprache als Anhaltspunkt
gewählt: Der Vf. sucht ein Gespräch mit Anselm
. Dieses Gespräch wird aus einer gewissen Distanz geführt
; es werden Fragen und Ausdrücke eingeführt, die
nicht der Sprach- und Gedankenwelt Anselms entstammen
, sondern dem Denken und Sprechen der heutigen
Zeit. Gleichzeitig wird davon ausgegangen, daß das Denken
Anselms sinnvoll ist, so daß es die Möglichkeit bietet,
dieses Denken von innen aus zu Worte kommen zu lassen.
Damit beabsichtigt der Vf. nach und nach, die vorgegebene
Distanz aufzuheben.

Die Arbeit enthält vier Kapitel. Zuerst wird eine inhaltliche
Beschreibung der wichtigsten Werke Anselms gegeben
(I). Dann wird das Denken Anselms als „perspektivisch
" gekennzeichnet, in einem näheren Studium der
Modalitäten von Möglichkeit und Notwendigkeit (II). Danach
wird die Art dieses eigenartigen Denkens gepeilt, das
in seiner Möglichkeit durch das vollkommene göttliche
Sein bestimmt wird (III). Das Schlußkapitel gibt nähere
Präzisierung, eine Diskussion mit Karl Barth und einen
äußersten Versuch, Anselm „absichtslos" zu Worte kommen
zu lassen (IV).

Als Kriterium für den Unterschied zwischen Anselms
Sprache und der unsrigen nimmt der Vf. Anselms eigenes
„sola ratione". Zugleich wählt er für seine eigene Darlegung
dasselbe „sola ratione", aber dann, soweit ihm dies
möglich scheint, ohne dem Denken Anselms Gewalt anzu-
tun, in dem Sinne, wie heutzutage „Vernunft" verstanden
wird. Aufgrund dieser letzteren Wahl wird dann auf die
Verwendung von Sekundärliteratur verzichtet. Das bedeutet
unter anderem, daß das Denken Anselms untersucht
wird ohne jede geschichtliche odertheologiegeschicht-
lichc Perspektive. Es wird angenommen, daß diese Untersuchung
nur von der Vernunft aus eine unvermeidliche
Distanz schafft; der Grund dieser Unvermeidlichkeit, die
ja eben in der (theologie)geschichtlichen Kluft zwischen
Anselm und uns liegt, wird nicht untersucht.

Die Folge ist nicht, daß die Untersuchung nebelhaft
bleibt, wohl aber, daß sie sehr mühsam verläuft, weil nirgendwo
erklärt wird, wie und weshalb das „sola ratione"
Anselms und das „sola ratione" der modernen Zeit auseinandergegangen
sind.

Das „sola ratione" war bei Anselm ein kühner Sprung
eines nicht leicht von konservativen Gegnern anzugreifenden
Abtes und späteren Erzbischofs (weniger hochgestellten
Theologen in jenen Zeiten ist es schon anders ergangen
). Die Kühnheit liegt im durchgehaltenen Willen, die
ganze menschliche Vernunft zu mobilisieren, um die Wirklichkeit
Gottes zu denken, ohne daß in diesem Denken
selbst die Heilige Schrift und die Worte der Kirchenväter
als Beweisgründe angewendet werden. Damit hat dieses
Denken nicht Abschied genommen von Bibel und Glaubenstradition
. Im Gegenteil: Es kann sich nur vollziehen
auf der Grundlage eines lebendigen und gläubigen Verkehrs
mit Gott, genährt durch Bibel und christliche Überlieferung
. Aber dieses Glaubenserlebnis bleibt Grundlage :
Fruchtbarer Boden für ein Denken, das selber nur mit den
Denkmitteln der menschlichen Vernunft vollzogen wird.

Mit Recht hat Pranger dies ein Spiel genannt. Manchmal
wird es wie ein Rollenspiel gespielt, manchmal wie
Denkaufgaben. Im Rollenspiel tritt der Ungläubige auf,
nicht als möglicher Konvertit, sondern als Protagonist,
der dazu dienen soll, das Denken („sola ratione") des Gläubigen
bis aufs Äußerste anzuspannen und herauszufordern.
Immer bleibt es die „fides", die „intellectus" sucht. Deshalb
kann im Ernst von frommem oder gewöhnlichem Betrug
im Denken Anselms nicht die Rede sein: Es gibt keinen
Kontrakt von ratio mit ratio, es gibt einen Kontrakt
von fides mit ratio.

Prangers Buch ist eine bewunderswerte Arbeit, trotz
der Tatsache, daß er es sich selbst so schwer gemacht hat,
indem er „sola ratione" außerhistorisch und modern auffaßt
. Es ist darum bewundernswert, weil er einem folgsamen
Leser darlegt, daß Anselms Denken nicht unsinnig