Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1977

Spalte:

534-536

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lønning, Inge

Titel/Untertitel:

'Kanon im Kanon' 1977

Rezensent:

Petzoldt, Martin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

533

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 7

534

nicht auch sozialkritisch ahgeleitct werden" (ISO). Am ehesten sei
die genannte Aufgabe noch in J. B. Uetz' Fundamental theolog ic
mit der Bestimmung der Kirche alt „Institution geeellschafts-
kritischer Freiheit" in den Blick gekommen (101 f., 127f., 185).
Aua dem evangelischen Bereich nennt der Vf. Vf. D. Maisch, bei
dem aber die „geforderte Einsicht in die empirische Gestalt der
Institution Kirche . . . unischlägt in eine theologische Verkündigung
ihrer Notwendigkeit" (2L5f.), und dies nicht zuletzt deshalb,
weil Marsch „offensichtlich die Mittel für eine Interpretation und
Veränderung historischer Prozesse fehlen" und seine Kirchenkritik
daher im letzten „rein moralisch" bleibt (210). Die vom Vf. demgegenüber
geforderte „Theorie der Kirche" als Bestandteil einer
zukünftigen Ekklesiologie (Kap. G: „Ekklesiologie und Theorie der
Kirche") hat insbesondere die empirischen Faktoren der Kirchen-
gesehiehtc und des Kirchenrechtes zu berücksichtigen (IHKf.) und
benötigt „politische Kriterien", „um die kirchliche Praxis im Kähmen
der gesellschaftlichen zu beurteilen" (218). Die „kritische
Botschaft des Christentums" (224) fordert demzufolge eine Kirche,
die man als „positive politische Sekte, als Avantgarde" im Bereich
der (lesellschafl und ihrer Kreilieitsgeschichte beschreiben kann
(227).

Vf. hat zur Durchführung und Illustration seiner These sehr
vielschichtiges Material zusammengetragen, ohne daß es ihm immer
gelingt, ei nahtlos und überzeugend zueinanderzufügen. Das
gilt z. B. auch für die Bedeutung der breit angelegten Darstellung
der Gehlenschcn Theorie für die ganze Arbeit, auf die in der weiteren
Durchführung kaum mehr zurückgegriffen wird. So ist die
I^ekt iire oft unnötig erschwert.

Die vom Vf. in Angriff genommene Problematik als solche ist für
die Kkklesiologie (und auch für das Selbstverständnis der Theologie
) von grundlegender Bedeutung. Die Richtung ihrer Lösung
provoziert freilich - abgesehen von der Tatsache, daß des Vfs.
These deutlich im Kontext einer nichtsozialistischen Gesellschaft
formuliert ist - die kritische Rückfrage nach dem eigentlichen Auftrag
der Kirche, von dem her allein kirchliche Institution in zureichendem
Maße kritisch zu beleuchten und verändert zu entwerfen
ist. Wer der Meinung ist., Wesen und Auftrag der Kirche seien
mit der Formel „Institution gesellschaftskritischer Freiheit" nicht
in angemessener Weise oder zumindest nicht zureichend besehrieben
, wird gewiß nicht darauf verzichten dürfen und darin ist vom
Vf. zu lernen -, die gesellschaftliche und historische Bedingtheit
kirchlicher Strukturen und Institutionen zu analysieren. Jedoch
sind dann „politische Kriterien" und politische Wirksamkeit nicht
der eigentliche, zentrale Prüfstein für die Dienlichkeit kirchlicher
Strukturen und Institutionen; auch müßte in der Analyse ernsthaft
damit gerechnet werden, daß es der zentrale Auftrag der Kirche
selbst ist und gewesen ist, der die Formierung kirchlicher
Strukturen und Institutionen wesentlich mitbestimmt. Worin
aber das Spezifische des geistlichen Wesens und Auftrags der Kirche
liegt, darüber wäre wohl in allererster Linie mit dem Vf. zu
diskutieren.

Lelpziü Ulrich Kahn

Schäfer, Philipp: Kirche und Vernunft. Die Kirche in der katholischen
Theologie der Aufklärungszeit. München: Hueber 1974.
XXVliL 290 S. gr. 8° = Münchener Theologische Studien,
hrsg. v. K. Mörsdorf, W. Dürig, G. Schwaiger, I I. Systematische
Abt. Bd. 42. DM 44,-.

Seh. untersucht „die Geschichte der Auseinandersetzung um
Kirche und Vernunft in der katholischen Theologie" der Aufklä-
rungszeit (S. V). Er teilt den Stoff in sechs Abschnitte unter den
Überschriften: 1. Die Kirche in der Einheit von Vernunft und
Glaube, 2. Die Kirche als Vertretung der Autorität der Offenbarung
, 3. Der Protest der aufgeklärten Vernunft gegen die Autorität
der Kirche, 4. Die Kirche im Spannungsfeld von Vernunft
und Glaube, 5. Die Kirche in der Kritik am Rationalismus, 0. Die
Kirche als Vormittlerin der christlichen Lehre und Darstellung des
Heiles. Die einschlägigen Auslassungen folgender Theologen werden
analysiert: I. Eusebius Amort (1092-1775) und Hermann

Schollinei (1722 1795), 2. Martin Gerbert (1720-1793) und Dominikus
Schräm (1723 1797). 3. Benedikt, Maria Werkmeister (1745
bis 1823), Felix Anton Blau (175S 1819) und Eulogius Schneider
(175G-1784), 4. Benedikt Stattler (1728-1797), Matthias von
Schönberg (1732-1792), Sigismund von Storehenau (1751-1797)
und Sintpert Sohwarzhueber (1727-1795), 5. Stephan Wiest (1748
bis 1797), Beda Mayr (1742-1794), Bernardin Bauer (1752-1792),
Ildephons Schwarz (1752-1794), Ignaz Neubauer (172G-1795) und
Heinrich Kilber (1710-1783), 0. Engelbert Klüpfel (1733-1811),
Patriz Benedikt Zimmer (1752-1820), Ulrich Peutinger (1751 bis
1817), Franz Oberthür (1745-1831) und Marian Dobmayr (1753 bis
1805). Seh. erstrebt weniger eine Erfassung der Einzelthemen der
Ekklesiologie als vielmehr eine Darstellung der Stellung und Bedeutung
der Kirche in der Theologie der Aufklärungszeit. Dabei
ergibt sich ein recht differenziertes Bild. Die vielfach gängige Auffassung
von der Ekklesiologie der Aufklarung als negativem Gegenbild
der Ekklesiologie der Romantik läßt sich nicht halten.
Denn „die Theologie der Romantik erwächst . . . aus Kräften und
aus Gedankengut, die die Aufklärung bereitstellt" (S. 3). Dies im
einzelnen gezeigt und mit reichem Material belegt zu haben, ist
(I is Verdienst der vorliegenden Arbeit, die 1973 von der Katholisch
-Theologischen Fakultät in München als Habilitationsschrift
angenommen wurde. Der Schlußteil (S. 209-290) faßt das Ergebnis
übersichtlich zusammen. Literaturverzeichnis und Personenregister
sind eine wertvolle Hilfe für den Benutzer.

Ifulli'/SRiile Erclmniin Schott

Lonning, Inge: „Kanon im Kanon". Zum dogmatischen Grundlagenproblem
des nentestamentlichen Kanons. Oslo: llnivcrsi-
tetsforlaget U. München: Kaiser [19721. 295 S. 8° = Forschungen
zur Geschichte u. Lehre des Protestantismus, hrsg. v.
E. W olf, X. Reihe, Bd. XLIIX DM 30,-.

Die vorliegende Arbeit, eine von der Theologischen Fakultät der
Universität Oslo angenommene Promotionsschrift, versucht -
wohl unter weitgestecktem Rahmen - eine richtige Lokalisierung
sowie eine genaue Formulierung (15) des Problems, was nolens-
volens hinter aller theologisch-wissenschaftlicher Bemühung steht:
Das Verhältnis der historischen zur systematischen Problematik,
was am Beispiel des Kanonproblems prononciert auftritt. Dazu
stellt L. fest, daß es eine „normative Fragestellung nur in, mit und
unter der deskriptiven geben kann" (30). Deshalb gelten für L.
zwei methodische Grundsätze: „1. Ein dogmatischer Satz, welcher
explizit oder implizit Behauptungen historischer Art enthält, ist
historisch falsifizierbar. 2. Kein dogmatischer Satz ist historisch
verifizierbar. Die historische Wahrheit, d. h. die Vergangenheit -
soweit sie unserer kritisch-erforschenden Erkenntnis zugänglich
ist - dient somit dogmatisch unmittelbar als negatives Kriterium,
nur mittelbar als positives Kriterium" (37).

In fünf Abschnitten wird in differenzierter Weise die Problematik
vorgestellt, zum Teil (mit zeit- und quellenkritischen Belegen)
aufgearbeitet und einer Beurteilung unterzogen. Aufarbeitung
wird vor allem in dem sowohl vom Umfang als auch von der Sache
her gewichtigen 2. Teil des Buches „Kanonkrise der Reformationszeit
" (50-213) geleistet, in dem zugleich die Entfaltung der grundlegenden
These, „die Reformation sei theologisch sachgemäß als
Krise des nentestamentlichen Kanons aufzufassen" (51), erfolgt.
Das Mittelalter stand der Kanonproblematik im wesentlichen insofern
gleichgültig gegenüber, als es sich auf die unbestrittenen
Ergebnisse der altkirchlichen Entwicklung stützen konnte und
stützte. Erst durch die „humanistische Literaturkritik" eines Erasmus
(54ff., 0511.) und durch eine kritische Repristination der „untrüglichen
Überlieferung der alten Kirche", etwa durch Cajctan
(00ff.), zeichnen sich „Ansätze zu einer historischeu Krit ik am nentestamentlichen
Kanon" (54) ab. Auf diesen Ergebnissen baut
Luther auf. Dazu untersucht L. die Vorreden zum Neuen Testament
, vor allem die „generelle Vorrede", in deren Anhang die bekannte
Unterscheidung in „edliste", „edle" und „unedle" Schriften
vollzogen wird. Letztliehe bleibt diese Unterscheidung bei
Luther unklar, wie er sie auch ausdrücklich dem einzelnen I^-ser