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Ausgabe:

1977

Spalte:

520-523

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Wolf, Gerhard Philipp

Titel/Untertitel:

Das neuere französische Lutherbild 1977

Rezensent:

Lienhard, Marc

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 7

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Standpunkt des Absoluten stellen, um überhaupt philosophieren
zu können" (271; vgl. 108, 201, 223, 266). Es könnte auf eine Fülle
ähnlicher Probleme hingewiesen werden, die in disziplinierter Diskussion
behandelt und bei allen bohrenden Fragen zu mehr oder
weniger übereinstimmender Beantwortung herangeführt werden
konnten.

M. de Gandillac gibt einen Uberblick über „Nikolaus von Kues
zwischen Piaton und Hegel" (21-38). So wenig N. wohl den originalen
Piaton kannte (sondern nur durch den Neuplatonismus vermittelt
), so wenig kannte wohl auch Hegel N. Doch stehen beide in
einer platonischen Tradition. Der Hauptunterschied zwischen beiden
bestehe darin, „daß Hegel eine fortschreitende Entwickhing
des Bewußtseins durch verwickelte Reihen dialektischer Entgegensetzungen
zu begreifen sucht, während nach Nikolaus kein endlicher
Geist... die absolute Wahrheit ohne die Vermittlung von
mehr oder weniger ungenauen Bildern und Begriffen erfassen und
aussprechen könne" (26f.).

J. Hirschberger sprach über das Thema „Das Prinzip der In-
kommensurabilität bei Nikolaus von Kues" (39-54; Diskussion
54-61). Die metaphysische Inkommensurabilität sei bei N. kein
Problem, sondern ein Prinzip: „Infiniti ad finitum proportio non
est" (Doct. ibn. I, 3; 39). „Aber über der sinnlichen Anschauung
erhebt sich die intuitive Schau der Vernunft und verbindet in der
Ähnlichkeit Endliches und Unendliches" (54).

K. Bormann referierte über „Die Koordinierung der Erkenntnisstufen
(descensus und ascensus) bei Nikolaus von Kues" (62-79;
79-85). Er weist darauf hin, daß N. folgerichtig den Menschen
einen zweiten Gott nennt, denn wie die Geschöpfe Gottes Abbildungen
des göttlichen Intellekts sind, so hat der Mensch den Intellekt
, der Abbild des göttlichen Intellekts in der schöpferischen
Tätigkeit ist: „Daher erschafft er Abbilder der Abbilder des göttlichen
Intellekts" (65).

J. Stallmach behandelte das Thema „Geist als Einheit und An-
dersheit - Die Noologie des Cusanus in De coniecturis und De
quaerendo deum" (86-116; 116-124). Er weist daraufhin, daß die
Gnoseologie von N. nicht leicht auf einen Nenner gebracht werden
kann (86). Für N. ist die Wahrheit die Sache selbst als Denken:
res est veritas: „Wahrheit ist für ihn also vielmehr eine adaequatio
intellectus ad intellectum, des endlichen Geistes an den göttlichen.
Wahr ist endliches Denken in dem Maße der Teilhabe an der Wahrheit
, und nur so ist es überhaupt Denken" (90). Erst wenn die Vernunft
ihr eigenes Wissen als bloßes Näherungswissen weiß, „darf
sie hoffen, nicht mehr bloß intellectualiter, sondern divinaliter von
Gott zu sprechen (106).

E. Hoffmann war das Thema gestellt worden „Nominalistische
Vorläufer für die Erkenntnisproblcmatik bei Nikolaus von Kues"
(125-159; 160-167). Er will N. nicht von vornherein in den Nominalismus
einordnen (er wie auch andere Diskussionsredner wiesen
auf die völlige Begriffsverwirrung in dieser Frage hin!), aber er
meint, daß „seine kritische Einstellung zur menschlichen Erkenntnis
auf der Linie der durch den Nominalismus verbreiteten Erkennt
niskritik liegt" (125). Zur Frage der Gotteserkenntnis weist
H. auf Holcot und Ockham hin und kommt zu dem Ergebnis, daß
N. „in seiner kritischen Gotteslehre deutliche Ubereinstimmungen
mit der nominalistischen Schule" zeigt, im methodischen Ansatz
aber näher bei Thomas stünde (135). Auch für sein Streben nach
Welterkenntnis hat er deutlich Vorläufer unter den Nominalisten
(Studienjahre in Heidelberg!). Zur Erkenntnisproblematik meint
H, daß N. „sich zum erkenntnistheoretischen Idealismus in der
Universal frage" bekennt, doch sei nominal istischer Einfluß (Hang
zum Empirismus) unverkennbar (155). H. wollte „die in sich natürlich
eigenständige Philosophie des Cusanus im Lichte jener Phänomene
zeigen, die das geistige Bild seiner Zeit beeinflußt und gegenüber
der Hochscholastik verändert haben" (163).

W. Dupre fragte: „Apriorismus oder Kausaldenken nach der
cusanischen Auffassung von der Gotteserkenntnis V" (168-194;
194 -203). Er geht davon aus, daß N. immer wieder auf das Gottesproblem
zu sprechen kommt und sich die Frage nach Gott als das
eine Thema erweist, das ohne Ende entfaltet wird, weil sie Maßstab
dessen ist, was sagbar ist und gesagt werden soll (168). Wir
finden bei N. Texte, „die ihn sowohl in die Nähe des Apriorismus
als auch des Kausaldenkens zu rücken scheinen" (176), dabei zeigt

sich aber deutlich, daß „Apriorismus und Kausaldenken nicht den
Sinn der Gotteserkenntnis bestimmen, sondern von dieser bestimmt
werden", es geht um kein Entweder-Oder, sondern sie
gehören beide zusammen (192, 194).

E. Colomers Beitrag „Die Erkenntnismetaphysik des Nikolaus
von Kues im Hinblick auf die Möglichkeit der (iotteserkeniitnis"
(204-223; 224-232) betont, daß N. als Denker an der Grenze zweier
Epochen zwar die klassische Metaphysik wesentlich übernimmt,
gleichzeitig aber mehrfach die Haltung der modernen Metaphysik
vorwegnimmt. Es gibt in seinem Denken eine „bedeutsame Verschiebung
zum Anthropologischen hin", obwohl er mit großer
Konsequenz Gott oder das Unendliche als das absolute Maß allen
Seins und Erkennens beibehält (207). Er weiß: „Anerkennen, daß
wir Gott nicht kennen, ist eben der beste Weg, um ihn zu erkennen.
Quia ignoro, adoro" (De Deo absc. 1; 215). N. hat Gott als das
Absolute verstanden, so daß man sein Dasein nicht in Frage stellen
kann (225).

R. Haubst legte seinen Auffassungen über „Theologie in der
Philosophie-Philosophie in der Theologie des Nikolaus von Kues
dar (233-260; 260-273). Damit war er beim Grundthema des Symposions
, das auf vielfache Weise variierend dargestellt worden w ar.
Man wird bei N. kaum zwischen Theologie und Philosophie sauber
trennen können. So sehr die Philosophie auf die Theologie Ii inarbeitet
(vgl. Doct. ign. I/II zu III), so wenig sind beide bei ihm
sauber zu trennen, auch in Doct. ign. nicht. „Zu eitlem unmittel-
baren Gottschauen kommt der Geist ,auch bei seinem höchsten
Aufstieg naturaliter nie"". „Gott müßte sich also schon ,selbst
zeigen'." Und das hat er ein für allemal in Jesus Christus für die
Kleinen, die demütig im Sinne der docta ignorantia danach verlangen
, getan (De poss. N. 31; Doct. ign. III, 11; 255). H. betont,
daß nach N. christlicher Glaube kein Produkt rationalen Denkens
ist, sondern ein Gnadengeschenk Gottes (256), was Wyller in der
Diskussion (262) auf Luther hin ausweitet.

In einem Epilog hat dann H. G. Gadamer (275-280) die Ergebnisse
des Symposions zusammengefaßt: „Zwischen Piaton und
Hegel - daß die faszinierende Figur des Cusanus da irgendwo hingehört
, wird aus dem vorliegenden Tagungsbericht zwar völlig
deutlich. Aber es bleibt strittig, wie er dahineingehört. . . . Piaton
und Hegel, diese Beziehungspunkte unserer Vorstellung von der
Geschichte der Metaphysik verschieben sich selber, wenn sie von
dem Denken dieses genialen Mannes her gesehen worden" (275).

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß das Symposion
zu guten Ergebnissen geführt hat, gerade dann, wenn nicht alles,
was fraglich war, auch geklärt sein mag. Die ungemein intensive
Cusanusforschung hat in den Symposia einen Mittelpunkt, der sich
befruchtend auswirkt. Es wäre gut, wenn lutherische Theologen
sich stärker als bisher in die Cusanusforschung einbozeiehen ließen.
Von diesem großen Denker haben wir heute sicher viel zu lernen.

Schlettau Karl-Hermann Kandier

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Wolf, Gerhard Philipp: Das neuere französische Lutherbild. Wiesbaden
: Steiner 1974. XIV, 370 S. gr. 8° = Veröffentlichungen
des Instituts für europäische Geschichte Mainz, 72. Abt. für
abendländ. Religionsgeschichte, hrsg. v. J. Lortz. Lw. DM 64,-.

Aufgrund langjähriger, gründlicher Quellenstudien hat sich diese
Dissertation zum Ziel gesetzt, die französische Lutherforschung
einem deutschen Leserkreis vorzustellen.

Ein erstes Kapitel behandelt die Beziehungen zwischen „Luther
und Frankreich im 16. Jh.". „Am schnellsten fanden die lateinischen
Schriften des Reformators Eingang in den französischen
Humanistenkreisen" (S. 8). Es folgten aber auch sehr bald französische
Übersetzungen, nach 1541 vorwiegend exegetische Schriften
. Hier hätte der Verfasser auch die französische Fassung des
großen Galaterkommentars (1552, 1560, 1584) erwähnen können.