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Ausgabe:

1977

Spalte:

564-565

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

von Balthasar, Hans Urs

Titel/Untertitel:

Henri de Lubac 1977

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 8

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D.Trakatellos (der 1971 an Harvard über ein einschlägiges
Thema promovierte) sowie auf den Aufweis der Integrier -
barkeit von historisch-kritischer und theologischer Exegese
am Beispiel ausgewählter Texte aus allen drei Teilen
des Jesaja-Buches durch G. Barrois (Princeton). Gesonderte
Beachtung verdienen m. E. auch die gediegenen, aus
den Quellen reichlich belegten Untersuchungen zur Hermeneutik
des Justinus Martyr durch Th. Stylianopoulos
(Boston) und des Origenes durch P. Andriopoulos (Athen),
der die Bedeutung des Inkarnationsgedankens für die
Hermeneutik des Origenes untersucht. Bemerkenswert ist
auch der Beitrag von G. Zapheires (Boston), der nicht nur
den allseits anerkannten Wert der Bibelzitate bei den Vätern
für die Erhellung der Frühgestalt des (neutestament-
lichen) Textes unterstreicht, sondern auch die These vertritt
, daß die Evangelienzitate der Väter z.T. noch vorsynoptische
, zu ihrer Zeit noch im Umlauf befindliche
Textformen belegen.

Wenn man eine - durch das Kommunique des Kongresses
weitgehend gedeckte - Verallgemeinerung wagen darf,
dann erkennt die Bibelwissenschaft der Orthodoxen Kirche
als ihren besonderen Beitrag, den sie in die theologische
Hermeneutik einbringen möchte, das Geltendmachen
der hermeneutischen Prinzipien der Väter (von denen
außer den durch besondere Referate hervorgehobenen Justinus
und Origenes vor allem noch Johannes Chrysosto-
mos hervortritt), ferner die gesamtbiblische Sicht, die das
Alte Testament immer einschließt und sich seinen Problemen
deshalb vorwiegend zuwendet, und schließlich das Insistieren
auf der Kirche als dem „Sitz im Leben" aller rechten
Bibelauslegung. Ist namentlich der letztere Gesichtspunkt
auch der protestantischen (am deutlichsten wohl im
angelsächsischen Bereich) und erst recht der römischkatholischen
Theologie nicht ungeläufig, so sollen der erste
und dritte der genannten Aspekte zusammen einer Monopolisierung
und Isolierung der „Schrift" und einer Unterschätzung
des Wirkens des Hlg. Geistes in der auslegenden
, verkündigenden und anbetenden Kirche - repräsentiert
durch die Vielzahl und (was mehrfach betont wird)
Vielfalt ihrer Lehrer - entgegenwirken. Denn der Satz
„Scriptum sui ipsius interpres", aus dem - mit gutem
Grund - die brennende Aktualität, ja Zentralstellung der
hermeneutischen Debatte in der protestantischen Theologie
hergeleitet wird (Panagopoulos, S. 245f.), wird mehrfach
zitiert als ein in sich unerweisbarer Satz (Neaga,
S. 106), der zu bedenklicher Vereinseitigung der hermeneutischen
Fragestellung und zur Vernachlässigung des
ckklesiologischen, insbesondere auch liturgisch-doxologi-
schen Bezugsrahmens aller Bibelauslegung geführt habe.

So sehen wir im vorliegenden Band die Bibelwissenschaft
der Orthodoxen Kirche intensiv mit der kritischen
Aufarbeitung der „abendländischen" hermeneutischen Debatte
beschäftigt, wobei die Skala von eher skeptischer
Zurückhaltung (etwa bei N. Neaga, Sibiu/Rumänien) bis
zu ernstem Bemühen um Integration von historisch-kritischer
Exegese und theologischer Interpretation (M. Siotes
und P.Andriopoulos, Athen; G. Barrois, Princeton, und
andere; besonders selbstverständlich offenbar bei jüngeren
, in Amerika ausgebildeten Theologen wie Th. Stylianopoulos
, Boston) reicht. Aber nicht nur in solchem eher
konfessionskundlichem Interesse, sondern durchaus auch
zur Bereicherung unserer eigenen hermeneutischen Diskussion
um bestimmte Dimensionen, also in eigentlich
ökumenischem Sinne, sollte der vorliegende Kongreßband
und damit die Arbeit der orthodoxen Bibelwissenschaft
unsere Aufmerksamkeit finden.

Naumburg Nikolaus Walter

Balthasar, Hans Urs von: Henri de Lubac. Sein organisches Lebenswerk
. Einsiedeln: Johannesverlag [1976]. 100 8., 1 Taf. 8°
= Kriterien, 38. Kart. sfr. 14,-.

„Theologie nouvelle" war 1946 noch ein denunzierendes
Schlagwort für die von Henri de Lubac und anderen in der
französischen Theologie eingeleitete Bewegung. Durch die
Enzyklika ,Humani Generis' von 1950 schienen dann viele
Ansätze blockiert, die sich um eine Loslösung der römischkatholischen
Theologie von einer neuscholastischen Philosophie
bemühten. Inzwischen ist Henri de Lubac in seiner
Kirche als einer der wichtigsten Konzilsthcologen zu
Ehren gekommen, und vor allem seine ekklesiologiselien
Anregungen haben prägend gewirkt. Gegenüber manchen
flachen Modernismen erscheint er bereits als Verfechter
der Tradition.

Dem nunmehr Achtzigjährigen widmet sein Freund und
der Übersetzer vieler seiner Werke ins Deutsche diese
kleine Schrift. Sie zeigt in aller Kürze nicht den Lebensweg
, der viel Bedrückendes verbirgt, sondern das reiche
Lebenswerk, das auf diesem Weg entstanden ist. Was dies
bedeutet, zeigt am besten ein Wort aus den ,,M6ditations
sur l'Eglise" (1953), das nicht zufällig zitiert wird: „Natürlich
können uns im menschlichen Aspekt der Kirche eine
Menge Dinge enttäuschen. Und es kann auch geschehen,
daß wir ohne eigene Schuld in der Tiefe mißverstanden
bleiben. Ja, es kann auch sein, daß wir in ihr selbst Verfolgung
erleiden müßten... Geduld und liebendes Schweigen
werden in solchen Fällen besser als alles andere sein; wir
brauchen dann das Urteil derer nicht zu fürchten, die nicht
ins Herz sehen können, und werden verstehen, daß die
Kirche uns ihren Herrn nie besser mitteilt als bei den Anlässen
, die sie uns bietet, seiner Passion gleichgestaltet zu
werden ..."

Die Äußerung ist beispielhaft für die enge Verbindung
von theologischer Wissenschaft und geistlichem Leben,
wie sie von Balthasar als das „Organische" in dem Werk
de Lubacs herausgearbeitet worden ist. Ebenso bezeichnend
ist der Hinweis, daß der große Kenner östlicher und
westlicher Theologie- und Geistesgeschichte „sich andere
Vertreter des universalen Denkens auswählt, nämlich die
großen Besiegten, durch die Kabalen kleiner Geister oder
eines verengten, politisch statt geistlich denkenden Katholizismus
zu Fall Gebrachten, die trotzdem ihre Tiefenwirkung
ausgeübt haben oder hätten ausüben müssen".

Das Lebenswerk von de Lubac umfaßt rund vierzig
Bände; eine vollständige Bibliographie, zusammengestellt
von K. H. Neufeld und Michel Sales, ist bereits in zweiter
Auflage erschienen: Bibliographie Henri de Lubac S.J.,
Einsiedeln 19752. Auf den ersten Blick besteht das Lebenswerk
aus einer Fülle von Einzeldarstellungen, aus denen
auch die größeren Arbeiten zusammengewachsen sind.
Die systematisierende Zusammenfassung macht jedoch
sehr schön die Einheitlichkeit wie auch die Aktualität erkennbar
. Das beginnt mit dem 1938 erschienenen Werk
„Catholicisme" und seinem bemerkenswerten Untertitel
„les aspects sociaux du dogme". Es folgt die verständnisvoll
nachzeichnende und gleichwohl die Grenzen eindeutig
aufzeigende Begegnung mit dem Atheismus westlicher
(Comte, Feuerbach, Marx etc.) und östlicher (Buddhismus
) Prägung. Unter der Überschrift „Die Neuheit Christi
" faßt von Balthasar in einem Dreischritt den Weg von
dem viel umstrittenen Werk „Surnaturel" (1946) über die
Studien zum vierfachen Schriftsinn bis zur Verteidigung
und Kritik von Teilhard de Chardins Universalismus zusammen
. Ein wichtiges Leitmotiv darin ist der für de Lubac
bezeichnende Augustinismus, von dem ganz besonders
die neuen Impulse seiner Theologie bestimmt sind. Ein
weiteres Kapitel, „Kreatur und Paradox", ist Hinweis auf
de Lubacs „Glaubensparadoxe". Das sind jene Sammlungen
von Aphorismen, die man jedem Theologen zur geistigen
Anregung und Hilfe ans Herz legen möchte (deutsche
Ausgabe Einsiedeln 1972). Diese Paradoxe sind nicht einfach
spitze Geistreicheleien, sondern Ausdruck reichen