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Ausgabe:

1977

Spalte:

540-542

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Theologie zwischen Theorie und Praxis 1977

Rezensent:

Henkys, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 7

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und im Kontakt zu entsprechenden kontinentalen Stimmen ein
„handlungswissenschaftliches Modell der Korrektur christlich-
kirchlicher Praxis" (166). Damit ist die Brücke zur Abhandlung
von Y. Spiegel geschlagen, der die Praktische Theologie im Unterschied
zu den historisch oder systematisch arbeitenden Disziplinen
als „empirische Theologie" begreift und - mit besonderer
Klarheit - deren dreifachen Arbeitsbereich (die bedürfnisgeleitetc
religiöse Lebenspraxis, die darauf bezogenen kirchlichen Handlungen
, die kirchlichen Institutionen), doppelten Theologiebegriff (in
Praxis vollzogene und auf Praxis bezogene Theologie) und vierstufige
Arbeitsweise (Erfassen, Interpretieren, Innovieren, Ausbilden
) darstellt. Der letzte Farbwert in diesem Positionsspektrum
wird von G. Otto gesetzt: Mit einer Thesenreihe, die Durchgangsstation
zwischen den Eröffnungskapiteln in der 1. und in der
2. Auflage des von ihm herausgegebenen Praktisch-theologischen
Handbuches (1970 bzw. 1975) ist, erläutert er sein Verständnis der
Praktischen Theologie als „Kritische(r) Theorie religiös vermittelter
Praxis in der Gesellschaft". - Die Lektüre der sechs Aufsätze in
der vorgegebenen Keihenfolge ist reizvoll und lehrreich. Die Herausgeber
wußten, was sie taten, als sie die Reihe mit Goldbrun-
ner eröffneten und mit Otto schlössen. Die mit den verschiedenen
konzeptionellen Angeboten mitlaufenden Tendenzen reichen von
der dogmatisch argumentierenden Gesellschaftskritik bis zur soziologisch
-philosophisch argumentierenden Religions- und Theologie-
krit ik.

Eingeleitet durch ein fingiertes wissenschaftliches Gespräch von
P. Silier, „Reden wir von der Wirklichkeit", handeln im :!. Teil
des Bandes zehn Beiträge von einzelnen Bereichen der Praktischen
Theologie. „Geineindeaufbau" (C. Bäumler) und „Kirchenlei-
fung und Kirchenplanung" (K.-E. Dai her), also Themen der früheren
Kybernetik, bilden den Rahmen, in den Problemskizzen.
über traditionelle und neue Arbeitsfelder der Kirchen eingestellt
sind. (Die Amtshandlungen haben keinen eigenen Art ikel. Die religionspädagogische
Darstellung heißt einfach ,.Religionsunterricht"
(I). Zilleßen) die kircheigenen pädagogischen 'Dienste fehlen
also, was angesichts der inzwischen erfolgten religionspädagogischen
Blickwinkelerweiterung und namentlich iii einem katholi-
scherseits inspirierten Werk verwundert. - Wie schon erwähnt,
differiert der Darstellungsstil der Beiträge erheblich. Dennoch
dürfte dieser Teil das besondere Interesse derer finden, die in Vorbereitung
auf ihren Beruf auf praktisch-theologische Grundin-
formation aus sind.

Der 4. Teil ist didaktischen Problemen der Praktischen Theologie
gewidmet. Sehr interessant das Nebeneinander der Arbeiten
von M. Josuttis und G. Otto. In beiden schlägt sich das andernorts
entwickelte konträre Verständnis ihrer Verfasser von Theologie
nieder. Aber Ottos pädagogisches Hinterland ist tiefer. Mit
seinem Plädoyer für problem-/projektorientierte Studien macht er
erneut auf Grenzen der universitären Studienorganisation seines
Wirkungsbereiches aufmerksam. Die drei weiteren Aufsätze, greifen
auf die zweite Ausbildungsphase und die berufliche Weiterbildung
über. Hier ergreifen'nehen R. Roessierauch vier niederländische
Autoren das Wort (II. K orsfen . II. Meerfens, A. Roij-
nen, F. Haarsina). Ihre Berichte, von der Einbeziehung der Su-
pervision in die theologische .Aus- und Weiterbildung sollten bei
uns besondere Aufmerksamkeit erregen. Allerdings wünschte man
sich dafür noch grundsätzlichere Einführungen und detailliertere
Auskünfte, als sie von den Verfassern hier geboten werden konnten.

Der Schlußteil bestellt aus einigen thematisch und methodisch
recht disparaten Erörterungen. Zusammengehalten werden sie
durch den Gesichtspunkt der Theorie provozierenden Praxis.

Sani mel band besprechungen sind ein hartes Brot. Handeltes sich
wie hier um ein 7<>0-Seiten-Bueh, so muß der Rezensent auf die
Großmut der Leser ebenso wie der genannten und nicht genannten
Autoren setzen können. Einzelkritik verbot sich aus Raumgründen
. Die Druckfehlerliste ist lang, aber meist unerheblich, (in der
Überschrift auf S. 90 muß es „Theologische Strukturinoinentc"
heißen. Auf S. 567 gibt es einen Zeilenausfall und eine Zeilcnver-

tausohuag.) Daß von den Mitarbeitern an keiner Stelle mehr als
der Name mitgeteilt wird, ist bedauerlich. Das Register der erwähnten
Autoren verzeichnet weit über 1000 Personen, i'aehspezi-
fische Literatur aus der DDR scheint die deutschspraclügen Prak-

tologen außerhalb unseres Landes nicht zu erreichen oder nicht zu
bewegen - ein Umstand, der mancherlei zu denken gibt. Das einzige
Buch aus der Evangelischen Verlagsanstalt Berlin (abgesehen
von Lizenzausgaben), auf das ich in den Anmerkungen gestoßen
bin, erscheint dort bibliographisch nicht korrekt (S. 417, wo es
richtig heißen muß: G. Johann u. a.. Hrsg., Anruf und Aufbruch
. . .).

Petenhagen b. Berlin Jürgen Beakys

Bertgeh, Ludwin, S..I. [Hrsg.]: Theologie zwischen Theorie unil
Praxis. Beiträge zur Grundlegung der Praktischen Theologie.
Frankfurt/M.: Knecht 1975. 230 S. 8°.

L. Bertsoh, Professor für Pastoral theologie und Homiletik an
der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt
/M., ist Leiter der Konferenz der deutschsprachigen (katholischen
) Pastoraltheologen - jener Konferenz, die den Kongreß
„Praktische Theologie 1774 -1974" in Wien veranstaltet hat. Auf
dem Titelhand d"s großen Sammelbandes „Praktische Theologie
heute" (s. o. Sp. 5116), dessen Erscheinen durch den Wiener Kongreß
veranlaßt w orden ist, zeichnet er für die Herausgabe mitverantwortlich
. Aber mit einer eigenen Arbeit ist er dort nicht vertreten
. Ist also das hier anzuzeigende Buch, für das er auch den
Schlußbeitrag verläßt hat, eine Art Nachtrag zu der im Jahr
zuvor erschienenen Bestandsaufnahme?

Die Konzen! rat ion auf die „Grundlegung der Praktischen Theologie
" jedenfalls verbindet die beiden Bücher miteinander. Aber
drei Unterschiede sprechen gegen die Vermutung des bloßen Nachtrags
. I. Die vier hier versammelten Beiträge stammen aus einer
Arbeitsgemeinschaft. Die Verfasser sämtlich Jesuiten, die an
St. Georgen lehren beziehen sieh laufend aufeinander. 2. Es handelt
sieh um eine interdisziplinäre Bemühung. Auf einen grundlegenden
philosophischen Beit rag folgen ein soziologischer, ein ueu-

t est amenf lieber und ein im engeren Sinne praktisch-theologischer.

.'{. Die Aufsätze sind (bis auf den dritten) sehr ausführlich, weil sie
Konzeptionen vjeniger vorführen als forschend entwickeln wollen
(das gilt besonders für die beiden ersten).

J. Heinrichs fragt: „Theorie welcher Praxis?" Problematisiert
wird das landläufige Praxisverstätidnis, nach dem die Praktische
Theologie einfach das individuell oder korporativ vollzogene Hau
dein der Kirche im Feld der Gesellschaft zum Gegenstand hat. Es
wird die These entwickelt, daß nicht die Praxis als solche, sondern
die „Theorie-Praxis-Vermittlung als die Grundaufgabe Praktischer
Theologie" (Untertitel) zu gelten hat: Die Praktische Theologie
ist die „Theorie der kirchlichen Theorie-Praxis-Vermittlung"
(72). Dabei ist vorausgesetzt, daß Glaube ..dialogische Praxis" ist,
die als solche aber „praxis-immanentc Vollzugstheorie" impliziert.
Theologie nun fügt dem existentiellen Glauben nichts hinzu, sondern
expliziert das ihm innewohnende theoretische Moment und
wird so zur „praxist rauszendenten Rellexionst heorio" (36f.). In
der Theologie wird nämlich die ursprüngliche Theorie-Praxis-Einheit
des Glaubens um der je neu nötigen Sinnbewältigung einer

herausfordernden Gegenwart willen aufgelöst. Die gefundenen
theologischen Aussagen müssen dann aber als theoretischer Beitrag
an die existent ielle Praxis des (llaubens wieder zurüc.kverinif-
telt werden. Diese Vermittlung ist zwar der ganzen Theologie aufgegeben
, in der gegenwärtigen Lage der theologischen Wissenschaft
aber von einer speziellen Disziplin zu verantworten, die
durch diese Aufgabe zu einem theologischen Theorietyp eigenen
Ranges wird (9. 85). Nach ihrer kritischen Seite hin ist die Praktische
Theologie Ideologiokritik, nämlich Kritik eines falschen
Tlieorie-Praxis-Bezuges. Sie gilt einerseits der „Überbau-Ideologie
", andererseits der „Legitimationsideologie", die in der Kirche
beide reichlich anzutreffen sind. Nach ihrer konstruktiven Seite
hat sie den Glauben st iftenden und Glauben sozial transformierenden
Vennittlungspio/.essen Hilfe zu geben. Grundsätzlich aber gilt
und das hat Meurichs in subtiler ..transzendental-dialogiseher
Sinnanalyse" der Pra.yls (15IV.) einsichtig zu machen versucht
daß die Theologie und ihre „prahl lach" genannte Disziplin in der
„Primärsphäre" personaler bzw. intersubjektiver Beziehungen
(des Glaubons, der Liebe) anzusetzen haben und immer erst von