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Ausgabe:

1977

Spalte:

578-580

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Menoud, Philippe H.

Titel/Untertitel:

Jésus-Christ et la foi 1977

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 8

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liehe" griechische Vorlage angeglichenen Vulgata. Die völ- Aquileja entstanden sein, sein Verfasser ist methodisch
Iig andere Methode im Verhalten gegenüber den europäi- von Origenes und der antiochenischen Schule abhängig
sehen altlateinischen Texten und gegenüber dem griechi- (Allegorie fehlt ganz), der Kommentar zum Hebräerbrief
sehen Text als in den Evangelien bei der Gestaltung des gehörte von Anfang an zu diesem Kommentar und stellt
Vulgatatextes der Katholischen Briefe schließt Hierony- die älteste bisher bekannte Auslegung des Hebräerbriefs
raus als Urheber der Vulgata in diesem Teil des Neuen im lateinischen Westen dar. Der im Kommentar voraus-
Testaments mit Sicherheit aus (eine Vermutung über die gesetzte lateinischen Text der Paulusbriefe gehört aber
Person dieses Urhebers, nämlich Rufin den Syrer, äußert einer anderen altlateinischen Textform an (demsog.I-Typ)
Thiele erst in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Katho- als der Text der Budapester Handschrift, der Kommentar
tischen Briefe, S.100*f.). Alle diese Feststellungen sind ist also ursprünglich nicht mit dem Text unserer Handüberzeugend
belegt, und es zeigt sich nicht nur erneut, wie schrift verbunden gewesen. Das alles wird von Frede ankompliziert
die Zusammenhänge der verschiedenen For- hand von ausgewählten Textabschnitten und mit umfang-
men der lateinischen Bibelübersetzung vor der Vulgata reichen Listen überzeugend nachgewiesen und zeigt, daß
waren, sondern auch, daß selbst mit Hilfe des riesigen Ma- es sich bei dieser Handschrift in der Tat um einen wichti-
terials des Vetus-Latina-Instituts diese Zusammenhänge gen neuen Zeugen handelt, dessen Bibeltext allerdings die
nur in großen Zügen geklärt werden können. Soweit das bisher bekannte Geschichte des altlateinischen Paulusüberhaupt
möglich ist, dürfte Thiele diese Klärung aber textes nur im wesentlichen bestätigt, der aber durch seinen
gelungen sein. bisher nur teilweise bekannten Kommentar für die Ge-
Einen völlig anderen Charakter tragen die beiden Bände schichte der lateinischen Paulusexegese und die Entste-
von H.J.Frede. Frede hatte sich nach Vollendung der hung des Pelagianismus (Pelagius hat den Kommentar
Ausgabe der Briefe an die Philipper und Kolosser an die bereits benutzt) bedeutsam ist.

Bearbeitung der Thessalonicherbriefe gemacht und mit Es ist darum sehr dankenswert, daß H.J.Frede im
der Drucklegung dieses Bandes 1972 begonnen, als ihm ein 2. Band seines Werkes die Handschrift als ganze mit wert-
Mikrofilm einer im Nationalmuseum in Budapest liegen- vollen Ergänzungen herausgegeben hat. Die Ausgabe bie-
den lateinischen Handschrift der Paulusbriefe mit Kom- tet den Bibeltext nicht zeilengleich, sondern fortlaufend
mentar zu Gesicht kam, deren Text sich zu seiner Über- gedruckt unter Verbesserung eindeutiger Fehler und An-
raschung als ein bisher nicht beachteter Zeuge des alt- gäbe der Korrekturen der Handschrift, bringt aber, durch
lateinischen Paulustextes erwies, so daß der weitere Druck verschiedene Zählung eindeutig kenntlich gemacht, nicht
der Thessalonicherbriefe eine Zeitlang unterbrochen wurde, nur die in der Budapester Handschrift erhaltenen Ab-
um dem Herausgeber zunächst die Möglichkeit zu bieten, schnitte des Kommentars, sondern auch die aus der Pela-
diesen neuen Text zu bearbeiten und dann bei seiner Aus- giusüberlieferung schon bisher bekannten Stücke, die in
gäbe zu berücksichtigen. Fredes Ausgabe des neuen Tex- unserer Handschrift fehlen. Auf diese Weise liegt nun die
tes liegt nun in zwei vorzüglich gedruckten Bänden vor ganze uns bis heute erreichbare Überlieferung des anonymen
entnehme diese Angaben den Jahresberichten des men Kommentars mit einem Variantenapparat vor, und
Vetus-Latina-Instituts). Der 1. Band bietet außer einer umfangreiche Indices einschließlich eines Verzeichnisses
Beschreibung der Handschrift (mit vier Tafeln) die Unter- wichtiger Wörter und Wendungen, die häufiger im Kom-
suchung des Paulustextes und des dazwischen geschobe- mentar begegnen, machen diese Ausgabe zu einem vorzüg-
nen Kommentars. Als Resultat dieser äußerst sorgfältigen liehen Arbeitsmaterial, für dessen zuverlässige Bereitstel-
Untersuchung ergibt sich: Die seit 1939 bekannte, aber in lung ebenso Neutestamentier wie Patristiker dem Heraus-
lhrem wahren Charakter nicht erkannte Handschrift Co- geber dankbar sein werden.

dex latinus medii aevi des Ungarischen Nationalmuseums „ . _ . „r _, ,

■ , ... , _0„ ° ,,. , . c, , , , • Marburg/Lahn Werner Georg Kümmel

m Budapest ist nach 782 vermutlich in Salzburg geschrieben
worden. Sie bietet die Paulusbriefe einschließlich des
Hebräerbriefs in einer sehr nahe mit dem lateinischen Text
des Codex Claromontanus (Dp) verwandten Form, aber

ohne die in D vorhandene Beeinflussung durch den griechi- Menoud, Philippe H.: Jesus- Christ et la Foi. Recherches neotesta-
schen Text, die Vulgata hat auf diesen lateinischenPaulus- mentales Avec «n Portrait par J.-K Leuba et un avant-propos
text keinen Einfluß gehabt. Interessanterweise weicht aber g; ^l^XiSÄ ffiriq™ *

der Text von Rom 15 und 16 und im Hebräerbrief von ' " ogiq e-

d6m Text der übrigen Paulusbriefe der Handschrift ab: Der Sammelband ist dazu bestimmt, wichtige Veröffent-
Uer Text in Rom 15 und 16 steht dem Ambrosiaster nahe, lichungen von Ph. Menoud (1905-1973) aus den Jahren
und damit ist bewiesen, ,,daß die lateinische Überlieferung 1940-1970 in ihrem Zusammenhang innerhalb der Arbeit
der Paulusbriefe auf einer einzigen Übersetzung beruht, des Neutestamentiers von Lausanne und Neuchätel gegen-
die ursprünglich ein verstümmeltes Exemplar zur Grund- wärtig zu machen. Von den vier Aufsätzen zum Paulini-
'age hatte, das mit 14,23 abbrach" (S.120; in 16,13-27 sehen Bereich ist der zweite (1953) der Deutung des Doms
findet sich Vulgatatext, der wohl nach Blattausfall einge- im Fleisch 2 Kor 12,7* (23-29), der vierte (1964) der von
jügt wurde); der Text des Hebräerbriefs aber ist ein Misch- noofrelv Gal 1,13 usw. (40-47) gewidmet. Der erste (1950)
text, und das beweist, daß der Hebräerbrief in der Vorlage gilt dem Nachweis der gleichen Wertung von Ehe und
unserer Handschrift erst nachträglich angegliedert worden Ehelosigkeit durch den Apostel (15-23). Der dritte (1953)
>st. Diese textgeschichtlichen Tatbestände und auch die stellt das Verhältnis der Paulus widerfahrenen Christus-
Ausstattung des Paulustextes mit Vorreden beweisen, daß Offenbarung (Gal 1) und der von den Jerusalemer Aposteln
der Paulustext der Budapester Handschrift aus einer ober- her überkommenen, autorisierten Überlieferung dar (30
•tahenischen Vorlage stammt. bis 39). Paulus vermochte beides in Denken und Werk zu

Dazu paßt auch, was sich aus der Untersuchung des in vereinen; darin gründet seine Größe (39).
Kleineren Abschnitten zwischen den Bibeltext eingescho- Zehn Aufsätze (Teil II) sind dem Lukanischen Werk ge-

•enen Kommentars ergibt. Größere Teile dieses Kommen- widmet, überwiegend den Acta2, zu denen M. einen Kom-

,ill's waren nämlich als „Pseudo-Hieronymus" benannte mentar vorbereitete (9). Die Acta schildern nicht die Ge-

interpolationen in der Überlieferung des Pauluskommen- schichte der Ausbreitung der Kirche (diese wird nur lük-

ars des Pelagius schon seit längerer Zeit bekannt, aber die kenhaft dargestellt), sondern die des Wirkens der Jesus-

ueue Handschrift bietet nicht alle bisher bekannten Stücke zeugen Petras, Stephanus, Paulus; M. erörtert eingehend

leses Anonymus, dafür aber zahlreiche bisher unbekannte das für Acta bedeutsame Verständnis der Zeugenschaft im

' rucke dieses Kommentars. Nach Fredes Feststellungen spezifischen Sinn (Jesus et ses temoins, 1960 [100-110]). In

uß dieser anonyme Kommentar zwischen 396 und 405 in einem früheren Aufsatz (1954) über den Plan der Acta