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Ausgabe:

1977

Spalte:

576-578

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Thiele, Walter

Titel/Untertitel:

Die lateinischen Texte des 1. Petrusbriefes 1977

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 8

576

Tryphone und gliedert seine Arbeit in vier Abschnitte.
I. Das Problem des mosaischen Gesetzes wird im Dialogus
durch die Diskussion mit jüdischen Gesprächspartnern bestimmt
. Justinus sucht sie ernsthaft zu überzeugen, weil
er sich ihre Bekehrung zum Ziel setzt, die ein Unterteil der
Bewahrung des eschatologischen „Rests" ist. An nichtjüdische
Leser wird nicht gedacht (vgl. den Anhang: Are
pagans the adresses of the Dialogue ?). Dagegen scheint die
antignostische, namentlich gegen Marcion gerichtete Verteidigung
des Gesetzes bei der Problemstellung andauernd
mitzuspielen. Ebenso wie Prigent, v. Campenhausen u.a.
glaubt Vf. im Dialogus häufig den Widerhall von Justins
verlorengegangenem Syntagma gegen alle Häresien zu
hören. Den Brief des Ptolemäus an Flora, der wie Tertul-
lian und Irenäus oft zum Vergleich herangezogen wird,
hält Vf. für später als den Dialogus. Bezeichnend für Justins
Auffassung (II Justin's Concept of the Mosaic Law)
ist nach Stylianopoulos ein dreifaches Verständnis des Gesetzes
, das er vor allem aus Dial. 44:2 entlehnt: 1. als Sittengesetz
, 2. in prophetischer Funktion und 3. in heilsgeschichtlicher
Bedeutung. Für deutsche Leser ist dies,
nach z. B. R. Knopf, Das nachapostolische Zeitalter, 1905,
354-356 und R. Bultmann, Theologie des NT, 31958, 115
bis 116, vielleicht keine große Überraschung, Vf. sieht
hierin jedoch einen wichtigen eigenen Forschungsbeitrag.
Die Grundlage von Justins Gesetzesauffassung ist nicht so
sehr bei Paulus oder in bestimmten Worten Jesu zu suchen
, sondern in dem von Christus empfangenen Charisma
der Gesetzesauslegung (so 72-74). Justins Beweisführung
für die Ungültigkeit des Gesetzes (III) wird im Anschluß
an Dial. 28:2 unter den Titeln „Arguments from Scrip-
ture" und „Arguments from Reality" beschrieben. Nach
Meinung des Vfs. arbeitete Justin meistens unabhängig
von Vorgängern: Er fand seine Argumente selbst in der
LXX. Einfluß einer Testimonien-Tradition hält Vf. durchgehend
für unwahrscheinlich. Hinsichtlich des Zwecks des
Gesetzes (IV) vertritt Vf. u. a. die Annahme, daß die Beschneidung
zu Justins Zeiten bei der Ausführung des
Edikts von Hadrian, das den Juden den Zutritt zum Jerusalemer
Tempel verbot, vielleicht als Erkennungszeichen
(orj/uetov) diente. Der für Justin zentrale Gedanke, daß das
Ritualgesetz, namentlich der Tempeldienst, wegen Abgötterei
(Ex 32) und axXrjgoxxodix verordnet wurde, kommt
bei ihm zum ersten Mal vor. Die historische Bedeutung
des Gesetzes ist jedoch bei Justin im wesentlichen positiv:
Es bildet eine außergewöhnliche Maßnahme zugunsten
eines geistlich kranken Volkes (160). Das wurde ursprünglich
gegen Marcion zur Verteidigung der Einheit und Güte
Gottes ausgeführt.

Der Vf. entwickelt seine Gedanken, indem er einige
Texte mit Übersetzung vorlegt und danach erläutert. Auf
diese Weise wird das Buch gut lesbar und instruktiv. Die
Erläuterung ist im ganzen sachkundig abgefaßt und
durch die Auseinandersetzung mit andern Meinungen
auch interessant. Doch bringt das Streben, Einheitlichkeit
in Justins Gedankengängen zu entdecken, aber auch
die Vorliebe für griffige Formulierungen die Gefahr der
Simplifikation und Überinterpretation mit sich - eine Gefahr
, der der Vf. nicht immer entgangen ist. So müssen
nach Meinung des Rezensenten von den vier Passagen, die
der Vf. als Beleg für den eschatologischen „Rest" zitiert,
zwei in anderm Sinn verstanden werden, als Vf. will. Für
die Art, wie Vf. das dreifache Gesetzesverständnis behandelt
, ist in Dial. 44:2 ein zweifaches r . . . r] wesentlich;
jedoch ist das zweite r eine Konjektur, was der Vf. überhaupt
nicht diskutiert. Die zugkräftigen Titel in III passen
nicht gut zu den beschriebenen Argumenten, und ob
Dial. 28:2 richtig verstanden ist, sei dahingestellt. Ein
schwacher Punkt im allgemeinen ist die ungenügende Beachtung
der vorchristlichen Traditionen. Da Gen 15,6, wie
u. a. 1 Makk 2,52 und Philo zeigen, eine aus dem biblischen
Text gelöste Überlieferung hatte, ist die Problemstellung
, ob Justin das Zitat aus Paulus oder Genesis entlehnte
(116), schief. Auch beim Motiv „Hartherzigkeit" ist
die Traditionsgeschichte nicht völlig zu vernachlässigen
(siehe K. Berger, ZNW 61, 1970, 1-47).

Amsterdam J. Smit Sibingii

NEUES TESTAMENT

Thiele, Walter: Die lateinischen Texte des 1. Petrusbriefes. Freiburg
: Herder 1965. 245 S. gr. 8° = Vetus Latina. Die Reste der
altlateinischen Bibel, nach Petrus Sabatier neu gesammelt u.
hrsg. v. d. Erzabtei Beuron. Aus d. Geschichte d. Lateinischen
Bibel, 5. DM .36,40.

Frede, Hermann Josef: Ein neuer Paulustext und Kommentar. I:

Untersuchungen. 288 S., 4 Taf. II: Die Texte. 413 S. Freiburg:
Herder 1973/74. gr. 8° = Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen
Bibel nach Petrus Sabatier neu gesammelt u. hrsg.
von der Erzabtei Beuron. Aus der Geschichte der lateinischen
Bibel, 7 + 8.

Von dem großen Unternehmen der Neuherausgabe der
lateinischen Bibeltexte durch das Vetus-Latina-Institut in
Beuron ist in der ThLZ, soweit ich sehe, nur ganz vereinzelt
die Rede gewesen (76, 1951, 230f.727f. und 80, 1955,
86f. zum Siegesverzeichnis und zur Ausgabe der Genesis;
81, 1956, 612f. zur 1. Lieferung der Katholischen Briefe;
89, 1964, 184f. zur 1. Lieferung des Epheserbriefs; 95,
1970, 647ff. zu Lief. 1-3 des Philipperbriefs; von der ergänzenden
Schriftenreihe „Aus der Geschichte der lateinischen
Bibel" ist nur in 87, 1962, 762f. Band 3 „Pelagius,
der irische Text, Sedulius Scottus" angezeigt worden).
Inzwischen sind die Ausgaben der Briefe an die Epheser,
Philipper und Kolosser (durch H. F. Frede) und der Katholischen
Briefe (durch W.Thiele) fertiggestellt, und von
der Ergänzungsreihe liegen acht Bände vor, da ist es
höchste Zeit, daß ich zusammen mit den mir zur Besprechung
übergebenen beiden letzten Bänden dieser Reihe
auch den mir schon vor einem Jahrzehnt übergebenen
5. Band anzeige.

W.Thiele hat seiner 1958 als 2. Lieferung der Katholischen
Briefe erschienenen Ausgabe des 1. Petrusbriefes
1965 eine Untersuchung der lateinischen Übersetzung dieses
Briefes folgen lassen, die eine Erweiterung seiner Tübinger
Habilitationsschrift darstellt. Diese Untersuchung
dient nicht so sehr der Begründung für die Gruppierung
der Zeugen in der Textausgabe des 1. Petrusbriefes (davon
handelt die 1969 erschienene Einleitung zur Ausgabe der
Katholischen Briefe) als dem Verhältnis der bei der Textausgabe
herausgestellten Textgruppen zueinander. Ohne
daß hier auf die für die einzelnen Textgruppen herangezogenen
Handschriften im einzelnen eingegangen werden
kann, läßt sich als Resultat dieser sorgfältigen, vor allem
auf Wortuntersuchungen aufbauenden Nachweise folgendes
herausstellen: Während Tertullian, entgegen früheren
Annahmen, offensichtlich noch keinen festen lateinischen
Bibeltext voraussetzt, zeigt sich auch beim 1. Petrusbrief,
daß zur Zeit Cyprians ein vor allem in Afrika, aber auch
darüber hinaus bezeugter lateinischer Bibeltext vorhanden
war, der dem griechischen Urtext gegenüber noch relativ
frei verführ und eine größere Zahl von Lesarten aufweist
, die auch in orientalischen Übersetzungen begegnen.
jedoch in der griechischen Überlieferung nur vereinzelt bezeugt
sind. Diese Unregelmäßigkeit in der Übersetzung des
griechischen Textes und diese Abhängigkeit von einem in
der griechischen Überlieferung in wachsendem Maße abgestoßenen
„westlichen" Text wird in der jüngeren afrikanischen
Überlieferung und in den spanischen und europäischen
Zeugen fortschreitend beseitigt; und obwohl die
nicht-afrikanischen Texte eine selbständig sich entwik-
kelnde Überlieferung darstellen, ist der älteste afrikanische
Text auch die Grundlage aller europäischen Textfor-
men einschließlich der am stärksten an die nicht-,,west -