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Ausgabe:

1977

Spalte:

542

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Die Sache des Religionsunterrichts 1977

Rezensent:

Neidhart, Walter

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 7

542

dort her die ..Sekundär.iphäie" der gesellschaftlichen VerbAH nii m>,
Em rieh i ungen und Verantwortlichkeiten erreichen können.

Gestützt auf wissens* und religionssoziologische Arbeiten von
Th. Luokmann, I*. L. Berger u.a. verfolgt I1'. Menneke den

gesellschaftlichen Zusammenhang von Mandeln und Winsen, ins-
hcsnndere dio Funktion des „legitimierenden Wissens", zu dessen
geschichtlichen Formen auch die Religion gehört. In einen weit
gespannten soziologischen Rahmen stellt er dann theologische Erwägungen
zur Situation «les christliehen Giftubens heute, zum Aus-
einanderl'allen von „kirchlicher" und ..anonymer Sinnwelt" und
zur Aufgabe der Theologie an. »Geranie Aufgabe der Praktischen

Theologie ist die Vermittlung von allgemeinen Sätzen theologischer
Theorie mit der konkreten (insbesondere Religiösen) Praxis-

Situation, d. h. die Vermittlung der t heologischen WisMMisw irklich-
keit in die Handliingsw irklichkeit," (S7) Die Glaubenden sind
nämlich darauf angew iesen, daß die ursprünglich handlungshezo-
genon Aussagen des (ilaubens für dsie auf heutiges Handeln hin
durchsicht ig gemiveht werden. Die Praktische Theologie erarbeitet
demzufolge eine theologische Handlungstheorie und stellt konkretes
Handlungswissen für den Alltag des ('bristen bereit,. Sie ..hat
konkrete Handlungsentwürfe und Vollzüge zu liefern, die es dem
einzelnen (!) erlauben, einerseits die theologischen Glaubens-
inhalte derart zu internalisieren, daß sie Bestandteil sowohl seines
Bewußtseins als auch seiner Motivationsstriiktur werden, und zum
anderen, daß diese Bewußtseinsgehalte in wirkliehen Vollzügen
zum Ausdruck kommen" (143). Wie Heinrichs, auf den er sich
immer wieder bezieht, setzt Mennekos also bei dem Theorie-
hedürfnis an, das sieh im Blick auf die religiösen Verlegenheiten
der heutigen Menschen im Primtebereieh ergibt. Erst danach
kommt er zur traditionellen berufskundliehen Pastoraltheologie -
sie „ist und bleibt vornehmst e Aufgabe der Praktischen Theologie"
(145) und zum kirchlichen Experiment, den weiteren Schwerpunkten
des Faches.

„Das Theorie-Praxis-Problem in neutestamentlicher Sicht" ist
der Beitrag von .1. Beutler überschrieben. Das Mißverständnis,
hier werde au die biblischen Autoren eine Frage herangetragen, die
sie so noch gar nicht haben konnten, wehrt Heutler mit dem
Hinweis darauf ah, daß er lediglich „nach dem Selbst Verständnis
des beginnenden Christentums, insofern es in einer Spannungs-
einheit von hörendem Vernehmen und aktivem Gestalten steht",
fragen wolle (150). Damit ist Bezug genommen auf J. Heinrichs'
Distinktionen innerhalb des Phänomens Praxis und seiner Zuordnung
des Glaubens zur „dialogischen Praxis", die durch eine
ursprüngliche kommunikatorische Einheit von Theorie und Praxis
ausgezeichnet ist. Es geht um das Verhältnis von Rarusieerwar-
tung und Diesseitsauftrag, Glauben und Handeln, Glaube und
Liebe in den wichtigsten Traditionsströmen des Neuen Testaments.

Erst die letzte Arbeit des Bandes gilt einem inhaltlieh konkreten
l'raxisproblein: L. Bertsch schreibt über die „Rolle der Praktischen
Theologie bei kirchlicher Entscheidungsfindung". Kirchliche
Entscheidungen legen heute mehr denn je die kritische Frage nahe,
in welchem Maße nichttheologische Erkenntnisse dabei berücksichtigt
oder abgewiesen worden sind. Bertsch erinnert an die
umstrittene Entscheidung der Kurie über das Alter der Erstbeichte
und ihre Interpretation durch die Bisehofskonferenzen. Welche
Rolle kommt in so einem komplizierten Prozeß der Praktischen
Theologie zu'/Bertsoh wählteine interessante Methode: Erdrückt
einen erst kürzlich von ihm selbst gehaltenen Vortrag vor Priestern
- „Leitideen künftiger Sakramentenpastoral" - ab, um ihn dann
unter der Themafrage seines Aufsatzes zu analysieren. Ohne Zweifel
, der Vortrag ist für die Gesprächslage und die Argumontations-
weise im nachkonziliaren deutschon Katholizismus sehr aufschlußreich
. Wieder einmal wird deutlich, daß die Konfessionen durch
schlagend ähnliche kirchenpraktisehc Probleme miteinander verbunden
bleiben. Aber ich gestehe, daß mich die Auswertung des
beim Vortrag angewandten Verfahrens für die angekündigte
Grundsatzthematik wenig befriedigt . Der Begriff „Analyse" (210)
ist kaum zutreffend was ja bei einem so persönlichen l'nter-
suchungsobjekt auch nicht verwundern kann. Außerdem bat es
mich überrascht, daß der Aufsatz von Bertseh zu der grundlegenden
Arbeit von Heinrichs nur in einem ziemlich lockeren
Verhältnis steht. Jedenfalls exemplifiziert er das dort so streng

im gearbeitete Theoriekonzept weniger deutlich, als die Anlage
des Bandes das erwarten läßt.

Patontisgan b. BbiIUi JQirmi Henky»

Italderinaiiii, Ingo, U. Gisela Kittel: Die Sache «les IleliglniiMiiilcr-

riehts. Zwischen Currioulunt and Biblizlsmus. Göttingen: Van-
denhooek & Ruprecht [1975]. 190 S. 8°. Kart, DM 22 —.

I in('horder westdeutschen Religionspädagogik.diegern .unisono'
ihr GUrriculareS, emanzipatorisohee oder sonst gerade besonders
modernes Thema singen mochte, wird glücklicherweise auch die
St inline dieser beiden Autoren laut. Sie tönt oft wie ein bereichernder
Kontrapunkt,oft wie eine schrille, aber notwendige Dissonanz.
An das eiste denke ich, wenn Baldermann bei der Frage der
Vcistehensvoraussotzungon den didaktischen Zusammenhang von
I Yohlembcwußtsein und Textinterpretation betont und feststellt:
„Wo immer man bei zentralen biblischen Texten, Aussagen oder
Begriffen ansetzt und nach den zu ihrem Verständnis notwendigen
Voraussetzungen fragt, wird man auf anthropologische Grund-
phunomeno geführt." Das zweite liegt vor, wenn der anthropologische
Ansatz der Theologie vorbehaltlos abgelehnt wird mit der
Behauptung, er führe dazu, daß man am Ende nur noch vom
..honio ineurvatus in se ipsum' rede.

Der Band bietet eine Reihe von Aufsätzen beider Verfasser,
viele davon bisher unveröffentlicht. Auf folgendes sei hingewiesen:

Dio Habilitationsvorlesung von G.Kittel. Darin wehrt sie sich
geist reich gegen die falsche Alternative, daß der Kol igionsunterricht
entweder von der Schule hei- oder von der Kirche her zu begründen
sei. Das Selbstverständnis der Evangelischen Unterweisung von
H.Kittel und die Bestimmung ihres Verhältnisses zur Schule
könne mit dioser Alternative nicht orfaßt werden. Die heutige
Religionspädagogik habe dio Tendenz, zu bestreiten, daß das Fach
Religion überhaupt noch ein eigenes Thema habe, sie lasse sich
dieses Thema vielmehr immer von der andern Seite her geben,
nämlich von dem, was Pädagogen und Soziologen gerade zum
Thema der Schule machen.

Der polemische Aufsatz ..ineurvatus in sc ipsum" (erschienen in
Ev. Erz.), in welchem G. Kittel aus ihrer Sicht den gegenwärtigen
Diskussionsstand der Religionspädagogik analysiert.

Einc Auseinandersetzung von I, Baldermann mit den Angriffen,
welche Vertreter der Bewegung „Kein anderes Evangelium" gegen
ihn lancierten. Die Vertreter des hermeneutischen Religionsunterrichts
befinden sich ja in einem Zweifrontenkrieg. Fundamental isten
sehen in ihnen besonders gefährliche Verführer, weil sie das Gift
der Kritik ungewollt verabfolgen.

Ein Aufsatz von I. Baldermann über dio Konkurrenz der biblischen
Texte durch andere Medien. Nach seiner Meinung wäre es
falsch, biblische Texte zum alleinigen oder zum wichtigsten Medium
des Religionsunterrichts zu machen. Doch trotz der scheinbaren
Überlegenheit anderer Medien haben biblische Texte ihre Stärke,
indem sie die diffusen Eindrücke und Emotionen, welche durch
Bilder ausgelöst worden, zu ordnen und zu klären vermögen.

Ein Beitrag von G. Kittel über die Elementarisierung als Aufgabe
der biblischen Didaktik. Elomentarisierung geschieht nach
ihrer Meinung, indem man nach der menschlichen Situation fragt,
in welcher ein biblischer Zusammenhang ursprünglich zur Sprache
kam. idnem man nach Erfahrungen des Schülers mit einer Sprengung
des Ursache-Wirkung-Sehemas und einem Transzendlieren des
Alltagsbewußtseins sucht, indem man religiöse Trivialvorstellun-
gen und naive Vorurteile bei ihm abbaut und indem man seine
Schwierigkeiten beim Verstehen der Fremdheit biblischer Sacb- *
verhalte genügend beachtet.

Eine differenzierte und sorgfältige Verhältnisbestimmung des
biblischen zum problemorientierten Unterricht, in welcher Balder-
mann Berührungspunkte und Gegensätze der beiden Konzeptionen
deutlich macht. Nach seiner Auffassung spitzt sich alles auf
die entscheidende Frage zu, „ob und wie man unter den Bedingungen
des Unterrichts mit heutigen Kindern von der Wirklichkeit
Gottes reden kann". In dieser Hinsicht stimme ich Balder-
maun zu.

B»»sl Waltat KWdhart