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Ausgabe:

1977

Spalte:

590-591

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Purcell, Maureen

Titel/Untertitel:

Papal crusading policy 1977

Rezensent:

Zimmermann, Harald

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Seite 1, Seite 2

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Theologisohe Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 8

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haftbar. Er will in seiner Kirche wie in der einzelnen Seele das Judenchristentum das Paradiesleben, die hellenistisch
als in seinem Tempel wohnen, doch werden die Dämonen gnostische Christenheit die Vorwelt ins Auge faßt. Den-
nur dort bezwungen, wo die Kirche tatsächlich heilig und noch fand das runde Nein zur Ehe nie in der Kirche Heiunbefleckt
ist. Jedes ungeistlich lebende Glied stört die matsrecht. Augustin stellt insofern eine Wende dar, als er
Harmonie der Kirche und beschmutzt diese, wie auch in- die Zweideutigkeit der Ehe, die man bisher für eine natür-
dividuelle Heiligkeit nichts nützt, wenn die „nächsten" liehe Sache gehalten hatte, vielmehr durch die Geschieht e.
Gliedcrdavon nicht miterfaßt werden. Andererseits kommt d.h. durch die Sünde des Menschen bedingt sah. Das
angesichts dessen den Märtyrern und Heiligen überragende mußte folgerichtig zu einer weitgehenden Disqualifizie-
Bedeutung zu: In ihnen wird exemplarisch deutlich, daß rung der Sexualität führen. Doch wurde der späte Augu-
Christus das Böse besiegt, indem er Glaubende zu willigen stinus in seiner Polemik mit Iulianus von Eclanum dazu
und opferbereiten Instrumenten seines erlösenden Han- gebracht, daß er der sexuellen delectatio nicht jedwede
delns macht, ohne daß sie seine Einzigartigkeit antasten, positive Würde abzusprechen wagte. Eine dem Augustinus
Könnte nicht dieses Ineinander des Existentiellen und analoge Entwicklung weist das Reifen des Chrysostomos
Ekklesiologischen auch uns helfen, zu einem rechten Ver- auf. Der griechische Kirchenvater konnte an der ge-
ständnis von Kirche zu gelangen, die mehr ist als die schlechtlichen Konkupiszenz eine positive Lebenskraft
Summe ihrer Glieder - in diesem Zusammenhang könnte schätzen, sogar dann auch, sollte der eheliche Beischlaf
es fruchtbar sein, die Engelvorstellungen des Origenes zu unfruchtbar bleiben.

entmythologisieren -, zugleich jedoch sich aus lauter le- Die meisten Beiträge des Sammelbandes freuen sich
bendigen Steinen aufbaut, die sämtlich unverzichtbar über alle Andeutungen der Väterschriften, die zusammensind
, wenn der Bau als Ganzer stabil bleiben soll ? Origenes zufinden waren, und nach welchen das bonum prolis die
lebte und dachte im Vertrauen darauf, daß es sich für je- objektive Güte der Ehe keineswegs zu erschöpfen vermag,
den Menschen lohnt, sich mit Christus in den Tod zu ge- Man kann jedoch fragen, ob diese Einsicht, die wohl am
ben, und daß Gott mit „Züchtigungen" pädagogisch nach- Rande des gedanklichen Ductus der Väter stand, kräftig
hilft, wo Menschen achtlos an seinen Geboten vorüber- genug gewesen ist, um die matrimoniale Sexualethik der
gehen. Der Wille zur Absage an das Böse und das Ver- kirchlichen Seelsorge je bestimmen zu können. Im allgetrauen
auf Gottes Verheißung gründen allemal im Leben meinen wird man immerhin Cantalamessa zustimmen
aus der Vergebung, weil Christus auferstanden ist. müssen, wenn er feststellt: „Die ersten Christen haben aus

,. . , .„ der Bibel nicht nur die Idee der Ehe als Arznei der Konku-

Rostock Gert Wendelbon) . , , , , . , . .

piszenz herausgelesen, sondern auch jene der Ehe als Arznei
der Einsamkeit (cf. Gn 2,18), auch wenn sie, bedingt
durch den Zeitgeist, diesen zweiten Aspekt zu sehr in
Funktion des Mannes und viel zu wenig als Gegenseit ig-

Canialamessa, Raniero [ed.]: EUca sessuale e matrimonio nel cri- keit verstanden haben" (S. 450). In der Bewertung der

stianesimo delle origini. Milano: Vita e pensiero 1976. IX 489 S. Frau> der Aufgabe der Ehe und der menschlichen Sexuali-

8 = Studia Patr.stica Mediolanensia. Gollana diretta da G. Laz- m innerhalb ihrer Grenzen, wies Chrysostomos „mensch-

zati e K. Cantalamessa, 5. Lire 12.500. ,. , j c . u . <, /c, ADn rr- c i n

höhere und fortschrittlichere (S. 460) Zuge auf als alle

Sieben katholische Forscher haben sich unter der Lei- anderen hier in Betracht gekommenen Kirchenväter. Er

tung von Raniero Cantalamessa zusammengefunden, um selbst fühlte sich dazu veranlaßt, der Kühnheit seines

das Problem der Sexualität, wie es die christliche Ge- Nonkonformismus Schranken zu setzen und den nicht -

meinde seit dem NT bis zu Augustin erlebte und reflek- revolutionären Charakter der christlichen Lehre zu beto-

tierte, einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen, nen. Darüber schrieb Scaglioni höchst aufschlußreiche

Das gewagte und breit angelegte Unternehmen ist als Zeilen (S. 411^116).

patrologische Leistung außerordentlich gut gelungen. Das Buch verdient volle Aufmerksamkeit auch von sei-

Pier Francesco Beatrice behandelt Enthaltsamkeit und ten derer, die an der heutigen so lebhaften Diskussion um

Ehe im Christentum der ersten zwei Jahrhunderte (S.3 bis das Sexualproblem interessiert sind. Denn was wir seit

68), Remo Cacitti die sexuelle Ethik im kanonistischen dem Mittelalter herkömmlich als christliche Lebensansicht

Schrifttum des 3. Jahrhunderts (S. 69-157), Marcella For- betrachten in Fragen der Sexualität, der Ehe und Familie,

lin Patrucco das Familienleben der Christen in der Sicht das findet man hier sozusagen im status nascendi vorzüg-

der kappadokischen Kirchenväter (S. 158-179), Luigi lieh dargelegt und analysiert an konkreten Modellen und

Prag Ameden Molmir

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Franco Pizzolato das Ehepaar nach den Schriften des Strukturen.
Ambrosius (S. 180-211), Emanuele Samek Lodovici Sexualität
, Khe und Konkupiszenz in der Gedankenwelt
Augustins (S. 212-272), Carlo Scagl ioni das Ideal der
christlichen Familie bei Iohannes Chrysostomos (S.273 bis
422). Die Bilanz dieser oft sehr eingehenden Einzelforschungen
stellt zuletzt R. Cantalamessa auf in seiner eindrucksvollen
deutenden Zusammenfassung des Ganzen

(S. 423-460). Somit ist das Buch zu einer Summa von Purcell, Maureen: Papal Crusading Policy. The Chief Instruments

analysierten Texten und Zeugnissen der Sexualethik der °f Papal Crusading Policy aiul Crusade, to the Holy Land frorn

natriot.'c„i,„„ t? sl « v.- ui 5 nu • i i the nna loss ot Jenisa em to the ia ot Acre, 1244-1291. Leiden:

l'<in istischen Frühgeschichte des Christentums angewach- ,, ... ,,„r v ose a „„ so at as „tu u * mu •

SPn „„ i , T • j j i n_ j i i t ? Brill 1975. X, Mb b. er. 8 = istuaies in the History ol Christian

sen und der Leser wird deshalb dankbar von den sehr nutz- Thought, ed. by H. A Oberman, XI. Lw. hfl 84.-.
"cnen Indices, die das Werk vervollständigen, Gebrauch

»lachen. Die musterhafte Typographie wirkt übrigens Kritik an den Kreuzzügen ist in der modernen Historio-

auch in dieser Hinsicht verlockend. graphie beinahe schon usuell. Zumindest dienen sie als

Die Motivation der frühchristlichen Askese ist zu su- Beispiel für die allmähliche Depravation einer zunächst

ohen in dem vom Eschaton her bestimmten Erlebnis der begeisternden Idee, und meist wird dafür das Papsttum

.yuzlrisi.jgkHi des Lebens in diesem Zeitalter. Der Sexua- verantwortlich gemacht, das die Kreuzzugsbewegung für

«it.ät bieten sich nur zwei beschränkte Möglichkeiten an: seine politischen Zwecke mißbraucht habe. Man datiert

yie der Enthaltsamkeit oder die der Ehe. Die Khe kann die Anfänge in die Zeit Innozenz HL, der aber auch Ver-

Urchaus als in die Nachfolge Christi gehörend betrachtet teidiger gefunden hat, und wohl zu Recht. Das Papsttum

werden. Mit dem Krlahinen der esehatologischen Ausrich- insgesamt wird man von der Schuld der Politisierung einer

des Kirehenlebens wird die Askese immer häufiger primär religiösen Bewegung und des Mißbrauches seiner

1 l"eh einen Rückblick zum Urständ gerechtfertigt, indem Mittel nicht völlig freisprechen können, doch sollte man