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Ausgabe:

1977

Spalte:

568-569

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Muszyński, Henryk

Titel/Untertitel:

Fundament, Bild und Metapher in den Handschriften aus Qumran 1977

Rezensent:

Betz, Otto

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 8

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einem goel überlassen können. War und blieb die Witwe
kinderlos, blieb das Eigentum in den Händen des goel und
die Auflassung war dann in der Tat einem Verkauf ebenbürtig
. Daß die alternde Noomi einen Sohn gebären würde,
war kaum wahrscheinlich, und der goel hatte guten Grund,
die Anerbietung als sehr vorteilhaft zu betrachten. Mit
Ruths Erscheinen bekommt die Sache jedoch ein anderes
Aussehen. Als es dem goel klar wird, daß auch ein eventueller
Sohn der jungen Schwiegertochter als Abkömmling
Noomis gelten würde, stellt sich die Aussicht auf bleibende
Besitzerhaltung höchst fraglich heraus. Daß Ruth in diesen
Verhandlungen eine Rolle erhält, hat nach Lipinski
seinen Grund darin, daß Noomi eine Rechtspraxis in Gebrauch
genommen habe, nach der eine kinderlose Frau
durch eine Stellvertreterin sich eigene Kinder verschaffen
konnte; vgl. Gen 16,1 ff., 30,1-6, 9-13.

Soweit Lipinski. Vielleicht kommt diese Rechtspraxis
noch einmal zum Vorschein, und zwar in der Schlußszene
4,13ff. Ruth hat einen Sohn geboren, der jedoch als Sohn
Noomis betrachtet wird. Warum? Die Begründung soll
offenbar in den Worten der bethlehemitischen Frauen in
V. 15 liegen: „denn deine Schwiegertochter, die dich liebt,
hat ihn geboren". Daß Ruth ihre Schwiegermutter „liebt",
scheint aber für die familienrechtliche Stellung ihres Sohnes
ziemlich belanglos zu sein. Das fragliche Wort 'aheba-
täk ist von den Massoreten wahrscheinlich als ein Nomen
verstanden worden (vgl. die Vokalisierung!), also „denn
deine Schwiegertochter, die deine 'ahebä ist, hat ihn geboren
". Daß die Wurzel 'hb nicht selten in Kontexten
steht, in welchen der emotionelle Bedeutungsgehalt sehr
zurückgedrängt ist und die herkömmliche Übersetzung
„lieben" nicht einleuchten will, ist neuerdings hervorgehoben
worden. J.A.Thompson und P. Ackroyd sprechen von
„political overtones" (VT XXIV 1974, 334-338, XXV
1975, 213f.). In Ruth 4,15 wäre m. E. zu erwägen, ob der
Hinweis auf das Verhältnis zwischen Noomi und ihrer
Schwiegertochter doch nicht etwas sehr Konkretes meint:
Ruth ist die 'ahebä ihrer Schwiegermutter, d. h. ihre Genehmigte
, in eine bestimmte Rolle Gebilligte, und das ist
der Grund, warum ihr Sohn als Sohn Noomis gelten soll.

Wenn es richtig ist, daß mäkar in 4,3 nicht „verkaufen"
meint, sondern „das Nutzrecht überlassen", dann muß
von dem in Ruth 4 sechsmal erscheinenden qänä Entsprechendes
gelten, also nicht „kaufen", sondern „das Nutzrecht
übernehmen". Besonders schwierig ist 4,5. Campbeils
Übersetzung: „On the day you buy the field from the hand
of Naomi, you ,buy' Ruth the Moabitess, wife of the dead
man, to establish the name of the dead upon his inherit-
ance", scheint an dem springenden Punkt vorbeizugehen.
Worum es geht, ist zunächst nicht, daß der goel Ruth heiraten
soll, sondern daß zur Seite Noomis eine zweite, ebenbürtige
Inhaberin des zu überlassenden Eigentums stehe,
nämlich Ruth, und daß ein eventueller Sohn von ihr Erbrecht
haben würde, also etwa: „Wenn du den Acker von
Noomi übernimmst, übernimmst du ihn auch von Ruth"
etc. (vgl. die etwas abweichende Übersetzung Lipinskis
a. a. 0. S. 127).

In Ruth 4 scheinen qänä und gä'al fast gleichbedeutend
zu sein; vgl. auch Ex 15,13,16 Ps 74,2. Die herkömmliche
Übersetzung von gä'al „lösen, befreien", Campbell „re-
deem" ist in der Tat fraglich. Noomis (und Ruths) Eigentum
war ja nicht verkauft worden, und es ist nicht einzusehen
, warum und von wem es „gelöst" werden sollte.So
viel ist jedenfalls klar, daß die Goelschaft nicht bloß und
vielleicht sogar nicht in erster Hand eine Verpflichtung,
sondern ebensosehr ein Recht meinte, und zwar das Nutzrecht
an einem Eigentum oder einem Sklaven, d. h. an
seiner Arbeitskraft. Das mag auch in theologischen Kontexten
zutreffen. Als goel Israels ist Jahwe nicht zunächst
der Befreier, sondern vor allem der in Anspruch nehmende
Beschützer.

Ein fraglicher Ausdruck findet sich in 2,1, wenn Boas als
ein 'is gibbor chajil bezeichnet wird. Campbells Übersetzung
„a man of substance" ist absichtlich mehrdeutig.
Sehr wahrscheinlich handelt es sich aber um eine konkrete
Standesbezeichnung: „Grundbesitzer". Zu vergleichen
sind Stellen wie 1 Sam 9,1, 1 Kön 11,28 (mit M. Noths
Kommentar z. St. in BK IX), 2 Kön 15,20; 24,16 u.ö. bes.
in 1 Chr und 2 Chr. Gerade mit Hinsicht auf Boas' künftige
Rolle als Besitzer des Kornfeldes und als goel erscheint die
Notiz als sinnvoll, wenn sie seine Stellung als Grundbesitzer
von vornherein feststellen will.

Entsprechendes gilt m. E. auch von 'esät chaijil in 3,11.
Der Ausdruck will Ruth als Inhaberin eines Grundstückes
bezeichnen. Das Gespräch zwischen Boas und Ruth handelt
von der eilig geplanten Goelschaft des Boas. Die Affäre,
die in Kap. 4 geschildert wird, setzt voraus, daß Ruth über
ein Grundstück verfügt, und die lokalen Behörden, die am
folgenden Tage die Vereinbarung offiziell feststellen sollen,
müssen Ruth, die Moabiterin, als Inhaberin eines Grundstückes
in Bethlehem kennen.

Lund Oillis (lerleman

Muszynski, Henryk: Fundament, Bild und Metapher in den Handschriften
aus Qumran. Studie zur Vorgeschichte des ntl. Begriffs
@EMEAIOZ.R,om: Biblical Institute Press 1975. XXIV, 266 S.
gr. 8° = Analecta Biblica, Investigationes Scientificae in Res
Biblicas, 61. Lire 9.500.

In dieser Arbeit, die 1975 vom Päpstlichen Bibelinstitut ~s
in Rom als Dissertation angenommen wurde, sind die in
den Qumranschriften gebrauchten Wörter der Wurzel jsd
= „gründen" untersucht, wobei dem Nomen jesöd bzw.
söd = „Fundament" besondere Beachtung geschenkt
wird. Die eingehende, in einer Monographie zusammengefaßte
Exegese dieser Stellen ist durchaus angebracht.
Denn die Derivate der Wurzel jsd erscheinen in den Texten
aus Qumran relativ häufig und an wichtigen Stellen,
wobei sie nicht immer leicht zu übersetzen und zu deuten
sind. Ferner bieten diese Texte im Unterschied zum AT,
wo das Wort „Fundament" meist im eigentlichen Sinne
und im Kontext eines Bauwerks gebraucht ist, überwiegend
ein bildliches Verständnis; darin gleichen sie dem
NT, wo »eucXioc ebenfalls einem geistigen Sachverhalt
entspricht (vgl. 1 Kor. 3,11; Eph 2,20; Hebr 6,1). Traditionsgeschichtlich
gesehen stellt demnach Qumran eine
Vorstufe der neutestamentlichen Rede vom Fundament
der Kirche bzw. der Lehre dar (S. 1-6).

Der eingehenden Exegese in Teil II sind wichtige Vorarbeiten
vorausgeschickt (Teil I S. 7-65). Notwendig war
eine Klärung darüber, wie der Text zu lesen sei. Denn die
Ähnlichkeit der Buchstaben Jod und Waw, dazu auch von
Daleth und Resch, in den Qumranmanuskripten hat gerade
auch bei der Begriffsgruppe jsd verschiedene Lesungen
veranlaßt. Ferner hat die Schwierigkeit, diese Begriffe
zu deuten, manche Übersetzer zu Konjekturen verführt;
schließlich sind einige der in Frage kommenden Textstellen
beschädigt und ergänzungsbedürftig. Diese Probleme
sind in den Kap.I-III (S.7^5) mit gutem Urteil behandelt
; Konjekturen werden mit Recht abgelehnt (vgl. auch
S. 150-157). Dem AT noch fremd ist die Tatsache, daß das
Nomen söd = „geheimer Rat, Kreis von Menschen" an
manchen Stellen wie jesod das Fundament meint (S. 46
bis 54); das stimmt mit dem rabbinischen Sprachgebrauch
überein, der auf S. 54-64 dargestellt ist.

Im Hauptteil III wird die Bedeutung der jsd-Wörter in
den Qumranschriften durch ausführliche Exegese ermittelt
. Bereits das Verbum jasad (S. 67-104) ist an insgesamt
16 Stellen, darunter 5 at.liehen Zitaten, belegt. Dabei
ist meist Gott das Subjekt des „Gründens", das sich
jedoch nicht auf die Grundlegung der Welt, sondern auf
die prädestinierende Setzung bezieht, die den Ablauf der
Menschheitsgeschichte bestimmt (IQS 3,20.25; CD 2,7).
Wird den Mitgliedern der Gemeinde dieser Akt der Grundlegung
zugesprochen (jissed IQS 5,5; 9,3), so geht es dar-